Vatikanstadt - Sonntag, 1. Januar 2023, 12:50 Uhr.
"Also, das Letzte, was er gesucht und sich gewünscht hat, war es, mit 78 Jahren Papst zu werden. Er ist es geworden, er hat es angenommen, er hat das als den Willen Gottes gesehen und hat diese Aufgabe übernommen."
Der langjährige Privatsekretär von Benedikt XVI. hat das lange Leben und enorme Gottvertrauen – aber auch das bleibende Vermächtnis – des verstorbenen Papstes aus Bayern in einem Interview mit EWTN gewürdigt.
Auch schmerzhafte Themen wie der Kampf gegen sexuellen Missbrauch und innerkirchliche Spannungen spart der Kurienerzbischof und längjährige Präfekt des Päpstlichen Hauses nicht aus.
Zugleich plaudert Gänswein gegenüber dem Leiter von EWTN Vatikan, Andreas Thonhauser, auch aus dem Nähkästchen. Er schildert offen, was ihn an Joseph Ratzinger als Mensch berührte und bewegte: Der feine Humor des bayerischen Geistlichen, aber auch dessen Worte des Trostes an ihn perönlich — etwa in Zeiten der Verzweiflung über die Kirche.
In dem ausführlichen Interview schildert Erzbischof Georg Gänswein auch, wie Benedikt seine letzten Stunden verbrachte: "Er war gefasst und wir, die sehr unmittelbar um ihn waren, mit ihm gelebt haben, spürten dass er auf der Zielgeraden war und diese Zielgerade hatte nun ein Ende. Dieses Ende hatte er fest im Blick."
Hier sehen Sie das gesamte Interview mit Andreas Thonhauser:
CNA Deutsch veröffentlicht eine Abschrift des vollständigen Interviews mit Erzbischof Gänswein.
Andreas Thonhauser: Exzellenz, wie haben Sie Papst Emeritus Benedikt in den vergangenen Wochen und Monaten erlebt?
Georg Gänswein: Er ist ja eigentlich wider seiner Vermutung sehr alt geworden. Er war überzeugt, dass nach seinem Verzicht der Liebe Gott ihm nur mehr ein „Jährchen“ geben würde. Er war wohl der erste, der überrascht war, dass aus diesem „Jährchen“ nicht wenige Jahre geworden sind.
Er war gegen Ende natürlich physisch sehr schwach, sehr gebrechlich, aber gottlob hat er immer den klaren Verstand behalten.
Was ihn schmerzte, war dann die leiser und schwächer werdende Stimme. Er hat sein Leben lang mit der Stimme gewirkt, und dieses Werkzeug ist ihm nach und nach abhanden gekommen.
Er war ruhig, er war gefasst und wir, die sehr unmittelbar um ihn waren, mit ihm gelebt haben, haben gespürt, dass er auf der Zielgeraden war und diese Zielgerade hatte nun ein Ende. Dieses Ende hatte er fest im Blick.
Hatte er eigentlich Angst vor dem Sterben?
Er hat nie von Angst gesprochen. Er hat immer wieder vom Herrn gesprochen, dass er dann, wenn er vor ihm stehe, hoffe, dass er ihm mit Milde und mit Barmherzigkeit begegne, da er natürlich auch um seine Schwächen und seine Sünden, um sein Leben, weiß. Aber mit dem heiligen Johannes gesprochen, ist Gott eben größer, als unser Herz.
Und Sie waren viele Jahre an seiner Seite. Welches waren die Schlüsselmomente für Sie?
Na ja, es hat begonnen für mich als Mitarbeiter in der Glaubenskongregation. Als er (Papst Benedikt, Anm. d. R.) Präfekt wurde, da bin ich Sekretär geworden und das sollte eigentlich nur maximal ein paar Monate dauern.
Daraus wurden zwei Jahre. Dann starb Johannes Paul II. Aus Kardinal Ratzinger wurde Papst Benedikt XVI. Dann verbrachte ich die ganzen Jahre als Sekretär neben ihm — und dann natürlich auch jetzt die Zeit als Emeritus. Er ist länger Emeritus gewesen als regierender Papst.
Was mich immer wieder beeindruckt hat, was mich immer wieder auch überrascht hat, war die Milde, die Ruhe, das Ausgeglichensein, auch in Situationen, die wirklich sehr anstrengend, sehr fordernd und teilweise menschlich auch sehr betrüblich waren.
