Der Vorstand der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung hier in Genf hat kürzlich eine allgemeine Debatte und einen interaktiven Dialog organisiert. Der Heilige Stuhl wurde Kardinal Peter Turkson, Präfekt des neuen Dikasteriums für die ganzheitliche Entwicklung des Menschen im Vatikan und von Erzbischof Ivan Jurkovič, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UN Genf vertreten.    

Der Kardinal trug seine - auf dem katholischen Glauben basierende - Perspektive zu beiden Ereignissen bei.

Kardinal Peter Turkson: "Ein Jahrzehnt nach der weltweiten Finanzkrise von 2008 bleibt die 'Finanzialisierung', oder der wachsende Einfluss der Finanzmärkte auf das materielle Wohlergehen der meisten Menschen ein zentrales Hindernis für Fortschritt, Reformen und Förderung einer ganzheitlichen menschlichen Entwicklung.

Christian Peschken: Beginnt eine ganzheitliche menschliche Entwicklung nicht mit der Anerkennung und Umsetzung des grundlegendsten menschlichsten Rechts: nämlich dem Recht auf Leben?

Erzbischof Ivan Jurkovič, Ständiger Beobachter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf:  Ja, das würde ich sagen. Aber es ist eine komplexe Sache. Ich denke , dass eine der guten Seiten der Vereinten Nationen, die auch oft dafür kritisiert werden, dass sie zu viele Themen haben, darin besteht, dass wir auf bedeutungsvolle, immer wichtigere Fragen zurückkommen, wie das Recht auf Leben, das Recht auf Existenz, das Recht auf Bildung.

OK, die Kirche tut ihr Bestes, aber Sie wissen ja auch wenn wir über das Recht auf Leben sprechen, insbesondere bei den Vereinten Nationen, die Frage der Abtreibung, dass dies kein wirklich beliebtes Thema ist.

Erzbischof Ivan Jurkovič: Wir nähern uns dem Jahrestag der Charta der Menschenrechte, wir werden als Beitrag des Heiligen Stuhls Betrachtungen zu diesem Thema, Abtreibung, Euthanasie und so viele andere Dinge vorbringen. Das heißt, wenn wir den Menschen isoliert und unabhängig denjenigen überlassen, die basierend auf ihren pragmatischen Theorien über seine Zukunft entscheiden können, werden wir eine völlig andere Gesellschaft schaffen.  Es ist im Grunde immer dasselbe, wissen Sie: Schwäche, Schwäche, Schwäche, Schwäche. Wir müssen immer auf der Seite der Hilfebedürftigen sein, das ist die Berufung der Kirche, und die Berufung von Papst Franziskus, sonst nichts. Wie werden wir vorgehen? Wir werden sehen, wir tun was wir können.

Die UN-Konferenz über Handel und Entwicklung wurde aus der Überzeugung heraus gegründet, dass die Entwicklungsländer mehr Unterstützung und Engagement von der internationalen Gemeinschaft benötigen, um eine integrative und nachhaltige Entwicklung zu erreichen.

Kardinal Turkson: “Herr Präsident, die Ausweitung des internationalen Handels wurde nicht als Selbstzweck verstanden, sondern als Mittel zur Sicherung von Stabilität und Frieden und zur Förderung einer integrativen menschlichen Entwicklung."

Warum haben Ihrer Meinung nach nicht alle Menschen die gleichen Chancen für ihre 'menschliche Entwicklung'?

Erzbischof Ivan Jurkovič: Ich will dazu nur eines sagen: In der heutigen Welt sprechen wir alle über das Wachstum, aber wenn man sich fragt, steigt mein Gehalt? Steigt Ihr Gehalt? Selbst in den entwickelten Ländern steigen die Gehälter nämlich nicht.  Das bedeutet also, dass all dieses Geld nur an einen ganz kleinen Teil der Gesellschaft geht und daher die anderen nicht genug haben. Und wir reden hier jetzt von der entwickelten Welt, der Welt, die "keine" großen Probleme hat. Sie können sich vorstellen, was es für die Welt bedeutet, die unterentwickelt ist und sich in echten Schwierigkeiten befindet. Also müssen wir die Geschichte kontinuierlich korrigieren, wir müssen die Wirtschaft korrigieren.  Die Kirchen sind hierzu aufgerufen, insbesondere durch ihre moralischen und ethischen Gesichtspunkte.

Ihrer Meinung nach, setzen katholische Geschäftsleute ihren Glauben im Geschäftsleben deutlich um? 

Erzbischof Ivan Jurkovič: Dazu gibt es zwei Dinge, die ich sagen muss. Das erste ist die allgemeine Überzeugung der Kirche, die durch ihre Lehre, durch die Dokumente des Papstes zum Ausdruck kommt, die ein Appell, ein Appell an uns alle ist. Sicherlich besonders für die wohlhabenderen Katholiken, aber auch alle anderen Katholiken. Aber wie Sie wissen, funktioniert die Wirtschaft so, wie sie eben funktioniert, und das bedeutet, dass jeder seinen Platz zum Korrigieren und Ändern finden muss.

Die Veränderung beginnt also bei Einem selbst. Dann geht sie hinaus.

Erzbischof Ivan Jurkovič: Genau, das ist das Problem: Wenn du dich nicht änderst, dann ändert sich niemand. Heute erkennt jeder, dass wir dies auch auf eine neue Art und Weise tun müssen. Ich denke, der Reiz des modernen Lebens besteht darin, dass wir im Teilen miteinander verbunden sein können und von unserem Nächsten dazu ermutigt werden können. 

