Aus dem Friedensgebet in der Nikolaikirche in Leipizig erwuchs vor 30 Jahren eine Friedliche Revolution mitten in Deutschland. Sie fegte schließlich die Mauer hinweg – und mit ihr die totalitäre Herrschaft des sozialistischen Regimes der DDR. Es gelang ihr ohne Gewalt, mit Gottesdiensten und Demonstrationen – und dank besonnener Geister im Hintergrund. So brach sich die Freiheit ihre Bahn, mit dem zigtausendfachen Ruf "Wir sind das Volk".

Wer die Bilder der Proteste in Hong Kong kennt, der weiß, wie fragil der Friede in solchen Momenten ist.

Deutschland wurde nicht durch eine Revolution vereint, die auf den ersten Blick eine christliche war. Es war aber eine Friedliche Revolution, die von mutigen Christen und dem Christentum getragen und möglich gemacht wurde. Und das in dreifacher Hinsicht.

Zuerst einmal von den Katholiken Polens, allen voran den 1978 zum Papst gewählten Krakauer Kardinal Karol Wojtyla. Bestärkt im Glauben durch St. Johannes Paul II. und befeuert von der Entführung und Ermordung des Priesters Jerzy Popieluszko brachten die Polen letztlich auch die Abkehr von der kommunistischen "Diktatur des Proletariats" hin zur Demokratie im eigenen Land zustande.

Der Funke der Freiheit entzündete sich zweitens in den - meist protestantischen - Kirchen der DDR. Auf der Webseite der "EKD" schreibt Ellen Ueberschär, dass die Kirche damals "ein Sprachraum der Freiheit" gewesen sei. Das habe auch die Stasi schnell erkannt: Der Geheimdienst bezeichnete die bei den Ökumenischen Versammlungen entstandenen Texte als "den aktuellsten komplexen Forderungskatalog hinsichtlich gesellschaftspolitischer Veränderungen in der DDR".

Es ist jedoch die dritte Ebene, die als christliche Idee überhaupt erst möglich gemacht hat, was diese Friedliche Revolution erreichte: Die existentielle, ontologische Freiheit einer jeden Person, die zu verstehen und fordern erst aus dem christlichen Menschenbild und dem Wissen des Christen um die Ebenbildlichkeit Gottes möglich wurde.

Dieses Verständnis ist Voraussetzung für eine freie Gesellschaft, welche diese aber selber als Staat nicht garantieren kann, um Ernst-Wolfgang Böckenförde zu paraphrasieren.

Im Vakuum einer heute säkularen, falsch verkürzt als "plural" beschriebenen Gesellschaft wuchert dagegen ideologischer Wildwuchs, der politisches Gefahrenpotential hat. Ueberschär wirft dazu die Frage auf, die auch in katholischen Gemeinden gestellt werden muss.

"Gerät mit dem gesellschaftlichen Relevanzverlust der Kirchen im 21. Jahrhundert auch ihre bedeutende Rolle für eines der wichtigsten nationalen Ereignisse des vergangenen Jahrhunderts in Vergessenheit? Verschwindet mit diesem Vergessen auch die Vorstellung einer Kirche jenseits des institutionell bestens abgesicherten und durch das Grundgesetz gesicherten religiösen Lebens?"

Egal ob im Osten oder Westen: Im Jahr 2020 tummeln sich wieder die ideologischen Rattenfänger in diesem Land. Sie spielen lautstark bunte Blockflötenlieder. Wer diese hört, sollte den Preis nicht vergessen, den viele für die Freiheit bezahlt haben, die wir heute besitzen und scheibchenweise preisgeben. Diese nicht zu verlieren, trotz Parolen, Panikmache und Populismus: das ist die Aufgabe der Stunde, damals wie heute.

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