16. April 2019
Festlich begangen werden in katholischen Familien oft Namenstage. Auch im Hause Ratzinger ist der Geburtstag eher dezent präsent. Gleichwohl denken viele Katholiken, in der bayerischen Heimat, in Deutschland und auf der ganzen Welt, in treuer Dankbarkeit und großer Verbundenheit am 16. April 2019 an den hohen Geburtstag des verehrten Jubilars.
Vor wenigen Tagen mag sich ein positives, staunendes "Che sorpresa!" – welche Überraschung! – auf den Gesichtern vieler Katholiken abgezeichnet haben. Benedikt XVI. legte klare, klärende Überlegungen vor, mitunter pointiert formuliert. Eine substanzielle, souveräne und hellsichtige Kritik der gegenwärtigen Kirchenkrise und zugleich der postmoralischen Gesellschaft unserer Zeit wurde öffentlich bekannt. Unser oberster Emeritus hat sich zu Problemen geäußert, die gegenwärtig vielen Katholiken Anlass zu begründeter Sorge bieten. Nicht nur einige Professoren – mutmaßlich geleitet von reformerischen, reformatorischen Absichten – platzierten wie zu früheren Zeiten spektakulär wie effektvoll Thesen und Meinungen, sondern auch einige Bischöfe in Deutschland, die doch zu Lehrern des Glaubens bestellt sind, äußerten ähnliche Gedanken und dachten öffentlich über ihrer Meinung nach zeitgemäße Erneuerung der Kirche nach. Man darf freilich nicht vergessen, dass vernünftige, besonnene Bischöfe, die das Wohl und den Glauben der "Kleinen", nämlich der ganz normalen, unauffälligen, einfach gläubigen Christen, im Blick haben – genannt seien exemplarisch die Kardinäle Gerhard Müller wie Rainer Maria Woelki und der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer – sich deutlich von dem neukatholischen Zeitgeist abgrenzten. Ein sicheres Erkennungsmerkmal übrigens ist, dass öffentlich romtreu auftretende wie argumentierende Bischöfe, die sich zur Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte bekennen und eine modernistische, beliebige Neugestaltung dieser ablehnen, sogleich in säkularen, aber auch in manchen kirchlichen Medien gern als "konservativ" oder auch "restaurativ" bezeichnet werden. Wer zum Evangelium sich bekennt und zur Kirche steht – gelegen oder ungelegen –, an dem nimmt die Welt Anstoß. Manche Bischöfe möchten heute eine künstliche Aufbruchstimmung erzeugen. Sie wecken besonders bei etablierten Kirchenkritikern Hoffnungen. Das alles sieht und erkennt auch der emeritierte Papst in Rom.
Benedikt XVI. hat, als Präfekt der Glaubenskongregation und im Petrusdienst, von den Sorgen und Nöten vieler Katholiken in Deutschland gehört und diese sensibel wahrgenommen. Er wusste und weiß bis heute, dass es nur eine einzige Erneuerung der Kirche geben kann – eine christozentrische Erneuerung, die mit der je eigenen Bekehrung beginnt. Er wusste und weiß, dass die Kirche heilig ist – in, mit und durch Christus – und mitnichten ein Verbund von klugen Tugendbolden, rhetorisch begabten Moralisten, verkannten Propheten und frömmelnden Bescheidwissern. Er wusste und weiß, dass Gläubige und Suchende nicht nach neuen politischen Bekundungen verlangen, wenn sie in die Kirche gehen. Sie wollen sich auch nicht irgendwelchen modern-reformatorischen Fantasien ausliefern, sondern sich Christus hinschenken. Benedikt wusste und weiß bis heute, dass Gläubige und Suchende hungrig sind, sich verzehren nach dem Brot des Lebens – und erfüllt sind von der Sehnsucht nach Gott. Er wusste und weiß, dass die Kirche eine Pilgergemeinschaft der erlösungsbedürftigen Sünder ist, die Familie Gottes, die nicht heilig ist, sich aber auf dem Weg der Heiligung befindet. Benedikt wusste und weiß, dass die Kirche jung ist und lebt, auch in trüben, düsteren Zeiten, weil die Lichtspur des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe, weil Christus in ihr sakramental gegenwärtig ist und bleibt.
Von tiefem Gottvertrauen erfüllt, orientiert an den Vorbildern der Heiligen, betet der emeritierte Papst für die Kirche und somit für uns alle. Erinnert sei an die Worte, die Benedikt bei der letzten Audienz seines Pontifikates, am 27. Februar 2013 gewählt hat: "Gott leitet seine Kirche, er stützt sie immer, auch und vor allem in den schwierigen Momenten. Verlieren wir niemals diese Sicht des Glaubens, die die einzig wahre Sicht des Weges der Kirche und der Welt ist. Möge in unserem Herzen, im Herzen eines jeden von uns immer die frohe Gewissheit herrschen, dass der Herr uns zur Seite steht, uns nicht verlässt, uns nahe ist und uns mit seiner Liebe umfängt."
