Aus den dramatischen Tagen Jerusalems um die Jahrtausendwende enthält das Buch "Jerusalem. Hauptstadt der Welt in Tagen des Zorns" von Paul Badde eine Auswahl von sechzig Berichten, an die sich der Philosoph Robert Spaemann noch 16 Jahre später mit folgenden Worten erinnerte: "Paul Badde war Korrespondent der "Welt" in Jerusalem. Charakteristisch ist seine Liebe zu Israel – er ist ein wirklicher Freund Israels und der Juden. Aber immer galt für ihn der Satz des Aristoteles: Amicus mihi Plato, magis amica veritas (Platon ist mir lieb, noch lieber ist mir die Wahrheit). Er weigerte sich, parteiisch zu berichten und im arabisch-jüdischen Krieg um das Heilige Land Fakten zu verschweigen. Wie kann man das durchstehen, ohne die Wahrheit zu opfern? Die Antwort ist die des Philippus an Nathanael, und sie lautet: 'Komm und sieh!' Wahrheit wird nicht in erster Linie durch Argumente, sondern durch Evidenz vermittelt. Baddes Bilder vermitteln solche Evidenz."

CNA Deutsch stellt eines der Bilder Baddes vor, von denen Robert Spaemann da spricht, mit einer Kostprobe aus diesem Buch vom Weihnachtsfest 2001 im Heiligen Land aus der Zeit der Intifada.

Die Rückkehr des Esels nach Bethlehem 

Lukas erwähnt den Esel erst, als er Jesus auf seinem Rücken nach Jerusalem trägt, zur Passion, jedoch nicht im Bericht seiner Geburt. Kein Wort davon, dass der Esel mit seinem Atem den Neugeborenen in Bethlehem angehaucht und gewärmt haben soll. Doch wer sonst sollte Maria zu ihrer Niederkunft getragen haben?

Seit der Antike galten Esel als die Könige der Lasttiere, obgleich der Begriff "König" natürlich nicht falsch verstanden werden darf. Der Esel ist kein Löwe. Seine Ohren wird keiner mit einer Krone verwechseln. Sein graues Fell lässt weder einen ordinären Schimmel noch einen Rappen gelb vor Neid werden. Gleichwohl hat dieses wohl liebenswerteste unserer Mitgeschöpfe Vorzüge, die Menschen vielleicht am meisten fehlen. Er ist enorm belastbar, zuverlässig widerborstig und extrem eigenwillig - wobei sein Eigenwille den Esel immer auch vor vielem Unsinn bewahrte, den seine Reiter mit ihm im Schilde führen mochten.

Kriege waren mit Eseln nicht zu führen. Sein Charakter war durch Dressur nie zu verbiegen. Seiner Domestizierung hat er seit der neolithischen Revolution immer recht enge Grenzen gesetzt. Für Futter tut er nicht alles, sondern nur das, was seiner Art entspricht. Dieser unspektakulären Treue zu sich selbst wegen galt der Esel deshalb wohl auch schon im Altertum als Esel: als belastbarer Dummkopf. Im gestreckten Galopp hat ihn deshalb noch keiner gesehen - oder gar im Zirkus, wo sogar Löwen auf Peitschenknall durch brennende Reifen springen und Elefanten lächerliche Pirouetten drehen. Doch leider haben wir auch seinen trittsicheren Tippelschritt in letzter Zeit immer weniger gesehen oder die stoische Ruhe, mit der er in der Sonne vor sich hindöst.

In Italien, Griechenland oder Spanien muss heute sehr lang fahren, wer sein markerschütterndes Eselswiehern noch einmal hören will: dieses himmelschreiend sich verschluckende Husten, Schluchzen, Schreien und Bellen, von dem völlig unerfindlich ist, welche Dichter es jemals als "iah" wiedergeben konnten. Ist es nicht eher eine der erschütterndsten Vorformen der Psalmen oder überhaupt des menschlichen Gebets? Wie auch immer. Im Paradigmenwechsel des Verschwindens der Esel ist es nun weit gehend mit verstummt. Sein letztes ungleiches Rennen hat der Esel nicht gegen Pferde, sondern gegen Jeeps und Mountainbikes verloren, als Abschied, den wir kaum mitbekommen haben.

Der Esel stirbt aus ums Mittelmeer. Nicht jedoch in Bethlehem, wie man heute hinzufügen muss, oder im abgesperrten Gaza, wo er den Wettstreit gegen die alten, rostigen Chevrolets noch nie so richtig verloren hatte. Nach Bethlehem aber, wie auch in die anderen Städte des Westjordanlandes, ist er im letzten Jahr im traurigen Triumph wieder zurückgekehrt. Kinder, denen kein Vater ein Moped anvertrauen würde, regieren und lenken ihn hier wieder wie eh und je mit einem Stecken und ihrem Schenkeldruck über Stock und Stein, quer über jeden Hügel, über jedes Geröll. Der Grund ist einfach. An den Checkpoints rund um die Stadt Davids ist außer auf einem Esel oder zu Fuß kein Durchkommen, wenn man es eilig hat. Eine gewisse Fatima Nasser Abed ist erst vor einem Monat an einem dieser Kontrollpunkte niedergekommen.

Im ersten Jahrhundert des Dritten Jahrtausends wäre Josef deshalb wieder gut beraten, Maria den gelenkigen X-Beinen eines Esels und keiner Ambulanz anzuvertrauen, wenn er seine schwangere Verlobte schnell und sicher zur Geburtsgrotte in Bethlehem bringen wollte. Gut 200 Jahre nach der Geburt Jesu erzählte ein unbekannter Verfasser erstmals davon, wie Josef "die Eselin sattelte und Maria darauf setzte", um die Hochschwangere nach Bethlehem zu bringen. "Als sie etwa drei Meilen von Bethlehem entfernt waren, wandte sich Josef zu Maria und sah, dass sie traurig dreinschaute", heißt es da. "Er dachte bei sich: ‚Vielleicht tritt das Kind sie.' Als er sich nochmals umdrehte, sah er, dass sie lachte. Da fragte er: ‚Was hast du, Maria, dass du bald lachst und bald traurig bist.' Maria antwortete: ‚Ich kann zwei Völker erkennen, eines weint und trauert, das andere freut sich und jubelt . . . Hilf mir vom Esel herunter, das Kind drängt und will heraus.'" Natürlich wird Josef dann auch das Tier mit in die Höhle genommen haben, erst recht, wenn es damals wieder so schüttete wie in diesen Tagen, eiskalt, und wo durch die weihnachtlichen Nebel leider nur zwei traurige Völker zu erkennen sind: beide weinend und trauernd.

Paul Badde, "Jerusalem, Hauptstadt der Welt in Tagen des Zorns" ist im Fe-Medienverlag erschienen und hat 246 Seiten.

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