Er hat nie die Contenance verloren, ist nie wild geworden, im Gegenteil: Je mehr er herausgefordert wurde, desto ruhiger und der Worte ärmer wurde er. Aber das hat auf die Umgebung eine sehr gute und wohlwollende Wirkung gehabt.
Große Massen war er allerdings gar nicht gewohnt. Natürlich war er es als Professor gewohnt, vor einem großen – auch einem sehr großen – Publikum von Studenten zu sprechen, aber das war er als Professor, der zu Studenten spricht. Nachher, als Papst, war die Begegnung, die Freude, die Begeisterung natürlich auch von Menschen verschiedener Ländern, ein ganz unterschiedliches Erlebnis.
Daran musste er sich erst gewöhnen. Es war nicht ganz einfach, bis er da den richtigen Weg gefunden hatte, aber er hat sich nichts von irgendeinem Mediencoach vorgeben lassen, sondern ganz einfach und ganz natürlich diese Aufgabe übernommen und ist wirklich hineingewachsen.
Wir sprachen vom Umgang mit seinem Umfeld, können Sie da vielleicht ein Beispiel nennen?
Ich kann mich gut erinnern an die Zeit, als er Präfekt in der Glaubenskongregation war. Im Rahmen einer Begegnung mit einer Reihe von Bischöfen und Kardinälen ging es aufgrund des Themas relativ schnell hoch her, sowohl in der inhaltlichen Ausrichtung, als auch dann in den verbalen Aussagen. Es musste Italienisch gesprochen werden, das war die gemeinsame Sprache. Die italienischen Muttersprachler waren einfach schneller und auch etwas kräftiger – bis hinzu leichten Schüben von Aggression. Er hat dann in seiner einfachen, etwas leisen Form erst einmal die ganze atmosphärische Aggression heruntergeholt und versucht, vom Ton zum Inhalt zu kommen. Er hat gesagt, dass nur die Argumente überzeugend sind, aber nicht der Ton – der kann störend sein oder hilfreich. „Ich bitte, dass wir uns gegenseitig helfen, den Ton herunter zu nehmen und die Argumente zu stärken.“
Können Sie uns mehr über ihn als Menschen erzählen? Wie verstand er seine Aufgabe als Papst?
Also, das Letzte, was er gesucht und sich gewünscht hat, war es, mit 78 Jahren Papst zu werden. Er ist es geworden, er hat es angenommen, er hat das als den Willen Gottes gesehen und hat diese Aufgabe übernommen. Weil überall Fernsehkameras und Fotografen dabei waren, war also ein Privatleben oder ein normales Leben nicht mehr möglich.
Und da habe ich gespürt, wie er sich einfach auch in diese Situation hinein begeben hat und einfach fest auf die Hilfe Gottes vertraute. Darauf, dass er mit den Gaben, die er hatte und mit denen, die er nun brauchte und die ihm bisher gefehlt haben – also mit seinen natürlichen Gaben, aber auch mit der Hilfe Gottes –, das ihm nun anvertraute Amt so ausführen und so bewältigen wird, dass es tatsächlich zum Nutzen der ganzen Kirche und der Gläubigen sein wird.
Sie haben zu Beginn gesagt, dass das gesprochene, aber auch das geschriebene Wort sozusagen sein Werkzeug war. Welche seiner Schriften, seiner Enzykliken, seiner Bücher, sind für Sie persönlich zentral?
Als Papst hat er drei Enzykliken geschrieben, die vierte ist ja gemeinsam mit Papst Franziskus entstanden. Papst Franziskus hat sie ja dann auch veröffentlicht: Lumen fidei über den Glauben. Für mich persönlich — muss ich gestehen — ist „Spe Salvi“ die Enzyklika, die mir persönlich am meisten geistliche Nahrung gegeben hat und von der ich glaube, dass sie auch die Enzyklika sein wird, die letztlich „das Rennen macht“ von seinen wichtigen Enzykliken.
Ich habe ja als kleiner Student und Seminarist in Freiburg angefangen, seine Sachen zu lesen – und das beeinflusst natürlich auch das geistige Wachstum.
