26. Mai 2019
Die abgebildete Landschaft auf dem Buchumschlag steht zum Auge des Betrachters um 90 Grad verdreht. Also quer zum Buchtitel. Das ist eine Affektion der Gestaltung beim Berlin Verlag. Aber dieser Roman liegt tatsächlich quer. Die Kölner Journalistin und Autorin Husch Josten hat sich mit ihrem Buch und dem - alles und nichts sagenden - Titel "Land sehen" an ein innerkirchliches Thema herangewagt, aber verhandelt dieses letztlich nicht.
Inwiefern sie der Frage nach der Suche der eigenen Identität ihrer Protagonisten so näher kommt, das kann wiederum nur jeder Leser für sich beantworten.
Dieses 240-Seiten-Werk ist also weder Kirchen- noch Klosterroman, auch wenn es bei der Geschichte von "Land sehen" um den Glauben geht. Nicht um irgendeinen Geisterglauben, sondern den katholischen. Die Autorin nimmt durchaus geschickt einen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil nicht überwundenen Streit in der katholischen Kirche auf. Was scheint geeigneter zu sein, als extreme Positionen aufeinandertreffen zu lassen, um dieses Thema streitbar zu führen?
Husch Josten bedient sich zweier Romanfiguren: Einen Literaturprofessor mittleren Alters, getrennt von seiner Frau lebend, aber immer wieder verschiedene Partnerschaften führend, und natürlich in einer ständigen Lebenskrise befindend. Ihm stellt sie eine zweite Romanfigur gegenüber. Ein bereits älterer Herr, der Onkel der ersten Person, ein früherer Lebemann, der nichts im Leben ausgelassen hat, aber irgendwann einen Schnitt mit seiner Vergangenheit gemacht und Mönch einer traditionalistischen Benediktinergemeinschaft geworden ist. Jahrzehnte haben sich die beiden Männer nicht mehr gesehen. Nun begegnen sie sich in Bonn.
Jener Benediktiner, der ausgerechnet auch noch den Ordensnamen Athanasius trägt, und hier wird es für die katholisch Frommen interessant, gehört zu den der Piusbruderschaft nahestehenden Benediktinern des Klosters "Notre-Dame de Bellaigue". In dieses französische und traditionalistische Benediktinerkloster ist also unser ehemaliger Hippie und Lebemann eingetreten. Nach der Ablegung der Mönchsgelübde wurde er zum Priester geweiht und sollte nun mit Hilfe der Piusbruderschaft in Deutschland eine Gründung vornehmen. Dazu ausersehen wurde das heruntergekommene ehemalige Kloster Reichenstein, das auf den Höhen der Eifel unweit von Monschau gelegen ist. Dort angekommen, will Athanasius unbedingt promovieren. Er erhält die Erlaubnis zum Studium in Bonn, von wo aus man wieder schnell in der Eifel und im Kloster Reichenstein sein kann. Der Mönch verlässt das Kloster und zieht in die Stadt, wo er in Zivil wohnt und lebt.
Hier begegnen sich der Literaturprofessor und sein Onkel. Während der Professor mehr oder weniger bereitwillig die Fragen des Mönchs in Zivil beantwortet und aus seinem Leben berichtet, verhält es sich mit jenem nicht so. Der Neffe wird aus seinem Mönchs- und Priester-Onkel nicht ganz schlau. Er erhält nicht nur kaum Informationen aus dessen Biografie, auch zu seinem Mönchsleben genügen dem Professor die Antworten des Onkels nicht. Daraufhin begibt der Neffe sich nach Maria Laach, dem bedeutenden Benediktinerkloster im Rheinland, unweit von Bonn. Hier will er diese Antworten erhalten.
In Maria Laach hat der Literaturprofessor Gelegenheit zum Gespräch mit einigen Mönchen. Er begegnet in den Aussagen desjenigen Mönches, mit dem er sich unterhält, dem "Geist des Konzils" und der modernen Sprache der heutigen katholischen Kirche, ihren nachahmenden Ideen des Mainstreams und vielen Phrasen über Barmherzigkeit und einen gemeinsamen Glauben. Ganz auf seinen Onkel bezogen stellt der Klostergast die Frage: "Was denken Sie: Könnte man glaubhaft Mitglied in einem Orden werden, ohne diese spezielle Gemeinschaft durchgängig zu wollen? … könnte man seine Mitbrüder und alle Welt täuschen?" Der Pater aus Maria Laach fragt daraufhin zunächst zurück, welche Gemeinschaft man denn schon durchgängig wollen könne, um dann seine Einschätzung mitzuteilen, dass es sehr ungewöhnlich wäre, wenn jemand bewusst in einen Orden eintrete, den man eigentlich ablehne.
In der konkreten Auseinandersetzung, was eine traditionelle Klostergemeinschaft und ihre Anhängerschaft von der modernen Kirche unterscheide, findet der Benediktinermönch vom Laacher See "keine Gebrauchsanweisung". Leider gebe es so etwas nicht, dass man lerne, "wie man sein Leben im Geist Gottes führt".
