5. Oktober 2019
In der Mitte dieses Buches, im 8. Kapitel, das mit "Hass, Spott und Hohn" überschrieben ist, finden sich die folgenden Zeilen von Kardinal Robert Sarah:
"In der postmodernen Welt wird die Ewigkeit kommerzialisiert. Wenn alle stark und ewig sind, wird selbst in der besten Welt die Nächstenliebe verschwinden: eine Hölle auf Erden. Die Kirche darf nicht mittelmäßig sein. Wenn sie die prometheischen Träume unserer Epoche nicht deutlich verurteilt, bleibt sie weit hinter ihrem göttlichen Auftrag zurück. (...) Wenn sie sich der Zeit anpasst, entfernt sie sich von Gott. Die Gefahr ist groß."
Als drittes Interviewbuch ist nach "Gott oder nichts" und "Kraft der Stille" nun "Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden" im FE-Verlag erschienen. Alle drei beruhen auf Gesprächen zwischen dem französischen Journalisten Nicolas Diat mit Kardinal Robert Sarah. In allen drei Bänden beschäftigen sich die Gesprächspartner auch mit den Strömungen des Zeitgeistes, die inzwischen im Innersten der katholischen Kirche angekommen sind.
Der nun vorliegende Band widmet sich in ganz ausdrücklicher Weise der gegenwärtigen Glaubenskrise. "Herr bleibe bei uns" ist in vier große Abschnitte gegliedert: Teil I beschreibt den geistlichen und kirchlichen Niedergang; Teil II trägt den Titel "Der herabgesetzte Mensch"; im III. Teil beschäftigen sich Diat und der Kardinal mit dem "Untergang der Wahrheit", dem Sittenverfall und den politischen Fehlentwicklungen. Im IV. Teil, der einen positiven Ausblick gewähren möchte, werden die vergessenen Kardinaltugenden der Christen vorgestellt und verdeutlicht, was mit der Notwendigkeit der "Einübung der göttlichen Tugenden" auf sich hat.
"Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden" beginnt nicht mit einem expliziten Vorwort. Unter der Überschrift "Das Geheimnis des Judas Iskariot" lesen wir die schwer wiegenden Worte Kardinal Sarahs: Die Kirche ist "zu einem dunklen Loch geworden".
Nach einer ersten Erhebung des Zustandes der Kirche und der Feststellung, dass ihm bewusst sei, seine Worte seien für viele Leser schockierend, benennt er die Säulen, auf denen die Kirche steht, und bezeichnet sie als "das Fundament unserer Seele und die Basis all unserer Handlungen". Sodann geht er erhellend sowie tief geistlich und praktisch auf diese Säulen ein: das Gebet, die katholische Lehre, die Liebe zu Petrus und die brüderliche Liebe.
"Es fehlen die Anbeter", sagt der Kardinal, und: "Damit das Volk Gottes anbetet, müssen es zuerst die Priester und Bischöfe tun."
Es ist bezeichnend, dass der "Krise des Priestertums" ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Ist den Priestern überhaupt noch gegenwärtig, dass sie ihrer dreifachen Aufgabe oft nicht gerecht werden, nämlich: "das Volk Gottes zu heiligen, zu evangelisieren und es zu leiten"? Der Priester ist Führer und Hirte. In diesem Kapitel werden auch brisanten Fragen, die gerade so sehr an die Kirche herangetragen werden, nicht ausgeklammert, wie etwa Frauenpriestertum und Zölibat. Dieser sei "ein kostbarer Schatz", und darauf zu verzichten wäre eine Niederlage für die ganze Menschheit.
Kardinal Sarah stellt fest, dass es wichtig sei, den Reichtum der Liturgie, den die Tradition der Kirche überliefert hat, zu bewahren. Den Ordensleuten schreibt er ins Stammbuch, sie dürften Erneuerung des Ordenslebens nicht mit Bequemlichkeit verwechseln. So bedauert er auch, dass die Ordenstracht weithin abgelegt wurde und das nächtliche Stundengebet durch ein gemeinschaftliches Abendgebet ersetzt wurde. Auch die Armut der Klöster sollte eigentlich an die Radikalität des Evangeliums erinnern.
Kardinal Sarah zitiert Irenäus von Lyon aus dessen Werk "Gegen die Häresien":
"Die Lüge zeigt sich nämlich nicht als solche und lässt sich nicht in ihrer Nacktheit erblicken; geschickt versteht sie es, sich in ein ehrbares Gewand zu kleiden, um nach außen für die urteilslose Menge wahrer zu erscheinen als die Wahrheit selber".