Zu dem, was bleibt, gehört sicherlich die Jesus-Trilogie. Ursprünglich sollte es ja nur ein Band werden. Er hat angefangen als Kardinal und den ersten Band als Papst beendet. Er hat gemeint, dass der Liebe Gott ihm sicherlich nicht mehr Kräfte geben wird als für dieses erste Buch.
Er wollte, dass von den Schriften, die auch unter seinem Namen veröffentlicht worden sind – außer natürlich den amtlichen Texten, die er als Papst geschrieben hat, den Enzykliken zum Beispiel –, auch seine Jesus-Trilogie – sein Jesus-Buch in drei Bänden – als sein geistliches und intellektuelles Testament zu sehen ist. Er hat ja angefangen, das als Kardinal zu schreiben und hat es dann weiter geschrieben als Papst. Am Anfang hat er gemeint: „Es ist jetzt Zeit, dass ich abschließe wer weiß, wie lange die Kräfte noch reichen.“
Und sie reichten, und er hat mit dem zweiten Band angefangen, usw. Diese drei Bände enthalten seine ganze theologische Forschung, sein ganzes Gebetsleben in einer Form, die Gott sei Dank verständlich ist, die auf höchstem akademischen Niveau geschrieben ist, aber auch ein bleibendes Zeugnis seiner Person für die Gläubigen sein wird. Und das war auch die Absicht: Er wollte mit diesem Buch, mit dieser Form der Glaubensverkündigung, Menschen im Glauben stärken, zum Glauben führen und Türen zum Glauben öffnen.
Welche dieser Gedanken werden Sie ganz persönlich mitnehmen, welche haben Ihnen geholfen?
Also wenn ich auf das Jesus-Buch blicke, muss ich sagen, dass das Entscheidende ist, dass dieses Buch nicht etwas aus der Vergangenheit beschreibt – diese eine Person, auch wenn sie der Erlöser ist –, sondern dass es von der Gegenwart schreibt. Christus hat gelebt, aber er lebt nach wie vor. Und die Lektüre hilft, sozusagen den Draht mit dem Heute, mit Christus, herzustellen. Ich lese nicht bloß etwas, das geschehen ist. Es ist etwas geschehen, aber das, was geschehen ist, hat Bedeutung für mich, für jeden, der es liest, für mein persönliches Glaubensleben, Und das ist, wie ich meine, etwas ganz Entscheidendes. Und zwar in dem Sinne, dass Joseph Ratzinger, Papst Benedikt, nichts von dem, was die Kirche im Glauben bekennt, minimalisiert, wegnimmt oder überspringt. Das ist etwas für mich persönlich Bleibendes. Ich habe den ersten Band schon mehrere Male gelesen, ich habe ihn immer wieder begleitend gelesen zu bestimmten Jahreszeiten. Das kann ich nur empfehlen, es ist eine große Hilfe, eine geistliche Nahrung.
Wie haben Sie ihn persönlich erlebt? Wie hat er seinen Glauben gelebt?
Er hat den Glauben vermittelt bekommen von seinen Eltern, in einer ganz natürlichen, ganz normalen Weise, das hat ihn schon sehr stark geprägt. Das, was er von den Eltern und später dann von den Lehrern – den geistlichen Lehrern – empfangen hat, hat er dann in seinem eigenen Leben vertieft, vor allem durch die Studien, aber auch dann durch die Vorlesungen. Und was er vertieft hat, ist dann zum eigenen Glaubensleben geworden. Ich hatte immer den Eindruck – und ich glaube, ich bin da nicht alleine –, dass das, was Professor Ratzinger sagt, oder der Bischof, der Erzbischof Ratzinger, der Kardinal oder Papst Benedikt, nicht irgendwie etwas ist, was dann vorgetragen wird aufgrund der Aufgabe des Amtes: Es ist sozusagen Fleisch von seinem Fleisch. Es ist das, was er glaubt, und was er weitergeben will, damit er diese Flamme auch anderen geben kann, sodass es lichterloh brennt.
Bleibt einem Papst überhaupt Zeit für das Gebet, für die Stille? Für das In-die-Tiefe-Gehen?
Es ist immer eine Frage der Einteilung der Zeit. Wenn mir etwas wichtig ist, versuche ich, mir die nötige Zeit zu nehmen. Und zwar nicht dann, wenn zufällig was bleibt, sondern schon in der Tagesplanung. Und ich habe mit ihm als Kardinal, aber auch als Papst – da habe ich ja mit ihm zusammengelebt – die Erfahrung gemacht, dass wir fixe Gebetszeiten hatten. Natürlich gab es Ausnahmen, etwa bei Reisen. Aber Gebetszeiten waren sakrosankt.
