1. Oktober 2019
In den Heiligen ist uns die "Lichtspur des Glaubens" (Benedikt XVI.) gegenwärtig. Niemand von uns würde, mit Blick auf die Aufgaben und Herausforderungen der Kirche in unserer Zeit so wenig wie in Hinsicht auf das eigene Leben und das unserer lieben Angehörigen, bestreiten, dass wir dieses Licht von Oben her so sehr nötig haben. Die Heiligenverehrung ist ein kostbares Gut, ein Schatz der Kirche und ihrer treuen Gläubigen.
Kardinal Ratzinger hat, als er zum 70. Geburtstag das Erinnerungsbuch "Aus meinem Leben" vorgelegt hat, nachdenklich daran erinnert, dass in unserer Zeit weniger die großen Gelehrten zur Ehre der Altäre erhoben wurden, sondern dass in einer wissenschafts- und technikgläubigen Zeit besonders den scheinbar kleinen Heiligen tiefe Verehrung zuteil wurde. Er nannte Bernadette Soubirous, Bruder Konrad von Parzham und Theresia vom Kinde Jesus.
Auch viele einfach gläubige Katholiken heute sind der "kleinen Theresia" tief verbunden, deren Gedenktag – vielleicht hätte sie auch über diese "Verlegung" eher geschmunzelt als sich empört – im alten Liturgiekalender am 3. Oktober, nach der Reform von 1970 aber schon am 1. Oktober begangen wird. Verstorben ist sie am 30. September 1897. Heute wird die Nähe zum Todestag nicht selten bei Heiligenfesten gesucht und entsprechend berücksichtigt. Mir scheint, dass es gar nicht falsch ist, der heiligen Theresia an beiden Tagen in frommer Meinung zu gedenken.
Heiligenverehrung ist eine Herzensangelegenheit, die trotzdem oder vielleicht auch gerade deswegen nicht vernunftwidrig ist. Heiligenverehrung ist auch nicht Heiligenverklärung. Wer Heiligen sich zugetan weiß, von ihnen berührt und auch geführt zu sein scheint, der sucht ihre Nähe und möchte sie tiefer verstehen. Dieses Verstehen umfasst stets die ganze Person. Dies schließt die Vergegenwärtigung der Besonderheiten mit ein, die mitunter auch befremdlich oder sogar verstörend sein können. Heilige sind Menschen mit Eigenschaften, und sie werden nicht als Moralapostel verehrt. Jedes Jahr an Allerheiligen wird uns das bewusst, wenn wir daran denken, wen der Herr ganz tief in seine Nachfolge gerufen hat. Vielen Gläubigen ist die heilige Theresia ans Herz gewachsen, und sie sind ihr in Zuneigung verbunden. Bald nach ihrem Tod wurde sie angerufen und verehrt. So viele Gläubige bettelten darum, zu ihr wie zu einer Seligen, ja zu einer Heiligen beten zu dürfen.
Ida Friederike Görres berichtet in ihrem schönen Buch "Das verborgene Antlitz" (Verlag Herder 1946) davon. Auch heute – und abseits aller kirchenpolitischen Aufgeregtheit und auch fern der geistlichen Dürre, die so oft bis in unsere Kirche hineinzureichen scheint – gehen viele Gläubige ihren Weg mit, lesen und meditieren ihre Texte und wissen sich danach bestärkt oder auch erheitert. Die heilige Theresia hatte auch einen gesegneten Humor. Sie spricht sehr ernsthaft etwa über geistliche Literatur. Auch viele von uns haben das Bedürfnis, ständig neue erbauliche Schriften zu lesen oder über alles informiert zu sein. Ich kenne das gut, in meinen Jahren der Philosophie und Theologie, trieb mich zuweilen eine große Neugier nach Büchern, Schriften und Werken bedeutender Denker gestern und heute an. Die heilige Theresia berichtet auch, wie sehr sie geistliche Nahrung suchte und teilt offenherzig ihre Enttäuschungen mit. Versonnen lese ich noch heute, zustimmend, wie sie dann schreibt:
"Später hinterließen alle Bücher in mir nur Trockenheit, und so geht es mir noch heute. Wenn ich ein Buch eines geistlichen Autors öffne (sei es noch so schön oder ergreifend), fühle ich sofort, wie sich mir das Herz zusammenschnürt. Dann lese ich sozusagen ohne zu verstehen, oder wenn ich verstehe, dann bleibt mein Geist dabei stehen, ohne betrachten zu können …"
Heute denke ich dann, und so mag es auch ihr ergangen sein: Muss ich das wissen? Muss ich das wirklich lesen? Muss ich diesen Vortrag hören? Muss ich mich mit diesen Fragen und Gedanken beschäftigen? Wir kennen vielleicht auch diese Erfahrung, manche etwas mehr als andere. Der heilige Bruder Konrad sagte: "Das Kreuz ist mein Buch." – Ich habe mit den Jahren diesen Gedanken oft ins Gegenteil verkehrt und mir eine lachende Theresia vorgestellt, wenn ich seufze: "Die Bücher sind mein Kreuz."
Unsere Heilige wollte aber von einem Buch nicht lassen: "Vor allem das Evangelium hält meine Betrachtung in Gang. In ihm finde ich alles, was meine arme kleine Seele nötig hat. In ihm stoße ich ständig auf neue Erleuchtungen und verborgene und geheimnisvolle Bedeutungen … Jesus braucht keine Bücher oder Lehrer, um Seelen zu unterweisen. Er, der Lehrer aller Lehrer, unterrichtet ohne das Lärmen der Worte …" (Therese von Lisieux, Geschichte einer Seele, hrsg. v. Andreas Wollbold, Verlag Herder/Freiburg im Breisgau 2016, 227 f.)
Wenn wir Theresias Schriften von innen her lesen und an ihr Leben im Glauben denken, wissen wir vielleicht unmittelbar, warum diese kleine große Heilige vom heiligen Johannes Paul II. zur Kirchenlehrerin erhoben wurde. Die heilige Theresia vom Kinde Jesus hat der Liebe geglaubt, der Liebe, die "im Innersten des Herzens nur einen demütigen und tiefen Frieden" (ebd., 227) hinterlässt.
Heilige Theresia vom Kinde Jesus, bitte für uns.
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