Als kürzlich der Essener Oberhirte Franz-Josef Overbeck bei einer Podiumsdiskussion in Bonn mit dem Präsidenten des deutschen Fußballmeisters und Pokalsiegers Bayern München, Uli Hoeneß, die  "Moralfrage" im deutschen Profifußball diskutierte, stichelte er vorwurfsvoll gegen den Sportfunktionär: "Bei achtzig Millionen könnte ich als Christ und Bischof fragen: Ist das sittlich noch erlaubt?". Schlagfertig entlarvte Hoeneß die bischöfliche Doppelmoral: "Sie können nur hoffen, dass er (der Spieler) in der katholischen Kirche ist. Bei etwa zehn Millionen Verdienst zahlt er vierhunderttausend Euro Kirchensteuer. Ich habe noch nie jemanden von der Kirche gehört, der dagegen gewettert hat."

In Rom sieht man die reiche deutsche Kirche freilich seit längerem kritisch. Papst Benedikt XVI. nahm schon 2011 den Kampf gegen "den Überhang des Geldes in der deutschen Kirche" mit seiner Freiburger Rede auf, in der er sehr deutlich eine materielle "Entweltlichung" verlangte. Sein Nachfolger Papst Franziskus wird noch konkreter, indem er sogar die so genannten "Stolgebühren" als unerträglich ablehnt. Dabei geht es darum, dass Gebühren für Taufen, Hochzeiten und die Spendung der Sterbesakramente erhoben werden, eine uralte Tradition und existenznotwendige Einrichtung für die Pfarrgemeinden in vielen Gegenden der Welt. Eine Kirche, die "Sakramente gegen Geld" tauscht, sei nicht seine Kirche, sagt der Papst und erklärt, er wolle "eine arme und demütige Kirche". Daher ist davon auszugehen, dass bald auch das deutsche Kirchensteuersystem ins kritische Blickfeld des argentinischen Papstes gerät. "Denn", so das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", "zwischen der Zugspitze und der Insel Sylt ist das Geschäft Sakramente-gegen-Geld perfekt automatisiert".

In Deutschland erhalten die katholische und die evangelische Kirche jeweils jährlich etwa sechs Milliarden Euro an Kirchensteuergeldern (Zahlen von 2017: katholische Kirche 6,43 Milliarden, evangelische Kirche 5,67 Milliarden) und darüber hinaus über eine halbe  Milliarde direkt aus Steuermitteln als Entschädigungszahlungen für vor zweihundert Jahren an Frankreich verlorene Gebiete, die früher in kirchlichem Eigentum waren. Die Kirchensteuern zieht der Staat von den zahlungspflichtigen Gläubigen über seine Finanzämter sozusagen als Inkassobüro ohne großen Mehraufwand, aber für eine hohe gewinnbringende Gebühr im dreistelligen Millionenbereich, ein. Ein finanzieller Vorteil für beide Seiten.

Es gibt in Deutschland zahlreiche ökumenische Bemühungen. Am stabilsten und belastbarsten scheint die Ökumene des Geldes zu sein. Werden doch Vertreter beider Konfessionen nicht müde, einhellig für den Erhalt der Kirchensteuer zu werben. Noch nicht lange ist es her, da wurde in Deutschland der fünfhundertste Jahrestag der Reformation begangen, bei dem die Figur Martin Luthers auch deshalb verklärt dargestellt wurde, weil er einer vom Geld abhängigen und korrupten Kirche den Kampf angesagt hatte. Doch was bei den unzähligen Beiträgen zu diesem Thema entgangen zu sein scheint, ist der Blick auf die Gegenwart. Martin Luther müsste sich heute im Grabe umdrehen, denn die von ihm kritisierte Praxis "wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt", ist nun – eine wahre Ökumene der Finanzen – auch in der evangelischen Kirche zum Kriterium für die Mitgliedschaft geworden. Und die katholische Kirche scheint nichts aus der Vergangenheit gelernt zu haben. Ein wesentlicher Punkt, den Luther an der Kirche kritisiert hatte, war der Ablasshandel. Die Kirche verkaufte so genannte "Ablassbriefe" an die Leute, die sich so von ihren Sünden befreien konnten, ohne Buße tun zu müssen oder Besserung zu geloben. Luther schrieb 1517 dagegen einen Brief an seinen zuständigen Bischof, der aber keine Beachtung fand. Vergleichbar ist die Situation heute mit der Kirchensteuer. Offenbar interessiert die Kirchenführung nicht mehr, ob die Menschen dem Evangelium glauben und die Gebote halten, sondern nur noch, ob sie die Steuer entrichten: "Wer zahlt, wird selig!"

