Rom - Freitag, 6. Mai 2016, 8:27 Uhr.
Die Tatsache, dass der Internationale Karlspreis zu Aachen am heutigen Freitag in Rom verliehen wird, hat mehr als nur stark symbolischen Charakter. Dieser ganze Akt verweist auf die existenzielle Krise dieses Kontinents und seiner zerrütteten Politik, aber auch die Hoffnung einer Neugründung Europas unter dem Antlitz Gottes
Tatsächlich ist diese Auszeichnung in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlich und bedeutungsschwer — nicht nur, weil Päpste eigentlich keine Preise annehmen und Franziskus laut eigenem Bekunden Preise "nicht mag", sich in diesem Fall aber von Kardinal Kaspers "heiliger und theologischer Sturheit" aber habe überreden lassen.
Kein europäischer Preisträger
Der Papst, der heute im Zentrum der längst nicht mehr europäischen Weltkirche steht ist kein Europäer. Er ist ein reisefreudiger Argentinier, der seit seiner Wahl zum Papst im März 2013 mehrfach an den Rand Europas ging, etwa nach Lampedusa, Lesbos oder Albanien. Der aber bisher die großen Zentren des Kontinentes bewußt vermieden hat, für den er zudem immer wieder kritische Worte gefunden hat. Mit einer Ausnahme, wenn man denn Straßburg ein europäisches Zentrum nennen möchte: Am 25. November 2014 kam Franziskus für vier Stunden in die französisische Stadt. Es war die kürzeste Auslandsreise, die je ein Papst gemacht hat, und Franziskus machte sie, um dem Europäischen Parlament vorzuhalten, wie müde, alt und unfruchtbar der Kontinent sei. Und er appellierte dafür, "gemeinsam das Europa aufzubauen, das sich nicht um die Wirtschaft dreht, sondern um die Heiligkeit der menschlichen Person, der unveräußerlichen Werte." Der Papst sagte den "lieben Europa-Abgeordneten":
Ein anonymer Autor des 2. Jahrhunderts schrieb, dass "die Christen in der Welt das sind, was die Seele im Leib ist". Die Aufgabe der Seele ist es, den Leib aufrecht zu erhalten, sein Gewissen und sein geschichtliches Gedächtnis zu sein. Und eine zweitausendjährige Geschichte verbindet Europa mit dem Christentum. Eine Geschichte, die nicht frei von Konflikten und Fehlern – auch von Sünden –, immer aber beseelt war von dem Wunsch, am Guten zu bauen. Das sehen wir an der Schönheit unserer Städte und mehr noch an der Schönheit der vielfältigen Werke der Liebe und des gemeinschaftlichen menschlichen Aufbaus, die den Kontinent überziehen. Diese Geschichte ist zum großen Teil erst noch zu schreiben. Sie ist unsere Gegenwart und auch unsere Zukunft. Sie ist unsere Identität. Und Europa hat es dringend nötig, sein Gesicht wiederzuentdecken (...).
Was er mit dieser "Wiederentdeckung" meint, hat er vor einigen Wochen noch einmal erklärt. Auf dem Rückflug aus Mexiko erzählte Franziskus Journalisten, dass er nicht nur darauf bestanden habe, die Auszeichnung in Rom anzunehmen. Nein, er biete den Karlspreis auch "als Mit-Auszeichnung" an Europa an, "dass es nicht mehr 'Großmutter Europa' sein möge, sondern 'Mutter Europa'". Ihm gefalle das Wort von einer "Wiedergründung der Europäischen Union". Der Papst wörtlich: "Ich dachte an die großen Väter, aber heute, wo sind da ein Schuman, ein Adenauer, diese großen Persönlichkeiten?" Deutlicher geht es kaum. Und doch loben ihn gerade die derzeitigen "Väter" und "Mütter" vollmundig, gratulieren ihm heute in Rom: Eigens angereist sind Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz; und mit ihnen viele mehr.
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Krise und Hoffnung
Das alles mag auf den ersten Blick kurios erscheinen, oder typisch für "unsere" Politiker. Auf den zweiten Blick schenkt es Hoffnung. Denn es zeigt nicht nur wie tief, ja, existenziell, die Krise des europäischen Kontinents ist, sondern auch, wo die Lösung zu suchen ist: Im christlichen Glauben nämlich, in der Kirche. Je weiter wir Europäer uns von unseren Wurzeln und Lebenssinn entfernen, desto weiter klafft auch die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Im eigenen Leben, wie in der Europäischen Union und deren dringend nötiger "Neugründung".
Ob gerade diese Politiker — und politisch agierende Menschen, auch in der Kirche — auf ihn wirklich hören werden, jenseits der Lobeshymnen und des Applauses, darf bezweifelt werden. Einmal, weil viele es sonst bewußt auch nicht tun, weder persönlich noch politisch, etwa bei den Themen rund um Ehe und Familie, oder den Übeln der Abtreibung, Euthanisie und Gender-Ideologie. Und zum anderen, weil es beim ersten Papst, der den Karlspreis erhielt, auch schon so war. Johannes Paul II. erhielt einen "Sonderkarlspreis" im Jahr 2004. Dabei sprach der Heilige vom Traum in seinem Herzen: einem Europa des Menschen, über dem das Angesicht Gottes leuchte:
Das Europa, das mir vorschwebt, ist eine politische, ja mehr noch eine geistige Einheit, in der christliche Politiker aller Länder im Bewußtsein der menschlichen Reichtümer, die der Glaube mit sich bringt, handeln: engagierte Männer und Frauen, die solche Werte fruchtbar werden lassen, indem sie sie in den Dienst aller stellen für ein Europa des Menschen, über dem das Angesicht Gottes leuchtet.
Dies ist der Traum, den ich im Herzen trage und den ich bei dieser Gelegenheit Ihnen und den kommenden Generationen anvertrauen möchte.
Seitdem sind 12 Jahre vergangen. Der Traum harrt weiter seiner Verwirklichung. Ihn zu verwirklichen, ist Auftrag und Verantwortung jedes Katholiken, nicht (nur) der Politikerinnen, Bischöfe und anderer Entscheider.
https://t.co/OMs05K4zl4 "Ein Europa, dessen Einheit in wahrer Freiheit gründet" - Johannes Paul II (F: @oss_romano) pic.twitter.com/NsxsAeCssc