Während der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung fand auch eine Debatte über und die Vorstellung des Heiligen Stuhl Dokuments Oeconomicae et pecuniariae quaestiones statt, zu Erwägungen zu einer ethischen Unterscheidung bezüglich einiger Aspekte des gegenwärtigen Finanzwesens. 

Kardinal Turkson: "Lange Zeit war die wirtschaftliche Globalisierung von der Überzeugung geprägt, dass freie Märkte eine unaufhaltsame Kraft sein werden, um allen Menschen einen größeren Reichtum und eine schnelle harmonische Integration zu ermöglichen."

82 Prozent des im letzten Jahr generierten Geldes ging an die reichsten, nämlich 1 Prozent, der Weltbevölkerung, während die ärmste Hälfte überhaupt keinen Anstieg verzeichnete.  Sie haben einen Einblick in das Gehirn der UN, mehr als wir Außenstehende. Glauben Sie, dass die UN durch die nachhaltigen Entwicklungsziele in der Lage ist, die Welt der Wirtschaft zu verändern?

Erzbischof Ivan Jurkovič:  Dazu müssen wir zumindest einen Punkt ansprechen, sagen wir eine Idee, und die wäre, dass Egoismus keine gute Lösung für die Zukunft ist. Das Problem mit den Vereinten Nationen ist, dass es auf die Regierungen ankommt. Die Vereinten Nationen sind keine autonome Organisation, sie sind eine Organisation, die im Einvernehmen oder durch Vereinbarungen der Regierungen handeln. Das heißt also, sie sind so gut wie die Wähler in jedem einzelnen Land. Wenn die sich nicht anders verhalten, können sich die Vereinten Nationen auch nicht anders verhalten.

Kardinal Turkson: Es ist unsere Ansicht das es möglich ist , unseren Weg zurück zu einem globalen Finanzsystem zu finden, das wieder auf klaren ethischen Prinzipien und der Anwendung von Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Solidarität beruht.

Was bietet die Kirche aus Ihrer Sicht, damit wir zu all dem zurückfinden?

Erzbischof Ivan Jurkovič: Die Kirche bietet grundsätzlich die Sichtweise der Kirche oder des Evangeliums. Das menschliches Leben und Wohlbefinden auf der Erde, nur ein Teil von allem ist. Es ist also nicht Alles, sondern nur ein Teil, ein Bruchteil von Allem.

Es fängt also mit uns selbst an?

Erzbischof Ivan Jurkovič:  So muss es sein, würde ich sagen. Aber nicht wie ich oder du, sondern als Ganzes als Kirche, weil sonst viele großzügige Menschen bedeutungslos werden, weil sie kein gemeinnütziges Projekt haben. Unsere Gesellschaft braucht gemeinnützige Projekte und sie schätzt sie. Auch weil gemeinnützige Projekte einen echten Einfluss auf die Gesellschaft haben. Das glauben wir!

Kardinal Turkson: Kein Bereich menschlichen Handelns kann legitimer Weise behaupten, außerhalb der Richtlinien ethischer Prinzipien zu stehen, die auf Freiheit, Wahrheit, Gerechtigkeit und Solidarität basieren.

In seiner Rede vor den Vereinten Nationen im Jahr 2015 sprach sich Papst Franziskus gegen, ich zitiere: "Jede Art von Missbrauch von Zinsbelastung, durch die Finanzindustrie, insbesondere wenn es um Entwicklungsländer geht" aus und ich zitiere weiter, "diese sollten keinen bedingungslosen Kreditvergabesystemen unterworfen sein, die in keinem Falle den Fortschritt fördern, sondern die Menschen den Mechanismen unterwerfen, die zu mehr Armut, Ausgrenzung und Abhängigkeit führen". Sind Ihrer Meinung nach diejenigen, die das Weltwährungssystem kontrollieren, in Verleugnung ethischer Prinzipien?

Erzbischof Ivan Jurkovič: Wir müssen glauben, dass jeder in gutem Willen handelt.  Das Problem ist, dass das heutige Wettbewerbsumfeld jeden irgendwie aggressiver und weniger bewusst gegenüber anderen Menschen macht…Wir (die Kirche) sind heute nur einer der Akteure, unter vielen ernsthaften Menschen, die sich um die Zukunft der Menschheit sorgen. Besonders darüber, wie man eine lebendige, dynamische, entwickelte Gesellschaft sein kann, aber gleichzeitig fähig ist, zu teilen und zu opfern. Opferbereitschaft für andere. Das ist ein notwendiges Bedürfnis in jeder Zeit, jeder Umgebung, jedem Ort.

Im Dokument des Heiligen Stuhls, das an diesem Tag diskutiert wurde, lesen wir, dass jeder von uns Katholiken so viel tun kann, besonders gemeinsam.  

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Nach Ansicht des Heiligen Stuhls ist in diesen schwierigen Zeiten die Stärkung der Rolle der UN im Bereich Handel und Entwicklung zur Förderung einer gerechteren Weltwirtschaft unerlässlich. Die Kernbotschaft war, dass vor dem Hintergrund der heutigen Wirtschafts- und Finanzsysteme die Verantwortung auf den Schultern der Verantwortlichen dieser Systeme liegt.

Christian Peschken ist U.N. Genf-Korrespondent für EWTN. Das Thema wird auch bei EWTN – Katholisches Fernsehen zu sehen sein im Rahmen des Magazins 'Vatikano'. Weitere Informationen zu Christian Peschken unter www.peschken.media

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