So besteht heute vergleichbar mit der Situation vor der Reformation in Deutschland eine eng geschmiedete Allianz von Kirche und Staat, was der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz, Pater Hans Langendörfer, als "aus dem neunzehnten Jahrhundert gewachsene und eng mit der Geschichte Deutschlands verwoben" lobt. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass der "Kirchenaustritt" nicht vor dem Pfarrer oder dem Bischof bekundet wird, sondern vor staatlichen Behörden wie Standesamt oder Amtsgericht. Es geschieht im klaren Widerspruch zur römischen Anordnung zum Kirchenaustritt (von Papst Benedikt XVI. approbierte Normen des Päpstlichen Rates für Gesetzestexte vom 13. März 2006), in der zum wirksamen Akt eines Kirchenabfalls die Bekundung gegenüber der zuständigen kirchlichen Autorität erfolgen muss.

Der Jurist und Anwalt Ulrich Hering, der mehrere Mandanten rechtlich vertritt, die der kirchlichen Steuerfalle entkommen wollen, ohne den Zugang zu den Sakramenten zu verlieren, erklärt im Gespräch mit dem VATICAN-magazin: "Die deutschen Bischöfe verstoßen wider besseres Wissen gegen geltendes Kirchenrecht. Dies ist eine vorsätzliche Verkennung der Rechtslage." Denn es müsse klar unterschieden werden zwischen der Glaubensgemeinschaft als solcher und der beim Staat errichteten "Körperschaft öffentlichen Rechts". Der Advokat greift zu einem drastischen Vergleich: "Rechtlich gesehen könnten die Bischöfe von den Gläubigen genauso verlangen, dem Kaninchenzüchterverein ‚Wilde Rammler e.V.‘ beitragspflichtig anzugehören, um Mitglied in der katholischen Kirche bleiben zu dürfen.” Der formale Abfall von der Kirche bedarf nach weltweit verbindlichen Normen einer inneren Entscheidung und ihren konstitutiven Elementen. Schließlich geht es ja um den Glauben. Dazu reicht die Entfernung eines Namens aus einem staatlich verwalteten Kirchenmitgliedschaftsregister nicht aus.

Dabei gibt es zahlreiche Gläubige wie den Freiburger Professor Hartmut Zapp, der 2007 seinen Austritt nur als einen Austritt aus der Kirche als einer Körperschaft öffentlichen Rechts erklärte und gegenüber den kirchlichen Autoritäten ausdrücklich bekundete, katholisch und Mitglied der Glaubensgemeinschaft bleiben zu wollen. In jahrelangen Prozessen versuchte die Erzdiözese Freiburg, diesen Weg zu verhindern.

Für Rechtsanwalt Hering ist klar, dass die Androhung des Verlustes praktisch aller kirchlichen Rechte bei Verweigerung der Kirchensteuerzahlung als "Abschreckung" eingesetzt wird, damit Zahlungsunwillige nicht aus der katholischen Kirche als Körperschaft des öffentlichen Rechts austreten. Aber das sei nichts anderes als "Simonie, der Verkauf geistlicher Güter gegen Geld". Mit dem letzten Dekret der deutschen Bischöfe von 2012, das diese Strafen bestätigt, werde "das Mittelalter wieder eingeführt", weil es "nur um den blanken Mammon" gehe.