So ordnet der Kardinal in dem Kapitel "Der herabgesetzte Mensch" als ein "defensor civitatis" die Massenbewegungen unserer Zeit richtig ein; seien es der Umgang mit dem Menschen selbst, mit Sterben und Tod, der Gender -Theorie, den weltweit agierenden finanzstarken Abtreibungsunternehmen, der Homo- und LGBT-Lobby; dem Krieg der Geschlechter und der gegenwärtigen "Optimierung des Menschengeschlechts".
Immer wieder folgt auf die Erkennung des Zustandes von Kirche und Welt die Forderung, wie Christen zu agieren haben. "Was dem Heiligen innewohnt, ist das Gegenteil von Spott. Spott will beschmutzen, zertreten und demütigen. Das Heilige hingegen verlangt Ehrerbietung und Stille. Die Vergöttlichung des Spotts führt unweigerlich zur Barbarei."
Immer wieder wird die Macht der Medien thematisiert, die maßgeblich dafür verantwortlich seien, dass "Gebet und Kontemplation an Bedeutung" verlieren würden. Sie seien ihr großer Gegenspieler. "Ohne Stille", schreibt der Kardinal, könne sich "die Stille nicht entfalten". Durch seine Vergnügungssucht vernachlässige der Mensch seine Innerlichkeit, er "versinkt im Sumpf der Leidenschaften", sei darum bemüht, sich zu vergnügen und nach Möglichkeit alle "Freuden dieser Welt zu genießen". Solche Menschen verlieren in ihrer Sucht nach Lust und Vergnügungen den Bezug zur Wahrheit und verwirren sich so immer mehr in "unmoralischsten Taten".
Darauf, dass die Wahrheit ewig ist und sich nicht verändert, bezieht sich der Römische Kardinal aus Afrika immer wieder. Er weiß, dass das "Trugbild einer Einheitsreligion" und der Traum einer Weltregierung der "Völker, Kulturen und Traditionen" "Wahnsinn" sei. Zwar geht Kardinal Sarah damit nicht auf die Forderung des Papstes ein, die Menschen sollten der UNO gehorchen, vielmehr führt er die Globalisierung ad absurdum, da sie nur "einigen wenigen Privilegierten" nutzen würde.
Kardinal Sarah spricht von "destruktiver Christenverfolgung" in den westlichen Demokratien: "Dort hat man Gott getötet."
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Beklagenswert nennt er die Zahl derjenigen, "die ihren Glauben verleugnen und nur noch dem Namen nach Christen" seien. Sie würden ihre Religion nicht aus Überzeugung praktizieren, "sondern nurmehr aufgrund kultureller oder sozialer Belange".
Der Kardinal aus dem fernen Afrika scheint auch die deutsche Situation gut zu kennen.
Für ihn ist klar, dass der Zustand der Welt, besonders aber auch der Kirche, nur durch die Rückkehr zu einer lebendigen Tradition verbessert werden kann. Er nennt die Kardinaltugenden der Klugheit an erster Stelle; aber auch die Tugend der Mäßigung, der Sanftmut und der Tapferkeit. Die Beziehungen der Christen mit Gott müssten sich auf Taten und Haltungen stützen. Nicht durch gute Absichten und fromme Wünsche sei dies möglich, sondern durch die Tat. Wörtlich schreibt Kardinal Sarah, indem er ein Beispiel gibt:
"Ich höre oft von sich selbst für aufgeklärt haltenden Christen, welche die Formen der Volksfrömmigkeit wie Wallfahrten, den Rosenkranz, Fronleichnamsprozessionen oder die Kniebeuge vor dem eucharistischen Jesus gering schätzen. Muss man Glaube und Religion auf diese Weise einander gegenüberstellen? Was würden wir von einer menschlichen Liebe halten, die sich niemals in äußeren Gesten ausdrückt? Die reine Innerlichkeit ist eine Illusion. Die Klugheit lehrt uns, dass wir heilige Gesten brauchen. Wir brauchen es, demütig und liebend auf die Knie zu gehen, zu schweigen, zu singen."
Für das vorliegende Buch, das zu lesen dringend empfohlen wird, bedanken wir uns herzlich bei Kardinal Sarah, Nicolas Diat, der Übersetzerin Hedwig Hageböck sowie dem herausgebenden FE-Verlag.
Robert Sarah und Nicolas Diat, "Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden", ist im FE-Medienverlag erschienen und hat 440 Seiten.
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