Das heißt konkret: heilige Messe, Brevier, Rosenkranz, Betrachtung. Da gab es feste Zeiten, und die einzuhalten, war auch meine Aufgabe; also nicht zu sagen: das ist jetzt wichtig, das ist ganz wichtig und das ist noch wichtiger. Er hat gesagt: „Das Wichtigste ist immer zunächst, dass der Liebe Gott die erste Stelle hat. Zuerst müssen wir das Reich Gottes suchen, das andere wird euch dazu gegeben. Das ist ein einfacher Satz, er klingt sehr gut. Er ist aber in der konkreten Verwirklichung nicht einfach. Aber deshalb trifft er zu, und deshalb müssen Sie auch mit dafür sorgen, dass das so bleibt.“
Heilige sind ja auch Vorbilder für uns im christlichen Leben. Wer war der Lieblingsheilige von Papst Benedikt?
Der heilige Josef. Er war der Lieblingsheilige, der dann aber relativ schnell Gesellschaft bekommen hat durch den heiligen Augustinus und auch durch Bonaventura. Und das ganz einfach deshalb, weil er die beiden großen Gestalten der Kirche sehr intensiv studiert hat und auch gesehen hat, wie diese beiden sein geistliches und sein intellektuelles Leben befruchtet haben.
Von den Frauen – um nicht nur auf der Seite der Männer zu bleiben – ist die Muttergottes sowieso die Nummer eins. Von den Frauen würde ich sagen, ist es die heilige Theresa von Avila, die schon in ihrer intellektuellen und geistlichen Kraft und Stärke ein Zeugnis abgegeben hat, das ihn beeindruckt hat. Und dann – man wird es nicht glauben –, ist da noch die kleine heilige Therese vom Kinde Jesus. Von den jüngeren glaube ich schon, dass es auch Mutter Teresa dank ihrer Einfachheit und Überzeugung war. Denn das, was sie gelebt hat, war mehr als nur eine Vorlesung in Theologie, in Fundamentaltheologie – oder in welchem Fach immer. Es war das gelebte Evangelium, und das war für ihn entscheidend.
Mutter Teresa hat er auch persönlich gekannt, nicht wahr?
Ja, die hat er getroffen. Da war ich selber dabei, 1978 am Katholikentag in Freiburg. Er war gerade ein Jahr Erzbischof, ich war gerade ein Jahr im Seminar. Im Freiburger Münster war unter anderem Mutter Teresa – und auch der Kardinal aus München und Freising: Joseph Ratzinger.
Wie hat Joseph Ratzinger, wie hat Papst Benedikt, die Kirche geprägt?
Er hat ja in seiner Predigt beim Beginn des Pontifikats – also bei der Aufnahme des Amtes – gesagt, er hätte kein Programm, so etwas wie ein Regierungsprogramm oder ein kirchliches Programm. Er versuche lediglich, den Willen Gottes zu verkünden, dem Willen Gottes gemäß das zu tun, was die Herausforderungen der Zeit bringen, und das möchte er ganzen Herzens tun. Ein Programm hätte auch wenig geholfen, weil sich die Dinge relativ schnell überschlagen haben, auch in schwierigen Situationen. Und sich darauf einzustellen, war sicherlich eine seiner großen Stärken. Er hat relativ schnell das Problem erkannt und gewusst, dass darauf eine Antwort aus dem Glauben zu geben ist. Nicht nur eine Antwort, die sozusagen theologisch begründet ist, sondern eine, die noch tiefer geht aus dem Glauben natürlich, die theologisch begründet und auch überzeugend ist.
Deshalb meine ich, dass sein großer Beitrag, seine große Hilfe für die Gläubigen das Wort war. Wir hatten schon davon gesprochen, dass das Wort seine große – das klingt martialisch – und seine beste Waffe war. Mit dem Wort konnte er umgehen, und mit dem Wort konnte er Menschen begeistern und ihre Herzen erfüllen.
Wenn Sie zurückblicken auf sein Pontifikat: was waren die größten Herausforderungen, die Sie meistern mussten?
