In diesen Tagen erscheint im Renovamen-Verlag das Buch "Der Sklavenstaat" des großen englisch-französischen Historikers Hilaire Belloc, das erstmals vor mehr als hundert Jahren in englischer Sprache erschienen war. Bei der vorliegenden deutschen Ausgabe handelt es sich um eine behutsam überarbeitete Neuauflage der Übersetzung von Arthur Salz.

Wer sich ein bisschen mit Hilaire Belloc befasst hat, weiß, dass er eine der Persönlichkeiten war, welche die wirtschaftliche Theorie des Distributismus entwickelt und gefördert haben. Darum geht es in "Der Sklavenstaat" allerdings nicht. Stattdessen versucht Belloc zu zeigen, dass die gegenwärtige Entwicklung (im England zu Beginn des 20. Jahrhunderts) dazu tendiere, eine Art Sklaverei wiederherzustellen.

"Unsere freie moderne Gesellschaft, in der einige wenige das Eigentum an den Produktionsmitteln haben, befindet sich notwendig im labilen Gleichgewicht und hat die Tendenz, eine stabile Gleichgewichtslage dadurch zu erreichen, dass den Produktionsmittelbesitzern ein vollgültiger Rechtsanspruch auf gesetzliche Arbeitspflicht der Schichten, die keine Produktionsmittel besitzen, erteilt wird." Eine solche Pflicht zur Arbeit sei letztlich Sklaverei, so Belloc.

"Der Sklavenstaat" ist alles andere als leicht zu lesen. Mit weit weniger als 200 Seiten ist das Buch äußerst kompakt. Gedankengänge werden in aller Kürze präsentiert. Das Vokabular der Wirtschaftswissenschaften dürfte vielen Lesern eher fremd sein. Beispiele für die beschriebenen Vorgänge gibt es nur selten. Leider sind manche Anspielungen auf die Situation in England vor rund hundert Jahren für den heutigen Leser kaum nachvollziehbar. Einige Fußnoten versuchen, Abhilfe zu schaffen, aber es hätte umfangreicherer editorischer Tätigkeit bedurft.

Erhellend, und vergleichsweise leicht verständlich, ist der historische Überblick in den ersten Kapiteln. Hier erläutert Belloc, wie es von einer Gesellschaft, in der Sklaverei selbstverständlich war, zu einer Gesellschaft kam, die durch den Einfluss des Katholizismus die Sklaverei nicht nur abgeschafft hatte, sondern: "Das Privateigentum war eine mit dem Staate untrennbar verbundene Einrichtung, deren sich die große Masse der Bürger erfreute. Genossenschaftliche Anstalten, freiwillige Regelungen der Arbeit beschränkten den völlig freien Gebrauch des Eigentums durch die Besitzenden nur zu dem Zwecke, um diese Einrichtung unversehrt zu erhalten und die Einverleibung des kleinen durch das große Eigentum zu verhindern." Doch mit der Reformation gegen Ende des Mittelalters hatte diese Entwicklung ein Ende. Damals wurden der Kirche ihre Besitzungen weggenommen und ohnehin schon reichen und einflussreichen Personen übergeben. Die so begonnene Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichts kulminierte im England zur Zeit von Hilaire Belloc in den beinahe unüberwindbaren Gegensätzen von Kapitalisten und Proletariat.

Sklaverei in der modernen Gesellschaft

Wieso spricht Belloc allerdings von Sklaverei? Dies ist nicht leicht ersichtlich. Er schreibt: "Die Haltung des Proletariats im heutigen England (d. h. die Haltung der weitaus überwiegenden Mehrheit aller englischen Familien) gegenüber dem Eigentum und gegenüber jener Freiheit, die allein durch Eigentum zu erlangen ist, beruht nicht mehr auf Erfahrung oder Hoffnung. Sie betrachten sich selbst als Lohnempfänger. Die wöchentliche Abfindung des Lohnempfängers zu vergrößern, ist das Ziel des Strebens, das sie leidenschaftlich begehren und zu erreichen suchen. Aus dem Lohnarbeiterverhältnis hinauszutreten, würde ihnen als etwas gänzlich außerhalb der Lebenswirklichkeiten Liegendes erscheinen." Hier bereits von Sklaverei zu sprechen, ist allerdings eher nicht gerechtfertigt.

