26. April 2025
In den Überlegungen zur „Theologie des Leibes“, die Johannes Paul II. in der Generalaudienz vom 5. November 1980 (publiziert in L’Osservatore Romano 80/46) vorträgt, rückt die Begegnung von Eros und Ethos in den Mittelpunkt. Die Äußerungen Christi über den begehrlichen Blick, den „im Herzen begangenen Ehebruch“, begreift der Papst als einen ethischen Appell an das Herz des Menschen, in dem sich das „Ethos des Evangeliums“ ausdrückt. Die Worte seien also wesentlich mehr Anruf als Anklage.
Johannes Paul II. nimmt den Menschen seiner Zeit in den Blick und wendet sich dem Begriff Eros zu, der in der biblischen Sprache keine Entsprechung hat. Der Begriff Ethos hingegen ist in der Septuaginta ebenso wie im Neuen Testament bekannt. Das Ethos schließe „inhaltlich die vom menschlichen Willen abhängigen und den Gesetzen des Gewissens und dem Empfinden des menschlichen Herzens unterworfenen Bereiche von Gut und Böse“ ein.
Der Begriff Eros seinerseits wird vor allem mit der griechischen Philosophie, insbesondere mit Platons Denken verbunden: „Wenn der Mensch durch die Betrachtung der in der Welt der Sinne befindlichen Dinge das Vorhandensein der Ideen zu ahnen beginnt, empfängt er den Impuls vom Eros, das heißt vom Verlangen nach den reinen Ideen. Der Eros ist in der Tat die Ausrichtung des ‚sinnlichen‘ bzw. ‚sinnenhaften‘ Menschen auf das Transzendente: die Kraft, welche die Seele auf die Welt der Ideen hinlenkt. Im Symposion beschreibt Platon die Stufen dieses Einflusses des Eros: er erhebt die Seele des Menschen vom Schönen eines einzelnen Körpers zum Schönen aller Körper, dann zum Schönen der Wissenschaft und schließlich zur Idee des Schönen selbst (vgl. Symposion 211, Staat 514).“ Der Eros wird als vermittelndes Element verstanden, als Sehnsucht und Verlangen. Er strebt nach dem Höchsten, dem „Weg, der den Menschen zum Göttlichen führt, aber nicht umgekehrt“, denn die griechischen Götter lieben nicht.
Johannes Paul II. erläutert: „Die Sehnsucht nach der Transzendenz ist also ein Wesenselement des platonischen Eros-Begriffes, eine Vorstellung, die den radikalen Dualismus der Welt der Ideen und der Welt der Sinne überwindet. Der Eros ermöglicht den Übergang von der einen in die andere Welt. Er ist also eine Art Flucht über die materielle Welt hinaus, auf welche die Seele verzichten muss, weil das Schöne der sinnfälligen Dinge nur Wert besitzt, sofern es in die Höhe führt.“
Für Platon ist der Eros reine Egozentrik. Die Liebe will den Gegenstand erobern und besitzen, der für den Menschen wertvoll ist: „Nach Platon ist der Eros die innere Kraft, die den Menschen zu allem hinzieht, was gut, wahr und schön ist. Diese Anziehung weist in unserem Fall auf die Intensität eines subjektiven Aktes des menschlichen Geistes hin. In der gängigen Bedeutung hingegen – wie auch in der Literatur – scheint diese Anziehung vor allem sinnenhafter Art zu sein. Der Eros weckt in den beiden Personen, in Mann und Frau, die Neigung, sich einander zu nähern bis zur körperlichen Vereinigung, zu jener Vereinigung, von der Genesis 2,24 spricht.“
Doch der platonische Eros weicht entscheidend von der Anziehung und Berufung der menschlichen Person ab, denn die „gegenseitige Anziehung“ und „bleibende Berufung“ von Mann und Frau ist gebunden an das „Einswerden im Fleisch“, das „zugleich die Einheit und Gemeinschaft der Personen verwirklichen soll“. Die Worte Christi über die Begierde enthalten aber mitnichten ein „negatives Urteil über das Erotische“ oder eine „strenge Warnung vor dem Eros“, sie binden die Geschlechtlichkeit von Mann und Frau, damit auch die Dimensionen der Sexualität, an die Würde der Person.
Johannes Paul II. empfiehlt eine christliche Überformung und Aneignung des platonischen Verständnisses: „Wenn wir annehmen, dass der Eros die innere Kraft bedeutet, die den Menschen zum Wahren, Guten und Schönen hinzieht, dann erkennt man, dass sich damit auch der Weg zu dem auftut, was Christus in der Bergpredigt ausdrücken wollte. Die Worte von Matthäus 5,27–28 sind eine Anklage des menschlichen Herzens und zugleich und noch mehr ein an dieses Herz gerichteter Appell. Dieser Appell ist das eigentliche Ethos der Erlösung. Der Aufruf zu dem, was wahr, gut und schön ist, bedeutet im Ethos der Erlösung zugleich die Notwendigkeit, das zu überwinden, was von der dreifachen Begierde herrührt. Er kann und muss auch verändern, was von der fleischlichen Begierde belastet wurde.“
Eros und Ethos stünden nicht im Gegensatz zueinander, sondern können einander im Herzen des Menschen begegnen: „Es ist des menschlichen Herzens wohl würdig, dass die Art und Weise des Erotischen zugleich die Ausdrucksweise des Ethos ist, also dessen, was ethisch ist.“
Christus lenke in der Bergpredigt das Verständnis des Menschen nicht auf eine negative Wertung des Eros. Das Verbot des begehrlichen Blickes führe zu den „wahrhaft tiefen und wesentlichen Werten“, das heißt also mit der Anerkennung und Wertschätzung der Würde der menschlichen Person in ihrer Leibhaftigkeit, in ihren Emotionen, in ihrer Gänze als Geschöpf Gottes, als Mann und Frau. Das Verbot „schützt diese Werte nicht nur, sondern macht sie auch zugänglich und legt sie frei, wenn wir lernen, ihnen unser Herz zu öffnen“.
Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.