Ganz klar war schon am Anfang, dass die größte Herausforderung das war, was er als Relativismus bezeichnet hat. Der katholische Glaube und die Kirche sind überzeugt davon, dass in Jesus Christus die Wahrheit geboren, Mensch geworden ist: „Ich bin der Weg die Wahrheit und das Leben.“
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Und der Relativismus sagt letztlich: Die Wahrheit, die ihr verkündet, ist gegen die Toleranz. Ihr toleriert keine anderen Überzeugungen – also innerhalb des Christentums, in der Frage der Ökumene –, ihr toleriert andere Religionen nicht, oder haltet von ihnen wenig. Das stimmt natürlich nicht. Toleranz heißt, dass ich selbstverständlich jeden Menschen in seinem Glauben, in seiner Überzeugung ernst nehme und annehme. Aber es bedeutet eben nicht, dass ich dann meinen Glauben, von dem ich überzeugt bin, den ich empfangen habe, um ihn auch weiterzugeben, dass ich den einfach tiefstapele. Ganz im Gegenteil.
Das war der Relativismus, dann die ganze Frage des Verhältnisses zwischen Glaube und Vernunft. Das war eine seiner starken Seiten.
Dann kam sehr unerwartet, aber mächtig, als er Papst war, die ganze Frage rund um den Missbrauch. Das ist eine Herausforderung gewesen, die in einer so gewaltigen Form kam, in der man es nicht erwartet hätte. Er hatte ja schon als Kardinal eine wichtige Rolle gespielt, als die ersten Fragen, die ersten Mitteilungen, die ersten Schwierigkeiten, die ersten Missbrauchsberichte aus den USA kamen. Und ich weiß noch sehr gut – ich war damals schon zwei Jahre in der Kongregation für die Glaubenslehre –, wie er das angepackt hat und auch, wie er sich gegen bestimmte Widerstände im Innern durchsetzen musste. Das war nicht einfach, aber er hat das sehr gut und auch entschieden und mutig getan. Und das hat ihm nachher, für sein Pontifikat, geholfen.
Er hat immer wieder gesagt: Es gibt wichtige Themen, aber das Allerwichtigste ist eben der Glaube an Gott, das heißt, der Gottesglaube. Das ist das Zentrum, um das herum sich seine Verkündigung, sein Papstamt und sein päpstlicher Dienst gedreht hat: Die Überzeugung, dass ich den Glauben an Gott verkünden muss. Das ist das Entscheidende. Andere können anderes tun, aber das ist das Hauptziel, die Hauptaufgabe des Papstes, und dafür ist und bleibt er der erste Zeuge.
Diese Verkündigung Gottes war also der zentrale Punkt seines Pontifikats.
Genau. Wenn ich das so komprimieren darf, ja. Die Verkündigung des Glaubens, die Begründung des Evangeliums: Gott ist ja für uns nicht eine Idee, irgendwie ein Gedanke, sondern Gott ist das Ziel unseres Glaubens. Das Zentrum unseres Glaubens ist ja in einem Menschen zu einer bestimmten Zeit – in Jesus von Nazareth – Mensch geworden, und all das, was wir aus dieser Zeit wissen, hat sich dann verdichtet in den Evangelien oder im Schrifttum, im Neuen Testament. Und das zu verkünden, glaubwürdig zu verkünden, überzeugend zu verkünden, das war das Zentrum und das Ziel seines päpstlichen Dienstes.
Stichwort Missbrauch: Papst Benedikt wurde ja selbst vor gar nicht allzu langer Zeit im Rahmen des Missbrauchsreport der Diözese München-Freising genannt. Wie hat er auf die Vorwürfe reagiert, die später entkräftet worden sind, aber doch an ihn herangetragen wurden? Wie ist das bei ihm angekommen, gerade im Licht dessen, was er alles getan hat für die Aufklärung und auch den Kampf gegen den Missbrauch?
Wir hatten ja schon kurz vorher angedeutet, dass er als Präfekt mit den Vorwürfen, die aus den USA kamen, Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre, schon beschäftigt war und dass er da eine klare Linie vorgegeben hat, gegen inneren und äußeren Widerstand. Diese Linie hat er als Papst sehr deutlich und klar durchgezogen, da gibt es genügend konkrete Beispiele.