Freuen dürfen wir uns in diesem Jahr besonders auf die neuen Bände in der Reihe der "Gesammelten Schriften", nämlich auf die Predigten, die im Sommer dieses Jahres vom Regensburger Institut Papst Benedikt XVI. publiziert werden – ein kostbarer Schatz wird uns erschlossen werden, der hoffentlich zu geistlichen Vertiefungen anregt und auch die akademische Lehre befruchten und bereichern sollte. Wir brauchen diese Worte der Ermutigung, diese Worte des Glaubens so sehr.
Benedikt sprach in seiner Abhandlung vom 11. April 2019 von der Erfahrung des Martyriums. Auch in Deutschland heute haben es etliche Katholiken nicht leicht – von außen besehen –, sich zum unverfälschten Glauben der Kirche zu bekennen. Die Verhöhnung reicht weit bis in die Gemeinden und auch in die Universitäten hinein, man könnte sagen: Unter Katholiken hat es ein bekennender Katholik manchmal sehr, sehr schwer. Wir möchten vielleicht schmunzeln, aber so ist es nicht gemeint. Ein Beispiel dazu: Ich erinnere mich – es ist eine Weile her, ich war 20 Jahre alt, ein junger Student – an eine Aussage in einem Seminar, vorgebracht von einer Studentin, die offenbar schon einiges erlebt hatte und unwidersprochen sagte: "Es gibt ja heute immer noch Primitive, die an Gott glauben." Und heute? Die Erfahrung des Kreuzes bleibt und weitet sich aus.
Wie viele aufrichtig gläubige Christen müssen die Abweisung und den Spott heute erleben und ertragen? Tieftraurig vernehmen viele fromme Katholiken, wenn sich Bischöfe mit Gruppierungen wie "Wir sind Kirche!" solidarisch erklären. Welche Häme muss ein Mensch aushalten, der die Enzyklika "Humanae vitae" des heiligen Pauls VI. befolgt, danach lebt und die unverfälschte Morallehre der Kirche auch für zukunftsweisend hält? Die Feindseligkeit hat viele Gesichter. Benedikt XVI. zeigt deutlich – wie dankbar sind wir in diesen Tagen dafür –, dass die katholische Moraltheologie heute nicht als eine verständnisvolle Apologie des Bestehenden auftreten sollte. Eine geistige Orientierungslosigkeit wie geistliche Unbehaustheit hat weite Teile der Gesellschaft erfasst. Die Sexualisierung der Gesellschaft erweist sich als so verstörend wie folgenreich, die Relativierung des Naturrechts ist skandalös. Eine Flucht ins Unverbindliche scheint sich auszuweiten. Statt der Abwendung von der Sünde erfolgt die Abkehr vom Sakrament der Buße und von der gültigen Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte. Benedikt rät darum nachdrücklich: "Das Thema Gott scheint so unwirklich, so weit von den Dingen entfernt, die uns beschäftigen. Und doch wird alles anders, wenn man Gott nicht voraussetzt, sondern vorsetzt. Ihn nicht irgendwie im Hintergrund belässt, sondern ihn als Mittelpunkt unseres Denkens, Redens und Handelns anerkennt." Die Idee, eine selbstgestaltete Kirche zu entwickeln, sei nichts als ein "Vorschlag des Teufels". Er bekräftigt:
"Die Kirche Gottes gibt es auch heute, und sie ist gerade auch heute das Werkzeug, durch das Gott uns rettet. Es ist sehr wichtig, den Lügen und Halbwahrheiten des Teufels die ganze Wahrheit entgegenzustellen: Ja, es gibt Sünde in der Kirche und Böses. Aber es gibt auch heute die heilige Kirche, die unzerstörbar ist. Es gibt auch heute viele demütig glaubende, leidende und liebende Menschen, in denen der wirkliche Gott, der liebende Gott sich uns zeigt."
Mancher von uns mag sich vielleicht fragen: Was könnten wir unserem lieben und verehrten "Papa emerito" eigentlich schenken? Am 11. April hat er uns ein großes Geschenk gemacht, indem er uns teilhaben ließ an seinen Gedanken und Hoffnungen mit Blick auf die Kirche des Herrn in unserer Zeit. Benedikt XVI. ist ein Zeuge des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe. Er spricht einfach von Gott, und er trägt uns alle in seinen Gebeten. Erinnern möchte ich noch gern an eine vielleicht vergessene Überlegung. Im Dezember 2014 äußerte sich der emeritierte Papst Benedikt XVI. im Gespräch mit dem Journalisten Jörg Bremer, dass er am liebsten "Vater Benedikt" genannt sein wollte, dies aber in den Tagen des Amtsverzicht nicht habe durchsetzen können. Ja, unser Vater Benedikt begeht seinen 92. Geburtstag. Einen wahrhaft väterlichen, ja kirchenväterlichen Rat haben einige gelegentlich von ihm empfangen dürfen – und die väterliche Sorge spiegelt sich auch in seinen jüngst publizierten Überlegungen.
So mögen wir unserem guten Vater Benedikt heute Gottes reichen Segen zu seinem 92. Geburtstag wünschen, ein herzliches "Vergelt’s Gott" sagen für seinen Dienst. Das Almosen des Gebetes wollen wir dem Papa emerito jederzeit schenken. Ad multos annos, lieber Padre Benedetto!
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