Es bleibt nicht bei dieser Aussage, die so stark der katholischen Tradition und Frömmigkeitsgeschichte widerspricht. Der fiktive Pater fährt im Gespräch mit dem Protagonisten fort: "Mein Stichwort für die Zukunft ist jedenfalls offensive Patchwork-Religiosität." Damit meine er "alle möglichen spirituellen Elemente aus fernöstlichen Religionen, Esoterik, New Age". Er sehe diesen "Mix von Praktiken und Glaubensinhalten" als "völlig normal" an, weil "die Menschen" heute mit "diesem Religionscocktail" aufwüchsen. "Warum sollen wir nicht fördern, was die Menschen wählen?"
Keine Frage, dass solchen Aussagen im Kontrast stehen zu dem, was etwa ein Mönch von Bellaigue oder von Reichenstein sagen würde.
Dieser Kontrast spiegelt sich auch in der weiteren Beschreibung der Abtei und der modernen Mönche von Maria Laach durch die Autorin. So schildert Josten den Handschlag des Mönchs, der seinen Gast empfängt, als ohne Druck, butterweich und seifig. Auch der Eindruck beim Besuch des Literaturprofessors in Klosterladen und Buchhandlung ist erhellend. Der Leser begegnet "kirchenbiederes Randsortiment. Bronzene Seelentröster für die Hosentasche. Getöpfertes Geschirr. Enthusiastisch verschlungene Glasarbeiten in schreienden Farben. In den Regalen dahinter die religiöse und belletristische Auswahl."
Der Literaturprofessor findet das Buchsortiment im Klosterladen "gleichermaßen freisinnig und unverbrämt" und kauft sich prompt "ein Werk zu Anstößigen Bibeltexten und ihren Erläuterungen".
Wie aber geht es weiter mit seinem Onkel? Nicht nur der im religiösen Leben gebildete Leser wird über diese Schilderung stolpern: Der vermeintlich stockkonservative Mönch aus Bellaigue und Reichenstein ist ein Getäuschter und ein Täuscher. Einer, der verwirrt sein muss und selbst verwirrt. Von Alkohol und Drogen kam er auf der Suche nach Heil zu einem strengen katholischen Orden. Die Mönche, die ihn aufnahmen, waren blind und erkannten den Blender nicht.
Nicht nur katholische Leser werden sich spätestens an dieser Stelle fragen: Hätte ein solcher Mann im Kloster wirklich eine Chance? Würde er denn überhaupt aufgenommen? Würde er die mindestens fünfjährige Probezeit überstehen? Der im Roman gezeichnete Charakter hätte nicht die Möglichkeit dazu gehabt. In der monastischen Ausbildungsstätte von Bellaigue hätte man ihn wieder weggeschickt.
Doch im Roman kommt es ganz anders – und das macht diesen Roman über den Glauben leider wenig glaubwürdig: Die Mönche nehmen den Täuscher auf und lassen ihn die Priesterweihe empfangen. Doch für diesen "Athanasius" war das nur eine Phase. Die Figur nimmt sich - als Mönch - die Freiheit, mit einer eigenen Website gegen die "radikalkatholische Website 'kreuz.net'" zu wettern, und seine Ansichten unter seinen über sechzehntausend Abonnenten zu verbreiten. Im Kloster ist man ahnungslos, dass für den neuen Mönch in Reichenstein "Selbstbestimmung und Freiheit für den Weg zur Wahrheit maßgeblich" sein sollen. Und dass er für seine Ideen reiche Geldgeber gewonnen hatte, die darum wussten, dass er ein anderes Kloster errichten wollte, eines, "in dem er nicht mehr als Mönch von Bellaigue, sondern mit Gleichgesinnten leben wollte".
So weit, so wirr, und dann kommt es doch, wie es offenbar kommen musste: Der Schwindel fliegt auf. Dem Klosteroberen bleibt keine Wahl, er muss Konsequenzen ziehen und eine Entscheidung treffen. Sein Prior sagt: "Ich kann nur vermuten, dass Du hier von Anfang an ganz eigene Pläne verfolgt hast."
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Nun ja. "Land sehen" ist eben ein Roman, kein Klosterroman, kein Glaubensbuch und natürlich nur eine gezeichnete Spur von Wahrheit und Wirklichkeit. Es geht um einen Anspruch, den der Leser mitgehen kann – oder auch nicht: Hier wird Literatur als Kunst mitverhandelt, und Kunst als etwas Unangreifbares, insofern Kunst so verstanden tun kann, was sie will und sagen, was sie will. Der Wahrheitsanspruch solcher Kunst ist "wertfrei", insofern alles gelten kann, alles gültig sein und richtig in seiner Beliebigkeit. Nicht die Wahrheit ist der entscheidende Wert für diese Kunst, so gesehen, sondern eher "Freiheit". Und wer möchte sich dieser schon entziehen? Offenbar sind die Vermischung von Teilwahrheiten und Fiktion das Mittel, die einen Roman spannend und interessant machen. Aber echt und wahr, wie das richtige Leben? Oder doch liegt das alles letztlich doch eher quer, wie der Umschlag zum Titel? Eine Antwort kann ein solches Buch nur schuldig bleiben.
Husch Josten, "Land sehen" ist im Berlin Verlag erschienen und hat 240 Seiten.
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