Als ihn dann persönlich der Vorwurf erreichte, dass er als Erzbischof in München und Freising in den Jahren 1977 bis 1982 auf eine Art und Weise gehandelt hätte, die nicht dem, was notwendig gewesen wäre, entsprochen hätte, hat er sich sehr gewundert.
Er wurde gefragt, ob er bereit sei, auf Fragen zu antworten bei dieser Untersuchung, die eben von Kardinal Faulhaber bis zum regierenden Erzbischof durchgeführt wurde.
Und er hat gesagt: Ich bin dabei, ich habe nichts zu verbergen. Hätte er „Nein“ gesagt, dann hätte das geheißen, dass er etwas verbirgt. Es kamen viele Fragen. Er hat die Fragen beantwortet. Er ist sich keiner Schuld bewusst. Was er in Erinnerung hatte, hat er gesagt, das kann man auch in dem Bericht einsehen. Auf unserer Seite ist bei der Abfassung der Stellungnahme ein kleiner Fehler passiert – nicht dem Papst selbst, sondern einem unserer Mitarbeiter, der sich sofort bei ihm entschuldigt hat. Das sei sein Fehler, er habe ein Datum verwechselt.
Es ging um die Präsenz bei einer Ordinariatssitzung. Das wurde auch dann sofort publiziert. Es wurde berichtet und berichtigt. Aber das Narrativ, der Papst habe gelogen, ist leider geblieben. Das war das Einzige, was ihn wirklich erschüttert hat, dass er als Lügner bezeichnet wurde.
Es ist einfach nicht wahr. Er hat ja dann selber einen Brief geschrieben. Er sagte, das sei das letzte Wort zu dieser Frage, danach werde er sich nicht mehr äußern. Wer ihm nicht glaubt oder das nicht glauben will, muss es nicht. Aber wenn man ehrlich und unvoreingenommen an die konkreten Fakten herangeht, muss man sagen: der Vorwurf des Lügners ist einfach nicht wahr. Und er ist infam.
Dieser Vorwurf hat ihn wirklich getroffen. Zumal er auch von einer Seite kam, die nicht unbedingt im moralischen Bereich Großes bewirkt, sondern ganz im Gegenteil. Aber es war so moralisierend, dass man sagen muss: es ist und bleibt beschämend. Das ist aber nicht das letzte Wort. Papst Benedikt hat gesagt: Ich habe nichts verborgen, was ich sagte, habe ich gesagt, ich habe nichts mehr hinzuzufügen. Mehr gibt es auch nicht zu sagen.
Er kann nur an die Vernunft, an den guten Willen und an die Ehrlichkeit appellieren, mehr bleibt nicht. Das hat er auch in seinem Brief geschrieben. Alles andere wird der Liebe Gott dann schon mit ihm selber ausmachen.
Und das, was Sie sagen, ist ja auch nachvollziehbar in den Dokumenten und in den Akten. Jeder, der nicht böswillig ans Werk geht, kann das nachvollziehen und klar die Wahrheit ans Licht bringen.
Wie gesagt: Die Unvoreingenommenheit ist eine Voraussetzung.
Nicht nur in diesem Fall, sondern grundsätzlich, aber insbesondere auch in diesem Fall. Und wer bereit ist, mit Unvoreingenommenheit voranzugehen, der hat das erkannt oder wird das erkennen.
War Papst Benedikt eigentlich glücklich? Haben Sie ihn wahrgenommen als jemanden, der zufrieden, erfüllt war in seinem persönlichen Lebensweg?
Von den von ihnen jetzt genannten Adjektiven würde ich sagen, das letzte trifft zu, nämlich die Erfüllung. Wie ich ihn wahrgenommen habe, ist, dass er wirklich von dem, was er tat, erfüllt war. Er hat das Leben, die Entscheidung für das Leben in Bezug auf das Priestertum gefällt. Seine erste Berufung, seine erste Liebe, war natürlich die Lehre. Er ist Professor geworden.
Das war einfach seine Bestimmung; er wurde Bischof, und dann kam er nach Rom. Das war ihm auch eher gelegen von seiner ganzen Art, von seiner intellektuellen Struktur her. Dass er Papst wurde, hatte ich schon gesagt, das war das Letzte, was er erwartet oder gewollt hätte. Aber er hat diese Aufgaben angenommen, und in all diesen Aufgaben – soweit ich das sehen und erkennen konnte –, war er wirklich erfüllt und gab, was er hatte.
