15. März 2020
Keine Kinder bekommen um des Klimas willen: Das ist eine in unseren Tagen aktuelle Denkfigur. Sie ist so etwas wie eine neue endzeitliche Mode in unseren Tagen. Dabei waren derart rigide moralische Vorstellungen schon in der Antike oft genug ein Indiz für eine Häresie. Keine Kinder für das Klima zu bekommen, ist eine verfehlte Moral einer absoluten Hoffnungslosigkeit. Da steckt nicht einmal die Hoffnung auf ein unverlierbares Heil drin, sondern nur die Alternative, ob die Welt oder der Mensch untergeht. Eine solche Virginität hätte wohl selbst Montanus nicht denken können, der gerade die Parusie und damit das Ende der Welt herbeisehnte. Virginität, das bedeutet wörtlich übersetzt Jungfräulichkeit und steht für eine Kinderlosigkeit um eines nahen oder nahe erwarteten Endes Willen.
Montanus war ein neu bekehrter Christ in Kleinasien. Er wurde wegen seiner Lehre als Häretiker verurteilt. Montanus hatte noch weit mehr als Virginität parat. Um das Jahr 156 n.Chr. behauptete Montanus, nach dem die Lehre des Montanismus benannt ist, dass in seiner Trance der Paraklet, der im Johannesevangelium angekündigt worden war, durch ihn spricht. Montanus reiste mit zwei Frauen, Prisca und Maximilla, durch Kleinasien und verkündete seine Lehre vom unmittelbar bevorstehenden Ende. Diese Naherwartung, die den jungen christlichen Gemeinden noch selbstverständlich war, ließ Mitte des zweiten Jahrhunderts nach. Die Kirche kam in der Zeit an und man richtete sich – auch theologisch – auf eine längere Wartezeit ein.
Die Montanisten lehrten dagegen, dass die Parusie unmittelbar bevorstehe. Die Sünder könnten nicht gerettet werden. Das Martyrium sollten die Anhänger des Montanismus um ihres Heiles Willen geradezu suchen, weil dies der direkte Weg zu Gott sei. Montanus predigte eine strenge moralische Disziplin und Enthaltsamkeit zur Vervollkommnung des eigenen und des gesamten kirchlichen Lebens. Er predigte strenges Fasten und Schlafentzug.
Im Gegensatz zu vielen anderen häretischen Lehrern existieren keine Schriften von Montanus. Was man über ihn weiß, das weiß man aus den Erwiderungen seiner Gegner. Seine Prophetien soll Montanus immer in der Ich-Form verfasst haben. Anhänger sahen darin die unmittelbare Rede des Heiligen Geistes durch den vermeintlichen Propheten.
Eine derart starke Betonung der unmittelbaren Wirkung des Heiligen Geistes erinnert an die modernen Pfingstbewegungen. Montanus wird die Gabe der Prophetie zugeschrieben. Die junge Kirche kannte dies Charisma noch sehr viel stärker, als es heute außerhalb charismatischer Gruppen üblich ist. Dies kann in der Form, wie es beschrieben wird, in durchaus ähnlicher Weise, wie heute, als eine Art Protest gegen verfestigte (Ämter-)Struktur des kirchlichen Lebens aufgefasst werden. Das kirchliche Amt war zum Beginn des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts in seiner dreigliedrigen Gestalt vorhanden und hatte sich etabliert. Die Rivalität zwischen dem Charisma als unmittelbarer Gabe und dem Charisma des Amtes war zu Gunsten des Amtes entschieden.
Im Jahr 177 wurde der Montanismus zur Häresie erklärt und die Montanisten exkommuniziert. Nur zwei Jahre später starb Montanus. Ganz einig über die Lehre des Montanus war man sich in der Kirche allerdings nicht. Die römischen Päpste Eleutherus (175-189) und Victor I. versuchten die Lehre in die kirchliche Lehre zu integrieren. Der Theologe Praxeas überzeugte bei einem Aufenthalt in Rom Papst Victor I. davon, dass es sich beim Montanismus um eine Irrlehre handelt und eine Integration nicht möglich sei.
Trotz der Verurteilung lebte der Montanismus weiter. Der Kirchenschriftsteller Tertullian näherte sich dem Montanismus stark an und nahm dafür Praxeas in die Liste der Häretiker auf. Tertullian, der als erster Lehrer der Kirche in Latein schrieb galt ab 207 n.Chr. als führender Vertreter des Montanismus. Ob er wirklich Montanist war oder sich nur der rigiden Moralvorstellungen der Montanisten bediente, ist bis heute ein Streit unter Gelehrten. Dass viele seiner Werke in die Sammlung der Schriften der Kirchenväter aufgenommen wurden, spricht für seine Rechtgläubigkeit.
Gerade an der Auseinandersetzung um Montanus, seine Prophetien und Lehren zeigt sich, wie nahe oft Orthodoxie und Häresie beieinander liegen. Die Wahrheit muss am Ende immer vor der Vernunft bestehen, will sie Wahrheit sein. Auch heute kennen wir Schwarmgeisterei, die so gar nicht nach Irrtum aussieht und dennoch den Keim in sich trägt. Auch moderne pfingstliche Bewegungen tragen in sich den Kern der Schwärmerei und des moralischen Rigorismus. Der Geist des Montanus ist da sehr präsent. Die Vernunft zeigt sich oft genug gerade in Askese und Verzicht durch das rechte Maß. Auch die Naherwartung ist für jeden Christen eine stete Versuchung. Man sollte jederzeit bereit sein, aber nicht versuchen Orte und Zeiten zu erfahren. Der Montanismus bestand in der Kirche bis weit in das sechste Jahrhundert fort. Da die Parusie dann doch ausblieb, löste sich die Lehre auf.
Die Gast-Kolumne "Häretiker des Monats" erscheint im Jahr 2020 einmal monatlich bei CNA Deutsch. Wiedergabe nur mit schriftlicher Genehmigung vorab.
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