11. September 2017
Meine Töchter gehen in einen katholischen, integrativen Kindergarten. In der Gruppe der Jüngsten ist ein Junge mit Trisomie 21 (Down Syndrom). Er ist manchmal schlecht gelaunt, manchmal sehr fröhlich und manchmal sitzt er gemütlich auf dem Bauteppich und spielt mit den Autos. Ob ihr bewusst ist, dass er ein wenig anders ist als sie? Vermutlich, denn welche Kinder sind schon gleich? Sie wird alle Kinder mit ihren Besonderheiten, Macken und liebenswerten Seiten wahrnehmen und in ihre Lebenswelt einflechten. Ihr ist es also egal, ob sie einem Kind mit oder ohne Behinderung begegnet.
Dann fällt mir auf, wie selten ich Menschen so offen und vorurteilsfrei begegne. "Werdet wie die Kinder", heißt es in Matthäus 18,3, aber daran halte ich mich viel zu selten. Dabei ist es so wichtig, jeden Menschen in seiner Ebenbildlichkeit Gottes vom Tag seines Ursprungs an zu betrachten. Denn wenn ich ernst nehme, was ich glaube, nämlich dass Gott sich in jedem Nächsten offenbart und in jedem Menschen seiner Liebe zu uns Ausdruck verliehen hat, dann sollte ich genau mit dieser Offenheit durch den Alltag gehen.
Während ich darüber nachdenke, zieht sich meine Tochter die Schuhe verkehrt herum an und lacht über ihre "Entenfüße". Ich lache mit und mein Blick fällt auf einen großen Spiegel, der im Flur der Kita hängt. Groß und sichtbar steht dort geschrieben:
"DU BIST MEIN GELIEBTES KIND, AN DIR HABE ICH GEFALLEN GEFUNDEN" (Lukas 3,22).
Ich bin berührt. Genau dieser Satz enthält doch alles, was mir gerade durch den Kopf gegangen ist. Jedes Kind, dass morgens in die Kita kommt und sich in diesem Spiegel betrachtet, wird von Gott so geliebt, wie es ist. Und was ist mit den Menschen? Sind wir auch bereit zu dieser bedingungslosen Liebe?
Zu Hause erlebe ich dann einen krassen Schnitt. Auf Facebook poppt ein Bild hoch: Eine Frau hält lachend ein Plakat hoch mit der Aufschrift "Mein Bauch gehört mir". Den einen, altbewährten Spruch, wenn es darum geht, Abtreibung zu befürworten und zu bewerben. Ja, klar, mein Bauch, meine Hände, meine Füße, alles gehört mir. Die Frau hat Recht, aber ich kann mit meinen Händen meiner Tochter liebevoll über den Kopf streicheln oder aber einen ihrer gebauten Türme umwerfen. Ich bin verantwortlich für das was ich tue und wofür ich meine Kraft und meine Fähigkeiten und meinen Körper einsetze.
Eigentlich ist dieser Satz noch viel schlimmer…meine Tochter hat sich heute Morgen "Entenfüße" angezogen. Fand sie zunächst ganz witzig, dann benötigte sie Unterstützung bei der Zuordnung des richtigen Schuhs zum richtigen Fuß. Sie legte ihr kleines Händchen auf mein Knie, um sich auszubalancieren und schaffte es schließlich mit kleinen Hilfestellungen fast ganz alleine. Sie war stolz und ging zufrieden in ihre Gruppe. Sie ist hilfsbedürftig, sie ist abhängig von mir und anderen Erwachsenen, die sie unterstützen und ins Leben tragen.
Wenn diese Frau ihren Bauch also für sich selber deklariert und nicht akzeptiert, dass sie sich durch eine Schwangerschaft in ein Abhängigkeitsverhältnis zu einem hilfsbedürftigen, kleinen Menschen begibt, dann erkennt sie jedem Menschen der auf Hilfe angewiesen ist, das Lebensrecht ab. Alte Menschen, Menschen mit Behinderung, Unfallopfer, Babys, Kleinkinder-alle Menschen, denen man ab und an unter die Arme greifen muss, sind nicht das gleiche Wert, wie Menschen die alleine klarkommen.
Ist das nicht furchtbar? Ich werde unendlich traurig bei diesem Gedanken und frage mich, woran es liegt, dass man sich grinsend mit einem solchen Plakat auf die Straße stellt. Vielleicht würde diese Frau mir auch sagen, dass alte Menschen oder Menschen mit Behinderung natürlich Anspruch auf Hilfe haben, denn das traut sich ja auch keiner zu sagen, dass solche Menschen weniger wert sind. Aber wieso ungeborenes Leben?
Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Es entzieht sich meiner Vorstellungskraft. Ich erlebe im Freundeskreis Eltern, die sich lange Kinder wünschen und endlich ihr kleines Bündel Leben in den Armen halten. Ich erlebe Eltern, die um die Gesundheit ihres Kindes bangen, vor- und nach der Geburt und ich erlebe gerade selber zum dritten Mal das Wunder des Lebens.
Wenn ich beim Frauenarzt bin und das Leben von Anfang an auf dem Ultraschallbildschirm verfolge, dann kam mir bisher jedes Mal um die 12. Woche rum der Gedanke: Wie kann jemand behaupten, das sei kein Leben oder die Entscheidung treffen, dieses Leben zu beenden?
Ich weiß es nicht und ich verstehe es nicht.
Nun will ich das auch nicht einfach so stehen lassen, sondern von einem älteren Herrn berichten. Mein Mann und ich hatten "Ausgang", wie wir es scherzhaft nennen, und sind zusammen in ein Café zum Frühstück gegangen. Unterwegs saß ein älterer Mann in einem Straßencafé, sah offenbar meinen Babybauch und sagte laut: "Meinen Glückwunsch und alles Gute für das neue Leben". Er schaute mich dabei intensiv an und meinte das was er gesagt hatte ehrlich und ernst. Ich lächelte ihn an und sagte ebenfalls kräftig: "Danke und ihnen auch alles Gute". Er lächelte und trank seinen Kaffee weiter.
Da bin ich wieder bei meinen Gedanken von heute Morgen, als ich mit meiner Tochter im Kindergartenflur an der Garderobe saß. Ich hätte diesen Mann nie wahrgenommen, vielleicht sogar als etwas ungepflegt empfunden. Er hat mich angesprochen und mich im Herzen berührt. Das sind Begegnungen, die Jesus meinte, als er sagte (frei zitiert), dass wir in jedem Nächsten ihm selbst begegnen.
Elisabeth Illig ist Mutter von bald drei Kindern. Die gelernte Erzieherin hat ihr Theologiestudium bewußt unterbrochen, um sich um die Familie zu kümmern.
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"...denn auch die Chefs sind Söhne und wissen: Mutti macht das schon. Oder?" https://t.co/pcjteQ6NCh #lassenSiemichdurchichbinMutter