12. Februar 2020
Psychische Erschöpfungszustände gehören zur Signatur, vielleicht sogar zu den Zeichen der Zeit. Unbesonnener, ja besinnungsloser Leistungswille mag zerstörerisch wirken. Engagement und Begeisterung tragen oft etwas Gutes in sich. Wir streben, ja wir wollen das Gute – und das sollten wir vielleicht auch niemand anderem absprechen. Der Philosoph Immanuel Kant hat uns darüber in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" belehrt: "Es ist überall nichts in der Welt, ja überhaupt auch außer derselben zu denken möglich, was ohne Einschränkung für gut könnte gehalten werden, als allein ein guter Wille."
So vielen Menschen können wir diesen "guten Willen" zugestehen. Das reicht sehr weit, sogar bis hin zu knorrigen, grimmigen Schulmeistern. Wenn ich an die Tage meiner Kindheit und Jugend zurückdenke, kommt mir als Stätte des Friedens aber nicht der Wettstreit der besten Absichten in den Sinn und auch nicht die Disziplinaranstalt namens Schule. Natürlich denke ich gern an mein Elternhaus und an meine lieben Großeltern zurück. Aber ohne das Obdach der Kirche hätte ich diese Zeit nicht ausgehalten. Ich denke an die Orte, an denen ich erfahren durfte: "Du bist. Du darfst sein." Es wurde nichts Unmäßiges, nichts Falsches von außen gefordert und verlangt. Du bist, du darfst sein. Papst Benedikt XVI. sagte das sehr schön in seiner Predigt zur Amtseinführung: "Jeder von uns ist Frucht eines Gedankens Gottes. Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht. Es gibt nichts Schöneres, als vom Evangelium, von Christus gefunden zu werden. Es gibt nichts Schöneres, als ihn zu kennen und anderen die Freundschaft mit ihm zu schenken." Das ist meine Erfahrung von Kirche, und das wird auch so bleiben.
Orte dieses Verweilens, dieses Sein-Dürfens waren und sind für mich bis heute auch die Künste, also Dichtung, Literatur und Musik. Meine Freundschaft, Zuneigung und Liebe gilt bis heute der Schönheit, nicht dem bacchantischen Rausch oder der dionysischen Ekstase, aber doch dem schwebenden Klang der Instrumente, von Geige und Cello, der leuchtenden Klarheit des Gesangs, so fein wie nuanciert, natürlich, geübt und geformt. Das gilt besonders für den Gregorianischen Choral in der heiligen Messe. Zum Gesang gehört Technik und zugleich so viel mehr als das. In der Liturgie der Kirche lebt diese Schönheit und weist nach Oben. Sie hebt, sie hält uns. Diese Schönheit ist nicht "guter Wille", sondern Glanz der Wahrheit.
Auch aus dem Alltag wissen wir alle, dass das leise Lächeln, scheu und diskret, manchmal ein so viel schönerer Dank ist als tausend Worte in bester Absicht. Der "gute Wille" ist in sich gut, gewiss, aber nicht weniger denken wir an liebevolle Freundlichkeit und herzliche Güte. Wir kennen das wissende Schweigen, den Trost, den eine beiläufige Berührung in Verbundenheit schenkt, unter Verwandten, Freunden und Weggefährten, von Schwestern und Brüdern im Glauben. Das gilt auch dann, wenn alle Worte fehlen. Ja, wir leben in einer wörterreichen Zeit, in einer Zeit, in der vergiftete Ironie, galliger Spott und boshafter Zynismus vernommen werden, grelle Misstöne, oft polemisch, laut und feindselig. Gerüchte kursieren, der unsägliche Generalverdacht gegen zölibatär lebende Priester ist empörend und schreit zum Himmel. Zur Passionsgeschichte des Alltags gehört auch, dass einfach gläubige Katholiken mitten in der Kirche belächelt, verhöhnt und verspottet werden. Wir bezeugen Angriffe auf den Papst und seinen emeritierten Vorgänger, auf Bischöfe und Priester – und auf Weltchristen. Doch die Schönheit bleibt gegenwärtig. Sie ist nötig und unverzichtbar. Sie gibt uns den Blick auf Christus frei. Einige spüren deutlich in diesen Tagen, dass sie – als Glieder des Leibes Christi – in der Welt, aber nicht von der Welt sind. Trost und Hilfe spendet uns die geistliche Musik. Besonders schätze ich "Jesu, meine Freude". Vielleicht geht es Ihnen auch so? Oder runzeln Sie die Stirn? War der Lieddichter Johann Franck nicht Protestant, wie die Komponisten Johann Crüger und Johann Sebastian Bach? Ja, stimmt genau. Aber das macht gar nichts. Wir wenden hörend und meditierend von innen her die Augen zum Herrn hin, dem Quell unserer Freude, dem Grund unserer Hoffnung und dem Fundament unseres Lebens, zu dem wir uns im Credo bekennen, ja bekennen dürfen. Wir müssen nicht, wir dürfen in Seiner Kirche eine Herberge finden. Wir dürfen das Sakrament des Altares anbeten. Es ist uns geschenkt, dass wir beichten und Gottes reiche Barmherzigkeit empfangen dürfen. Wir empfangen den Leib Christi. Können Sie sich Schöneres vorstellen, als im Haus des Herrn zu sein? Ich nicht. Wir dürfen sein, und wir dürfen bleiben.
"Jesu, meine Freude,
meines Herzens Weide,
Jesu, meine Zier:
ach wie lang, ach lange
ist dem Herzen bange
und verlangt nach dir!
Gottes Lamm, mein Bräutigam,
außer dir soll mir auf Erden
Nichts sonst Liebers werden.
Weicht ihr Trauergeister,
denn mein Freudenmeister,
Jesus, tritt herein.
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Denen, die Gott lieben,
muß auch ihr Betrüben
lauter Freude sein.
Duld ich schon hier Spott und Hohn,
dennoch bleibst du auch im Leide,
Jesu, meine Freude."
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