8. Januar 2020
Von Immanuel Kant stammt die bekannte Wendung: "Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit." Auch wenn der Philosoph, ein Kind seiner Zeit, unter "Mensch" den weißen Mann verstand: Gefeiert wird diese Epoche des Denkens bis heute als Anfang der intellektuellen und politischen Emanzipation. Kant sagte zudem, der Mensch sei "Zweck an sich selbst" und niemals ein "Mittel zum beliebigen Gebrauche". Max Horkheimer hat in "Zur Kritik der instrumentellen Vernunft" etwa 150 Jahre später diesen Gedanken bestärkt und im Zeitalter der totalitären Weltanschauungen, der Ideologie des Konsums und der Unterhaltungsindustrie erneuert.
Verkannt wird oft der Ursprung der Aufklärung im abendländischen Denken. Manche identifizieren die griechische Philosophie damit. Gewiss ehren wir noch heute Sokrates für Einsichten in die Grenzen des Wissens. Auch die literarische Meisterschaft Platons ist bewundernswert und unumstritten. Unberücksichtigt bleibt dabei aber, dass beide Philosophen in ungeordneten Lebensverhältnissen befanden. Dialoge wie "Phaidros" und "Symposion" bieten erhellende Einblicke. Nicht umsonst wurden hellenische erotische Fantasien wie Praktiken, heute strafrechtlich relevante Beziehungsformen, später in exklusiven Kreisen besonderer Art verklärt oder hymnisch gefeiert. Eine antike "#MeToo"-Bewegung hat es nicht gegeben. In den attischen Kriegen kämpften auch Päderasten-Heere. Das Panorama der männerbündischen Abhängigkeitsverhältnisse reichte also sehr weit. Viele Lateinschüler, so auch ich, erinnern sich noch an eine emphatisch und bekenntnishaft zitierte Sentenz: "Mens sana in corpore sano." (= "Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper.") Ich weiß noch, was ich damals unreflektiert, aber skeptisch dachte, als ich diesen Sinnspruch aus dem Repertoire der humanistischen Bildung aus dem Mund eines Altphilologen erstmals vernahm: "Das kann doch nicht stimmen."
Frauen gab es in der Antike natürlich. Sie waren indessen – im wahrsten Sinne des Wortes – nebensächlich. Selbst für den verheirateten Philosophen Aristoteles gehörte die Frau noch wie die Sklaven zum Haus- und Besitzstand des athenischen Bürgers. Auch unter den alten Römern änderte sich nichts daran. Kindstötung war Ermessenssache und darum zulässig. Es bedurfte einer Aufklärungsbewegung, die für notwendige Korrekturen sorgte, einerseits was die Ordnung der Liebes- und Lebensverhältnisse, andererseits was Achtung und Respekt gegenüber der Würde der Frau betraf. Diese Aufklärungsbewegung gibt es bis heute: Ihr Name lautet – Christentum. Es handelt sich also mitnichten um eine neue philosophische Strömung oder eine synodale Initiative, die für eine Revision vermeintlich bestehender Machtverhältnisse kämpft. Der Kern ihrer Botschaft lautet nicht: "Alles ist erlaubt." Die Kirche ist christozentrisch oder überflüssig. Sie spricht vom Licht des Glaubens, vom Licht der Welt.
Zu den wichtigsten theologischen Aufklärern heute gehört der emeritierte Papst Benedikt XVI. Darum ist es gut und wichtig, dass auch Papst Franziskus sich am Hochfest der Gottesmutter in der Homilie klar und eindeutig zur Verteidigung der Würde der Frau bekannt hat: "Die Wiedergeburt der Menschheit begann mit der Frau. Die Frauen sind Quellen des Lebens. Und doch werden sie ständig beleidigt, geschlagen, vergewaltigt, dazu gebracht, sich zu prostituieren oder das Leben in ihrem Schoß auszulöschen. Jede Gewalt an der Frau ist eine Schändung Gottes, der von einer Frau geboren wurde. Aus dem Leib einer Frau kam das Heil für die Menschheit: Daran, wie wir den Leib der Frau behandeln, erkennen wir den Grad unserer Menschlichkeit. Wie oft wird der Leib der Frau auf den profanen Altären der Werbung, des Gewinns und der Pornographie geopfert, ausgebeutet wie ein Nutzobjekt. Er muss vom Konsumismus befreit werden, er muss geachtet und geehrt werden; er ist das edelste Fleisch der Welt, er hat die Liebe, die uns gerettet hat, empfangen und zur Welt gebracht! Auch heute wird die Mutterschaft gedemütigt, weil das einzige Wachstum, das interessiert, das Wirtschaftswachstum ist. … Wenn sie sich Maria nähert, findet die Kirche sich selbst wieder, sie findet ihre Mitte und Einheit wieder. Der Feind der menschlichen Natur, der Teufel, versucht hingegen, sie zu spalten, indem er die Unterschiede, die Ideologien, die einseitigen Überlegungen und Parteien in den Vordergrund stellt. Wir verstehen die Kirche jedoch nicht, wenn wir sie von Strukturen, Programmen und Strömungen her betrachten, wenn wir aus ideologischer oder funktionaler Perspektive auf sie schauen: Wir werden dann etwas begreifen, aber nicht das Wesentliche der Kirche. Denn die Kirche hat das Herz einer Mutter."
Denken wir an die Lebenswirklichkeiten in der antiken Welt, so lässt sich rückblickend vermuten, dass eine ängstliche, laue Christenheit, die die Frohe Botschaft relativiert statt verkündet hätte, wahrscheinlich die damalige Kultur in all ihren Absonderlichkeiten und Eigenheiten vielleicht noch bestätigt hätte. Wer in die Nachfolge Christi tritt, fürchtet sich nicht vor Widerspruch zu den Signaturen der Zeit. Wer sich zu Christus bekennt, widersagt den Ideologien der Weltlichkeit. Wer sich geschmeidig dem Geist der Zeit anpasst, nimmt – so können wir Lk 9,62 auch verstehen – die Hand vom Pflug. Abgesehen davon: Kants präzise Bestimmung der Aufklärung steht, anders als viele vielleicht vermuten mögen – auch der Urheber der Wendung selbst –, nicht im Gegensatz zu dem uns allen bekannten Ruf: "Bekehre dich und glaub an das Evangelium." Vernunft und Glaube gehören zueinander.
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