5. April 2025
In der Katechese vom 15. Oktober 1980 (veröffentlicht in L’Osservatore Romano 80/43) geht Johannes Paul II. der Frage nach, ob der Leib als Quelle des Bösen angesehen werden kann. Bis in unsere Zeit hinein wird dem Christentum, insbesondere aber der verbindlich gültigen Lehre der Kirche, eine negative Bewertung der menschlichen Sexualität oder eine grundsätzliche Leibfeindlichkeit unterstellt. Diese Irrtümer rühren aus Unkenntnis, sind aber auch sicher dem Zeitgeist und der „Diktatur des Relativismus“ (Benedikt XVI.) in der Moral geschuldet.
Johannes Paul II. spricht über die „Dimension des inneren Menschen“, die zur Ethik und zur Theologie des Leibes gehöre: „Das Verlangen, das im Bereich der fleischlichen Begierde aufsteigt, ist zugleich eine innere und eine theologische Wirklichkeit, die gewissermaßen von jedem geschichtlichen Menschen erfahren wird.“
Gefragt wird, wie der Mensch, der auf die Bergpredigt hört, nun konkret handeln soll: „Wie sollte oder müßte er handeln, das heißt, in welcher Weise stellen die Werte, die nach der in der Bergpredigt offenbarten Rangordnung erkannt werden, eine Verpflichtung für seinen Willen und sein Herz, seine Wünsche und seine Entscheidungen dar? In welcher Weise verpflichten sie ihn in seinem Handeln und Verhalten, wenn sie ihn, einmal erkannt und aufgenommen, bereits im Denken und in gewisser Weise im Empfinden verpflichten?“
Die Geschichte des Ethos kennzeichnet Johannes Paul II. als ein „vielgestaltiges Flussbett“. Der geschichtliche Mensch schwanke zwischen Pessimismus und Optimismus, füge sich den Vorgaben puritanischer Strenge oder hedonistischer Lustbarkeit. Die Worte Christi sind in ihrer Tiefe unverstanden geblieben: „Den Worten Christi wurde vielmehr ihre Schlichtheit und Tiefe genommen; es wurde ihnen eine Bedeutung unterschoben, die weit von der tatsächlichen entfernt ist, eine Bedeutung, die letzten Endes sogar im Widerspruch zu diesen Worten steht.“
Johannes Paul II. verweist auf den Manichäismus und die Gnosis, auf jene Lehre, in der behauptet werde, die Seele sei in der Materie gefangen und müsse von ihr befreit werden. Gefordert wird ein vollständiger Bruch zwischen Geist und Materie, der mit Erlösung identifiziert wird. Der Manichäismus lehrt: „Die Materie ist im Grund Begierde, böses Verlangen nach Lust und Genuß, tödlicher Instinkt, der dem Sexualtrieb, der Libido vergleichbar, wenn nicht überhaupt mit ihm identisch ist. Sie ist eine Kraft, die das Licht anzugreifen sucht; eine ungeordnete Bewegung, ein tierisches, brutales, halbbewusstes Verlangen. Adam und Eva wurden von zwei Dämonen gezeugt; unser Geschlecht entsprang einer Folge abstoßender Akte des Kannibalismus und der Sexualität und bewahrt die Zeichen dieses diabolischen Ursprungs: den Körper, der die tierische Gestalt der ‚Archonten der Unterwelt‘ ist, und die Libido, die den Menschen dazu treibt, sich zu paaren und fortzupflanzen und damit die lichtvolle Seele für immer gefangen zu halten.“
Damit steht der Manichäismus im Gegensatz zum Christentum. Die geschlechtliche Vereinigung wird als Unzucht angesehen, als „Brutalität und Bestialität“, die den Menschen im Liebesakt zu „Werkzeugen und Mitschuldigen des Bösen“ mache. Die Erwählten des Manichäismus lebten asketisch und abstinent. Diese Lehre verurteilte alles Körperliche am Menschen: „Und da sich beim Menschen die Körperlichkeit vor allem im Geschlechtlichen äußert, wurde diese Verurteilung auch auf die Ehe und das eheliche Zusammenleben sowie auf sämtliche Bereiche des Seins und des Handelns, in denen die Körperlichkeit zum Ausdruck kommt, ausgeweitet.“
Wer unwissend, so Johannes Paul II., diese Lehren betrachte, der sehe in der manichäischen Deutung Parallelen zu den Worten Christi, etwa in Mt 5,29–30, „wo Christus vom ‚Ausreißen des Auges‘ und vom ‚Abhauen der Hand‘ spricht, wenn sie Anlass zum Ärgernis wären“: „Durch die bloß buchstäbliche Auslegung dieser Worte war es auch möglich, zu einer manichäischen Auffassung der Aussage Christi zu kommen, wo von dem Mann die Rede ist, der ‚im Herzen Ehebruch begangen hat …, wenn er eine Frau lüstern ansieht‘. Auch in diesem Fall neigt die manichäische Deutung zur Verurteilung des Körpers als tatsächlicher Quelle des Bösen, da sich nach dem Manichäismus in ihm das Seinsprinzip des Bösen verbirgt und zugleich kundtut. Man versuchte also, eine solche Verurteilung im Evangelium zu finden und fand sie bisweilen dort, wo stattdessen ausschließlich eine besonders an den menschlichen Geist gerichtete Forderung ausgesprochen wurde.“
Das Christentum aber setzt im Gegenteil auf die reife Bejahung von Frausein und Mannsein des Menschen, wozu das „Leibsein“ gehört: „Das ist die richtige sittliche Bedeutung dieser Worte. Sie geben dem Evangelium ein besonderes Ethos in der Absicht, dieses in der Folge dem menschlichen Leben aufzuprägen.“ Somit charakterisiert Johannes Paul II. wieder, was später noch einmal aufgegriffen wird, das Christentum als eine Religion der Leibfreundlichkeit. Jede Apologie der Leibfeindlichkeit stünde im Gegensatz zum Evangelium und damit auch zur Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte.
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