Der Obelisk auf dem Petersplatz ist der Kronzeuge der Kreuzigung des Apostels Petrus, des ersten aller Päpste Roms, die sich als seine Nachfolger allesamt als „Stellvertreter Christi“ verstanden. Bis zum Jahr 1586 stand der Monolith deshalb unverrückt links vom Petersdom, am ehemaligen Haupteingang der Basilika. Genau dort nämlich hatte ihn Kaiser Caligula im Jahr 38 als zentralen Blickfang im Zentrum seines neuen Circus aufrichten lassen. Doch Kaiser Nero übernahm diese Arena von Caligula nicht nur für seine Wagenrennen, sondern auch zur Inszenierung des ersten Massakers an Roms junger Christenheit im Jahr 68, dem der Apostelfürst unter vielen anderen zum Opfer fiel.

Nach seinem Tod wurde Petrus einen Steinwurf weiter in jenem Grab bestattet, über das sich heute die Peterskuppel Michelangelos wölbt. Der Apostel hatte sich im Gegensatz zu Jesus von Nazareth kopfüber kreuzigen lassen. Doch bevor ihm die Augen brachen, schaute er auf diesen Stein. Darum ließ Papst Sixtus V. Den 320 Tonnen schweren Koloss im Jahr 1586 vom Architekten Domenico Fontana in einer unfassbaren Ingenieurleistung von seiner ursprünglichen Position auf den heutigen Petersplatz verfrachten.

Militärmacht Europas

Der Platz links vom Petersdom, wo der Obelisk ursprünglich stand, heißt bis heute „Piazza die Protomartiri Romani“. Es ist aber nicht nur der Platz der ersten Märtyrer Roms, sondern auch der Ort eines schaurigen Massakers, mit dem am 6. Mai 1527 genau hier die Neuzeit in einem apokalyptischen Höllengericht begann. Das war der „Sacco di Roma“, in dem der vatikanische Obelisk zum Kronzeugen des unbekanntesten Märtyrers Roms und des vielleicht außergewöhnlichsten Helden der Schweiz wurde.

Das war Kaspar Röist, der Kommandant der Schweizergarde, der gerade durch die Restaurierung der Schweizer Kapelle im Campo Santo Teutonico durch die Stiftung der Schweizergarde auf jenem Fresko wieder neu in den Blick kommt, wo ihn Polidoro da Caravaggio, ein Schüler, im Auftrag des Kommandanten im Jahr 1517 mit einigen seiner Offiziere unter dem Kreuz Christi porträtierte. So breitbeinig und selbstbewusst, wie er da posiert, die rechte Hand am Griff seines Schwertes und in der Linken eine Streitaxt, macht nur zu deutlich, dass er hier noch nicht die geringste Ahnung davon hatte, welcher Kreuzweg ihn bald erwarten würde, der hier kurz skizziert werden soll.

Im Jahr 1506 hatte Papst Julius II. den Neubau der Petersbasilika in Angriff genommen. Im gleichen Jahr marschierte ein erstes Kontingent Schweizer Reisläufer in Rom ein, die derselbe Papst zu seinem Schutz von der Eidgenossenschaft erbeten hatte, weil die Schweiz seit ihrem Sieg vom 22. Juni 1476 über Karl den Kühnen von Burgund als effizienteste Militärmacht Europas galt. Den Komplex von Sankt Peter mit der alten Basilika aus dem Jahr 324 und Teilen des Neubaus müssen wir uns in den Jahrzehnten nach 1506 als größte Baustelle der Welt vorstellen, deren Finanzierung das alte Europa mit heftigstem Streit erschütterte.

Unter Leo X., dem Nachfolger Julius II., kam es dieser Streitfragen wegen am 31. Oktober 1517 in Wittenberg zum Thesenanschlag Martin Luthers, auf den der Papst mit seiner Bulle „Exsurge Domine“ reagierte, in der er dem Reformator den Ausschluss aus der Christenheit androhte. Luther verbrannte das Schreiben allerdings am 10. Dezember 1520 mitsamt Siegel vor dem Wittenberger Elstertor.