Ich habe gemerkt: Er gibt etwas von sich, etwas, das ihm das Wichtigste ist; er gibt nicht etwas weiter, das er einmal irgendwo aufgenommen hatte, sondern er gibt etwas von sich weiter, was durch sein Leben, durch seine intellektuelle Redlichkeit, durch seinen Glauben gestellt war. Um noch einmal das Bild des Funkens zu gebrauchen: damit der Funke sprüht und das Feuer entfacht wird.
Gab es für ihn überhaupt Zeit, an seine Herkunftsfamilie zu denken; gab es noch einen Bezug zu dieser? Wie sprach er über seine Familie?
Bei all dem, was man lesen kann, bei all dem, was er gesagt hat, was ich selber auch gehört habe, hat er nur wirklich liebevoll und mit großer Hochachtung über das gesprochen, was die Eltern getan haben, auch für die drei Kinder. Der Vater war Gendarm, da gab es nicht viel Geld und doch hatten alle Kinder eine sehr gute Bildung, und das kostete etwas. Aber vor allem das Vorbild im Glauben war das Entscheidende. Er hat immer wieder gesagt, dass das eigentlich die Grundlage für all das, was später gekommen ist, gewesen und geblieben ist.
Welche Worte werden Sie mitnehmen von ihm? Was wird Ihnen bleiben?
Da darf ich jetzt mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern.
Es kamen immer wieder – vor allem in der Zeit als Emeritus – schwierige Situationen für mich, wo ich sagte: Heiliger Vater, das kann doch nicht sein. Ich werde damit nicht fertig. Die Kirche fährt an die Wand. Ich weiß nicht, der Herr schläft oder ist nicht da. Was ist denn los?
Und da hat er gesagt: „Sie kennen doch ein bisschen das Evangelium. Der Herr hat im Boot auf dem See Genezareth geschlafen, so wird es berichtet. Die Jünger hatten Angst, es kam ein Unwetter, es kamen Wellen. Und dann haben sie ihn geweckt, weil sie nicht mehr weiter wussten. Und da hat er nur gesagt: Was ist denn los? Jesus hat zwei, drei Worte an das Unwetter gerichtet, und damit geklärt, dass er Herr ist, auch über Wetter und Unwetter.“ Papst Benedikt sagte dann zu mir: „Schauen Sie, der Herr schläft nicht!“
„Daher ist es ganz normal, dass wenn selbst die Jünger Angst in seiner Gegenwart hatten, auch die Jünger von heute da und dort Angst haben. Aber vergessen Sie eines nicht: Er ist da und er bleibt da. Das dürfen Sie bei all dem, was Sie jetzt umtreibt, oder bei all dem, was Ihnen jetzt schwerfällt oder was Ihnen auf dem Herzen oder auf dem Magen liegt, nie vergessen! Nehmen Sie das einfach von mir. Ich handle so.“ Das ist das, was unter anderem mir richtig ins Herz hinein gefallen ist und dort schön verankert bleibt.
Können Sie noch eine andere Anekdote auch aus Ihrer Zeit mit Papst Benedikt erzählen?
Papst Benedikt ist ja ein Mann mit einem sehr feinen Humor gewesen. Er mochte es, wenn auch in einer schwierigen Frage der Humor nicht total ad acta gelegt wurde, sondern, wenn man zeigte, dass auch bei diesen schwierigen Fragen der Humor eine Art von Erdung, aber auch eine Art von Leitung nach oben zeichnet. So habe ich da und dort immer wieder gemerkt, wie er in schwierigen Situationen – sei es als Kardinal, sei es als Papst – versucht hat, nicht eine humoristische Wendung – das klingt zu oberflächlich –, aber einen Gramm Humor, ein Element des Humors einzubringen, um bestimmte Dinge zu entgiften.
Das hat mir für mein eigenes Leben, auch für manche schwierige Situation viel gegeben, wofür ich sehr dankbar bin.
Santo Subito?
So war das zu lesen bei der Beerdigung von Johannes Paul II. auf dem Petersplatz. Ich erinnere mich gut, da waren viele Schilder und auch groß bemalte Plakate mit „Santo Subito“. Ich glaube, dass es in diese Richtung gehen wird.
Exzellenz, herzlichen Dank für das Gespräch
Ich danke Ihnen.
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