Johannes Paul II. setzt in der Katechese vom 14. Mai 1980 (publiziert in L’Osservatore Romano 80/21) seine Analyse des Sündenfalls fort. Die Scham erschüttert Mann und Frau in den „Grundfesten ihrer Existenz“: „Der innere Zwang, sich zu verstecken, weist darauf hin, dass in der Tiefe der voreinander empfundenen Scham als unmittelbarer Frucht des Baumes der Erkenntnis von Gut und Böse ein Gefühl der Furcht vor Gott entstanden ist: eine bis dahin unbekannte Furcht.“

Das „körperliche Schamgefühl“ ist verbunden mit dem „Bewusstwerden der eigenen Nacktheit“: „Der Mensch sucht mit der Scham vor seiner eigenen Nacktheit den eigentlichen Ursprung der Angst zu verdecken, indem er, statt ihre Ursache beim Namen zu nennen, vielmehr die Wirkung aufzeigt.“ Die Scham bezieht sich nicht nur auf die Nacktheit des Leibes, sondern auf den ganzen Menschen.

Johannes Paul II. erläutert: „In Wirklichkeit zeigt sich durch die Nacktheit der Mensch, welcher der Teilnahme am göttlichen Geschenk beraubt ist, der Mensch, der sich jener Liebe entfremdet hat, die Quelle des ursprünglichen Geschenkes, Quelle der Fülle des dem Geschöpf bestimmten Guten gewesen war.“ Der Mensch, der sich als nackt erkennt, bekommt Angst und versteckt sich. Warum ist das so?

Der Papst fragt, was diese Angst über die Bedeutung des Körpers sagt: „Im Zustand der ursprünglichen Unschuld war, wie wir früher festgestellt haben, die Nacktheit kein Ausdruck des Mangels, sondern die volle Bejahung des Leibes in seiner ganzen menschlichen und damit persönlichen Wirklichkeit. Der Körper als Ausdruck der Person war das erste Zeichen für die Anwesenheit des Menschen in der sichtbaren Welt. In dieser Welt war der Mensch von Anfang an in der Lage, sich selbst von den anderen Lebewesen zu unterscheiden, d. h. sich als Person zu bestätigen, auch durch seinen Leib. Denn dieser Leib war sozusagen der sichtbare Faktor der Transzendenz, durch die der Mensch als Person über die sichtbare Welt der Lebewesen (animalia) hinausragt. In diesem Sinne war der Leib des Menschen von Anfang an ein treuer Zeuge und ein sichtbarer Ausdruck der ursprünglichen Einsamkeit des Menschen in der Welt; gleichzeitig war er durch seine Männlichkeit und Weiblichkeit ein deutliches Element der gegenseitigen Hingabe der Personen. So trug der menschliche Körper im Geheimnis der Schöpfung ein unzweifelhaftes Zeichen der Ebenbildlichkeit Gottes an sich und bildete auch die eigentliche Quelle für die Gewißheit der Ebenbildlichkeit, die in jedem Menschenwesen vorhanden ist. Die ursprüngliche Bejahung des Leibes bildete gewissermaßen die Grundlage für die Bejahung der ganzen sichtbaren Welt.“

Doch diese Beziehung verändert sich entscheidend. Der Mensch ist sich der Gottebenbildlichkeit nicht mehr gewiss, die in seinem Leib zum Ausdruck kommt: „Er verliert gewissermaßen auch das Bewusstsein, dass er das Recht hat, die Welt wahrzunehmen, an der er sich im Geheimnis der Schöpfung erfreut hatte. Die Grundlage dieses Rechts lag im Innern des Menschen, darin, dass er an der göttlichen Schau der Welt und seines Menschseins teilnahm.“

Der Leib, das „Zeichen der Person in der sichtbaren Welt“, wird nicht mehr bejaht, und dasselbe gilt für die materielle Welt. Der Mensch schwankt, irritiert, verunsichert, im Zustand der Sünde: „Die Worte Gott-Jahwes künden gewissermaßen die Feindseligkeit der Welt an, den Widerstand der Natur gegen den Menschen und seine Aufgaben, sie künden die Mühsal an, die der Leib des Menschen fortan im Umgang mit der von ihm unterworfenen Erde erfahren würde.“

Der Mensch ist Staub, der zum Staub zurückkehren, also sterben muss (Gen 3,19): „In diesem Zusammenhang – oder besser: in dieser Perspektive – scheinen die Worte Adams in Gen 3,10: ‚Ich bekam Angst, weil ich nackt bin, und habe mich versteckt‘, das Gefühl der Schutzlosigkeit sowie der Unsicherheit seines Körpers gegenüber den Naturvorgängen zum Ausdruck zu bringen, die unvermeidbar wirksam sind. In dieser erschütternden Aussage ist eine Art ‚kosmischer Scham‘ enthalten, in der sich das nach dem Ebenbild Gottes geschaffene und zur Unterwerfung und Beherrschung der Erde berufene Wesen (vgl. Gen 1,28) kundgibt: dieses Wesen, das nun zu Beginn seiner geschichtlichen Erfahrungen in solch eindeutiger Weise der Erde unterworfen wird, besonders in dem Teil seiner transzendenten Befindlichkeit, die eben im Körper ihren Ausdruck findet.“

Der Mensch erlebt, bedingt durch die Abwendung von Gott, nicht das erträumte Glück, nicht höhere Einsicht und auch nicht die Verheißungen des Verführers, sondern er erlebt eine geborstene Welt, sozusagen eine Trümmerlandschaft, von Gott entfremdet. Der Sünder lebt in Angst. Er hat die Vertreibung aus dem Paradies selbst verursacht.

Wer diese Reflexionen bedenkt, mag sich an vorherige Betrachtungen Johannes Pauls II. über den Ehebruch erinnern: Wie leicht zerbrechen Familien, wenn Ehepartner nur noch ihr eigenes Ich sehen und sich entfernen, der Ehe und ihren Kindern schweren Schaden zufügen, weil sie scheinbar sich selbst entdecken, aber durch ihr sündhaftes Tun doch nur bezeugen, dass sie sich von Gott und zugleich vom Partner entfremdet haben. Die Abwendung von Gott ist eine schmerzhafte Erfahrung im Alltag, in einer Welt, die vom Begriff Sünde nichts mehr wissen will.

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