Dem widerspricht zwar Pater Langendörfer namens der Deutschen Bischofskonferenz und erklärt, das Dekret zum Kirchenaustritt sei nicht erfolgt, um der Kirche möglichst viele Kirchensteuerzahler zu erhalten, was er mit dem Hinweis belegen will, dass nur jeder dritte Katholik die Kirchensteuer überhaupt zahlen müsse. "Man kann sehr gut Katholik sein, ohne Steuern zu bezahlen", so der Jesuitenpater. Doch bestätigt diese Begründung die Kritiker, weil das ausschließlich für Menschen gilt, die ohnehin keine Einkommenssteuern und damit auch keine an die Einkommenssteuer gekoppelte Kirchensteuern zahlen. Mit Ausschluss bedroht wird nur, wer nach dem staatlichen Steuerrecht zur Abgabe von Steuern an den Staat verpflichtet ist, und den zwischen Staat und Kirche vereinbarten zusätzlichen Obolus für die Kirche nicht abführen will. 

Eine Kirche, die im Blick auf Gesellschaft und Medien sich gern als dialogisch gibt, verweigert im Hinblick auf das Geld jedes Gespräch. Die Frohbotschaft wird also gleich zur Drohbotschaft, denn wer nicht in der geforderten Weise zahlt, dem drohen schlimmste Konsequenzen, die der Maximalstrafe kirchlicher Gerichtsbarkeit entsprechen und kirchenrechtlich in Deutschland schlimmer bestraft werden als Missbrauch an Minderjährigen. Die von Papst Franziskus immer wieder eingeforderte Barmherzigkeit praktiziert die Kirche mit ihrem Finanzgebaren hierzulande noch lange nicht. Wer nicht zahlt, fliegt raus, Dialog wird verweigert, Alternativmöglichkeiten werden ausgeschlossen, nur ein Weg bleibt offen: Rückkehr zum Überweisungsträger. Zwar stellen selbst Bischöfe inzwischen jedes Dogma in Frage und laden großherzig zur Diskussion ein, aber über den für jeden Christen verpflichtenden Beitrag und die Art und Weise, wie er zu entrichten ist, gibt es keinen Dialog.

Der Vatikanexperte Sandro Magister schimpfte schon Ende 2014 auf seinem Blog: "Die deutschen Bischöfe sind die Barm­herzigsten, wenn sie die Kommunion den geschiedenen Wiederverheirateten geben wollen. Aber die Unbarmherzigsten, wenn sie diejenigen de facto exkommunizieren, die sich weigern, die Kirchensteuer zu zahlen." Ähnlich deutlich formulierte es Erzbischof Georg Gänswein, der Leiter des Päpstlichen Hauses, in einem Interview mit der "Schwäbischen Zeitung": "Man kann Dogmen in Frage stellen, das tut keinem weh, da fliegt keiner raus. Ist das Nichtbezahlen von Kirchensteuer ein größeres Vergehen gegen den Glauben als Verstöße gegen die Glaubenswahrheiten?" Der Eindruck entsteht, dass die Kirche(n), deren Mitglieder rasant schwinden, mit aller Macht ihre finanziellen Sicherheiten zu erhalten suchen. Offenbar fürchten sie, ohne hohe und sichere Geldbeträge in die gesellschaftspolitische Bedeutungslosigkeit zu gleiten. Dabei könnte gerade die Befreiung von der Kirchensteuer die kürzlich prognostizierten horrenden Austrittszahlen, nach denen in den nächsten dreißig Jahren die Hälfte aller Gläubigen die Kirche verlassen, mindern. In den Kirchenleitungen denkt man aber ängstlich nur noch, wie man den "finanziellen Supergau" verhindern kann. Der Wiener Pastoraltheologe Paul Michael Zulehner konstatiert: "Es wird nur noch von Geld und nicht mehr von Gott geredet."