Flugblätter verbreiteten das Ereignis in Windeseile durch Europa. Der Buchdruck und die neue Papierherstellung verbanden sich in jenen Tagen zu neuen Medien, wie sie die Welt noch nie erlebt hatte. In dieser Zeit kommandierte Kaspar Röist die päpstliche Garde auf dem Vatikanhügel. Er tat dies in Vertretung und an Stelle seines Vaters Markus Röist, des Bürgermeisters von Zürich, der schon zu alt war für den aktiven Dienst an der Waffe.

Ein Jahr später trat Luther mit 37 Jahren auf dem Reichstag zu Worms in einem ungleichen Duell Karl V. entgegen, der mit gerade 21 Jahren zum Kaiser des deutschen römischen Reiches gewählt worden war. „Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde“, sagte der talentierte Mönch dem unbedarften Herrscher, „so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, dass sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben. Widerrufen kann und will ich nichts, weil es weder sicher noch geraten ist, etwas gegen sein Gewissen zu tun. Gott helfe mir, Amen.“

Mönchlein, Mönchlein“

Einen Tag später diktierte der junge Habsburger eine Erklärung, in der er sich auf seine Herkunft aus rechtgläubigem Geschlecht berief und sagte, ein einzelner Mönch könne nicht recht haben gegen die Fülle der römisch-katholischen Überlieferung und all die Väter und Denker, die daran mitgewirkt haben: „Es ist sicher, dass ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, wenn diese gegen die der ganzen Christenheit steht, wie sie seit mehr als tausend Jahren und heute gelehrt wird. Sonst hätte ja die ganze Christenheit heute und immer geirrt.“

Danach verhängte Karl V. die Reichsacht gegen den Reformator, dem Georg von Frundsberg dazu respektvoll sagte: „Mönchlein, Mönchlein, Du gehst jetzt einen schweren Gang, dergleichen ich und meine Obristen auch in der allgefährlichsten Schlacht nicht getan haben.“ Von Frundsberg war der berühmteste Kommandeur des Kaisers. Sein Urteil hatte Gewicht. Tatsächlich aber waren die künftigen Schwierigkeiten in Luthers Leben ein Klacks, verglichen mit dem „schweren Gang“, der danach auf Deutschland wartete. Die Spaltung der römisch-katholischen Kirche und des Reichs war seit dem Tag nicht mehr aufzuhalten. Sechs Jahre später zog derselbe von Frundsberg mit einem kaiserlichen Söldnerheer nicht des Glaubens wegen, sondern im Streit zwischen Karl V., König Franz I. Von Frankreich und Papst Clemens VII. durch Italien, um in Rom vom Papst eine Entscheidung zugunsten des Römischen Reichs der Deutschen zu erzwingen. Sein Heerhaufen bestand aus rund 20.000 deutschen und spanischen Landsknechten, die am 16. März 1527 vor Bologna gegen ihren Kommandeur rebellierten, als er ihnen keinen Sold mehr zahlen konnte.

Von Frundsberg erlitt in dem Tumult einen Schlaganfall. Charles de Bourbon, sein Nachfolger, bekam die Truppe nicht mehr in den Griff, trotz eines letzten Versuchs, das reiche Florenz zu belagern. Aber die Aussicht auf eine leichtere Beute entfesselte den ungebremsten Sturm der Soldateska auf Rom, wo nur noch die Schweizergarde zwischen ihnen und dem Papst und dessen Schätzen stand. Kaiser und Papst mochten katholisch sein. Die deutschen Landsknechte des Heeres waren in ihrer Mehrheit evangelisch.

Allahu akbar“-Schreie

Das galt aber auch für die Schweizergarde! Denn auch in ihrer Heimatstadt Zürich hatte Zwingli gerade mit Rom gebrochen. So erhielt Kommandant Röist angesichts der Bedrohung durch das führerlose kaiserliche Heer vom Zürcher Stadtrat per Boten den Befehl, Rom sofort zu verlassen und mit der Garde in die Heimat zurückzukehren. Dies werde er nicht tun, schrieb Röist zurück. Er sei zwar Protestant, habe aber dem Papst einen Treueeid geschworen. Der sei jetzt in Lebensgefahr, mit den Deutschen vor den Toren Roms. Ihn in dieser Lage im Stich zu lassen, wisse er deshalb „mitt eren nit zu verantwurten“.