"Wenn jemand an diese Millionen Familien, die jetzt ein Lohnarbeiterdasein führen, mit dem Vorschlag heranträte, einen Dienstvertrag auf Lebenszeit zu schließen, der ihnen Daueranstellung und einen Lohnsatz sichere, den ein jeder als seinen herkömmlich vollen Arbeitsertrag ansieht, wie viele würden sich ablehnend verhalten? Ein solcher Vertrag würde natürlich einen Verlust an Freiheit bedeuten; ein Vertrag auf Lebenszeit der geschilderten Art ist, streng genommen, überhaupt kein Vertrag. Er ist die Verneinung des Vertrags und die Hinnahme eines Status oder Standes. Wer diesen Vertrag eingeht, übernimmt eine Verpflichtung zur Zwangsarbeit, und zwar für die Dauer und im Ausmaße seiner Arbeitsfähigkeit." Es scheint, als sei die Alternativlosigkeit der springende Punkt. Belloc stellt die These auf, dass der einfache Arbeiter mit seinem Lohn gerade sich und seine Familie ernähren kann, aber nie in der Lage sein wird, zu sparen und selbst Eigentum zu erwerben, worunter besonders Eigentum an Produktionsmitteln zu verstehen ist.

Blickt man in die Gegenwart, so kann man die Gedankengänge des Autors teilweise nachvollziehen. Es gibt in Deutschland viele Leute, die sich in ihrem Beruf kaum über Wasser halten können. Gleichzeitig gibt es in Deutschland immer noch viele kleine Familienunternehmen. Man denke beispielsweise besonders an Handwerksbetriebe.

Wie realistisch sind Veränderungen?

Robert Hickson beschäftigt sich in seinem Vorwort auch mit der Frage, wie realistisch es denn sei, dass die von Belloc präsentierte Lage der Gesellschaft sich je wieder ändert: "Seiner Beschreibung der ökonomischen Tugenden der Christenheit, die gewissermaßen immer mehr zunahmen und sich verwurzelten, lässt Belloc im Verlauf seines Buches die Erklärung folgen, warum solch eine Zivilisation und Kultur in der modernen Welt wahrscheinlich nicht wieder aufkommen könnte, erst recht nicht in so schneller und plötzlicher Weise. Ebenso zweifelte Belloc daran, dass die Bürger heutzutage (Stand: 1913) gewillt wären, die mit privatem (Klein-)Eigentum verbundenen Verantwortungen und Belastungen zu tragen. Für Belloc stand die Frage im Raum, inwieweit Männer und deren Familien noch daran interessiert sind, Privatland zu besitzen, das für die Agrarproduktion taugt und bewirtschaftungsfähig ist. Daher erwartete er durchaus nachvollziehbar, dass – zumindest in England – die moderne Zivilisation und die Masse der Gesellschaft weiterhin in die Knechtschaft abdriften würde, namentlich in den dauerhaften und alles durchdringenden Sklavenstaat."

Dies ist tatsächlich eine gute Frage. Es ist nicht zu bestreiten, dass der Kapitalismus, verglichen mit der Situation vor nur einem Jahrhundert, für einen ungeheuren Reichtum von Millionen Menschen gesorgt hat. Sind die Menschen, besonders in den wohlhabenden Ländern Europas und Nordamerikas, bereit, ihren Lebensstil zu opfern, um der von Hilaire Belloc bevorzugten Gesellschaftsordnung Raum zu geben? Ist nicht die Sklaverei, die Belloc prognostizierte, einer anderen, subtileren Art von Sklaverei gewichen? Hickson vermutet diesbezüglich: "Würde er heutzutage schreiben, enthielte sein Werk wahrscheinlich auch einen Abschnitt über das Wesen und die knechtischen Auswirkungen moderner Technologien und würde einige 'bahnbrechende Technologien' und moderne Formen unserer 'elektronischen Knechtschaft' miteinbeziehen." Eines ist jedoch klar: "Der Sklavenstaat" bietet den Stoff für angeregte Diskussionen nicht nur engagierter Christen, sondern auch jener Menschen, die angesichts der Errungenschaften der modernen Gesellschaft desillusioniert sind.

 

Hilaire Belloc, Der Sklavenstaat. Vom Verlust von Eigentum und Freiheit, ist im Renovamen-Verlag erschienen und hat 180 Seiten.

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