Die gegenwärtige Situation ist mehr als grotesk, zumal die von Martin Luther angeprangerte Ablasspraxis weit in den Schatten gestellt wird. Wenn sich beispielsweise ein Katholik bereit erklärt, seinen vom Kirchengebot geforderten Beitrag zu entrichten (oder sogar noch mehr zu spenden), sein Geld aber einer Ordensgemeinschaft, einem kirchlichen Projekt in der Mission oder sozialen Einrichtungen zukommen lassen möchte, statt die Kirchensteuer formal zu entrichten, dann drohen auch ihm die Folgen des Ausschlusses. Selbst eine Person, die von kirchlichen Mitarbeitern missbraucht worden ist, muss weiterhin die "Zwangskirchensteuer" entrichten, die dann auch dafür verwendet wird, um Entschädigungen für die Missbrauchsopfer zu zahlen. Spätestens hier wird die Absurdität einer Praxis deutlich, die so nicht weiter bestehen darf.

Der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke hat als erster und bisher einziger deutscher Bischof in diesem Frühjahr dazu aufgerufen, über Alternativen zur Kirchensteuer nachzudenken. "Mehr Zeugenschaft und Nachfolge Jesu, weniger Institution und Verfasstheit", heißt seine Zukunftsperspektive. Das, so Hanke, bedeute auch, bereit zu sein, auf Privilegien zu verzichten und die Kirchensteuer als "enges Junktim von Gnade und Geld" zu hinterfragen.

Die begründeten Stimmen gegen das bestehende Kirchensteuersystem werden lauter. "Alles, was keine Kirchensteuer braucht, ist zukunftsfähig", sagt Paul Michael Zulehner. Andere stellen laut der Frage, wie zukünftige Generationen die hartherzige Praxis kirchlichen Geldeintreibens bewerten werden. "Geld erstickt alles in der Kirche. Volle Konten und leere Kirchen, das ist doch ein wahnsinniger Widerspruch", stellt der frühere Fernsehjournalist und EKD-Synodale Peter Hahne fest.

Es steht außer Frage, dass ein Ausstieg aus dem bisherigen System Deutschlands Kirchen ärmer machen würde. Das Katastrophen-Szenario, das die Befürworter des alten Versorgungssystems für diesen Fall an die Wand malen, beeindruckt den Publizisten Peter Seewald wenig. "Das viele Geld hat die Kirche hierzulande verändert, und ein Mangel an Geld wird die Kirche wieder verändern, diesmal zum Besseren", erklärt der Papst-Benedikt-Biograf gegenüber dem VATICAN-magazin lapidar.

Der Leiter des Instituts für Sozialstrategie, Ulrich Tempel, unterstützt Bischof Hankes Plädoyer für "Freiwilligkeit" bei der Beitragszahlung und fordert, "Abschied zu nehmen vom bisherigen Modell und neue Wege zu gehen". Ein möglicher könnte der italienische sein. Dort zahlt jeder die so genannte Kultursteuer, die übrigens nur etwa zehn Prozent der deutschen Kirchensteuer beträgt. Jeder kann selber festlegen, wem er das Geld zukommen lassen will: der katholischen Kirche, der Mailänder Scala oder einem Umweltverband. Und kein Katholik, der seine Kultursteuer nicht an die Kirche entrichtet, sondern beispielsweise einer Umweltschutzorganisation überlässt, wird deshalb von der Kirche mit Strafe oder gar Ausschluss bedroht.

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Die Angst der reichsten Kirche der Welt vor dem Verlust ihrer materiellen Güter ist groß. Und mancher deutschsprachige Kirchenobere wird sich über Hankes Vorschlag erschrocken haben, der auf Holland verweist, wo Bischöfe nur tausend Euro im Monat zur Verfügung haben, die dazu hin allein aus freiwilligen Spenden der Gläubigen stammen. Um die frohe Botschaft  wieder zum Mittelpunkt der deutschen Kirche werden zu lassen, braucht es eine Befreiung aus dem engmaschigen Finanzsystem, dass die Kirche einschnürt und vielen Gläubigen die Freiheit nimmt, sich für den Glauben zu entscheiden. Die deutsche Kirche muss die Mahnung Jesu wieder ernst nehmen und darf nicht weiter zwei Herren dienen, Gott und dem Mammon (Mt. 6,24).

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Vatican-Magazin.

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