Am 6. Mai fielen die Deutschen mit „Luther, Luther“-Geschrei in die Stadt ein, das in den Ohren der Römer so fürchterlich klang wie vor wenigen Jahren die „Allahu akbar“-Schreie der Söldner des Islamischen Staates in Syrien. Doch bevor sich die demoralisierten und hungrigen Landsknechte ans allgemeine Morden und Sengen und Brennen und Plündern machten, wollten sie sich den Papst greifen und brachen vom Gianicolo-Hügel in den Vatikan ein. Am Obelisken aber, der damals noch links neben der Großbaustelle des neuen Petersdoms in den Himmel ragte, standen ihrer Übermacht von 22.000 Mann knapp 147 Schweizergardisten mit gefällten Lanzen und Hellebarden entgegen, mitten unter ihnen ihr Hauptmann. Alle wurden niedergemacht. Kaspar Röist wurde zunächst verwundet und danach seiner Treue zum Papst wegen vor den Augen seiner Frau Elisabeth Klingler von katholischen Spaniern ermordet. Kein Gardist floh, keiner ergab sich. Alle starben den Martertod für ihren Treueeid. Begraben wurden sie in der Schweizer Kapelle der Kirche zur schmerzhaften Gottesmutter im Campo Santo Teutonico.

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Kratzer in Raffaels Fresko

Papst Clemens VII. war nicht unter den Opfern. Denn während der Heerhaufen der Schweizergarde zu seinem Schutz den Heldentod starb, hatte der Hellebardier Herkules Göldli mit 42 restlichen Gardisten den Pontifex maximus und das Schweißtuch Christi über den Mauerweg des „Passetto“ vom Apostolischen Palast in die Engelsburg in Sicherheit gebracht. Das anschließende Gemetzel und die Verheerung Roms im „Sacco di Roma“ war eine Orgie von Massenvergewaltigungen in Nonnenklöstern, Folterungen, Plünderungen, Erpressungen von Lösegeldern. Zahllose Reliquien und Kunstschätze wurden zerstört, liturgische Geräte geraubt und eingeschmolzen. Blutrausch hat die entfesselten Banden ergriffen. „LUTHER“ kratzte ein Landsknecht mit seinem Katzbalger in Raffaels Fresko von der „Verherrlichung des Heiligen Altarsakraments“ in den Papstgemächern. Im „Sacco di Roma“ wurden die deutschen „lanzichenecchi“ der Sprache Dantes für immer wie ein Brandmal als Begriff hinzugefügt.

An den Heldentod der Schweizer erinnert jedes Jahr neu der 6. Mai, wenn die neuen Rekruten der Garde im Damasus-Hof des Apostolischen Palastes feierlich vereidigt werden und an der Stelle des Gemetzels neben Sankt Peter einen Ehren-Kranz niederlegen. Den Regularien Roms entsprechend, genügt normalerweise ein Martertod um Christi willen für eine Heiligsprechung. Und nach der Initiative Johannes Pauls II., der schon vor Jahrzehnten im Andenken Dietrich Bonhoeffers von einer „wahren Ökumene der Märtyrer“ sprach. Und nach dem revolutionären Schritt vom letzten 10. Mai, als Papst Franziskus 21 koptische Märtyrer aus Libyen zu Heiligen erklärte — obwohl sie nicht einmal die römisch-katholische Taufe anerkennen –, wollen wir deshalb heute an den Papst appellieren, neben Niklaus von Flüe, dem ersten großen Heiligen der Eidgenossen, endlich auch Kaspar Röist unter Roms Heilige einzureihen, seit es für den Hauptmann eine Ehrensache war, mit seinen 147 Mitgardisten für den konfessionsverschiedenen Pontifex und Stellvertreter Christi sein Leben hinzugeben.

Oder kürzer und gut römisch: Heiliger Kaspar, bitte für uns!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Schweizer Zeitschrift „Die Weltwoche“ (hier abonnieren). In veränderter Form erschien er auch im „Vatican-Magazin“ (hier abonnieren).

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.