Warum in Frankreich bald keine Juden mehr leben könnten

Der Stern Davids
Patrick Lentz via Flickr (CC BY-SA 2.0)

Eine zunehmend brutale Welle antisemitischer Worte und Taten bedroht die Existenz jüdischer Gemeinschaften in Frankreich, warnt ein neuer Bericht der Organisation "Human Rights First" (HRF).

Die Menschenrechtsorganisation mit Sitz in Washington und New York beschreibt sich selbst mit dem Slogan: "Amerikanische Ideale, Universale Werte". Sie wurde 1978 gegründet.

Die antisemitischen Angriffe in Frankreich seien Anzeichen eines gesellschaftlichen Zusammenbruchs, warnt Autorin Susan Corke. "Wenn dies unbehelligt stattfindet, führt Antisemitismus zur Verfolgung anderer Minderheiten, und zu einem allgemeinen Anstieg von Intoleranz und Unterdrückung", so die Menschrechtlerin.

Die Zahl der antisemitischen Verbrechen habe sich in Frankreich innerhalb eines Jahres verdoppelt: Von 423 Straftaten im Jahr 2014 auf 851 im Jahr 2015 – so das Ergebnis der Studie, die Susan Corke, Leiterin der Abteilung "Anti-Semitismus und Extremismus" bei HRF nun vorgelegt hat unter dem Titel: "Den Kreislauf der Gewalt durchbrechen: Die Bekämpfung von Antisemitismus und Extremismus in Frankreich".

Nicht nur die Zahl der Verbrechen sei alarmierend gestiegen: "Diese Taten sind zunehmend gewalttätiger Natur", warnt der Bericht.

Nur ein Prozent der Bevölkerung Frankreichs sei jüdisch; doch über die Hälfte aller gemeldeten Fälle von Hasskriminalität waren im Jahr 2014 antisemitischer Natur, so HRF. Zahlen des französischen Innenministeriums belegen zudem, dass rassistische Straftaten in Frankreich ebenfalls um 30 Prozent stiegen in den Jahren 2013 auf 2014; fast ausschließlich aufgrund des Anstiegs antisemitischer Verbrechen.

Wie hoch die Dunkelziffer nicht gemeldeter Vorfälle ist, lässt sich schwer ermitteln; einer Studie der Europäischen Union zufolge könnten bis zu 80 Prozent aller rassistischen Übergriffe ungemeldet bleiben.

In den meisten Fällen werden Juden beschimpft und beleidigt; doch zum Spektrum der Taten gehören auch körperliche Angriffe, Graffiti und Vandalismus jüdischer Geschäfte und Synagogen.

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Schlagzeilen in deutschsprachigen Ländern machen die Verbrechen, bei denen Menschen sterben, etwa bei dem islamistischen Überfall im Jahr 2012 auf eine jüdische Schule in Toulouse, bei dem vier Menschen starben; und natürlich die Ermordung von vier Geiseln in einem jüdischen Supermarkt im Januar 2015.

Wie CNA Deutsche Ausgabe berichtete ist die Situation so ernst, dass Politiker die Juden im Land aufgefordert haben, das Land nicht zu verlassen. Dennoch ist die Zahl der Emigranten nach Israel sprunghaft angestiegen. Im Jahr 2013 verliessen plötzlich fast 3.300 Juden ihre französische Heimat; im Jahr darauf waren es 7.230. In vorherigen Jahren hatten im Schnitt ein bis zwei tausend Juden das Land verlassen.

Unter den Juden, die in Frankreich bleiben, hat sich das Leben ebenfalls verändert. In der Öffentlichkeit tragen viele nicht Kleidung, die sie als Juden identifizert; Kinder werden in Privatschulen unterrichtet, um sie vor Übergriffen durch nicht-jüdische, meist muslimische Klassenkameraden zu schützen. Vor den Schulen und Synagogen patroullieren Sicherheitskräfte der französischen Regierung.

Doch es ist nicht nur die mörderische Eskalation des radikalen Islam, der in Frankreich die jüdische Bevölkerung bedroht. Neben dem "Ressentiment" von "Migranten und Minderheiten", wie der Bericht vorsichtig formuliert, spiele auch der Zulauf zum "Front National" eine Rolle. Die rechte – nach deutschen Wertmaßstäben sogar rechtsextreme – Partei gewann 2014 und 2015 so viele Wählerstimmen, dass sie mitunter zur meistgewählten Partei überhaupt wurde. Der Front National vereine Menschen, die gegen "Muslime, Roma, Ausländer und Migranten" seien, so der Bericht von "Human Rights First". Und auch wenn sich die Partei von anti-semitischen Äusserungen distanziert habe, sei davon auszugehen, dass viele Wähler antisemitische Ansichten hätten; zudem gebe es im Wahlprogramm zumindest Positionen, die eine Schlachtung von Tieren nach religiösen Masstäben verbiete, was gegen Juden und Muslime diskriminiere, schreibt Susan Corke in ihrem Bericht.

Das große Problem sind aber die antisemitischen Ansichten muslimischer Migranten, die sich in Frankreich auch in der dritten Generation oft nicht in die französische Gesellschaft integriert haben – und dafür den französischen Staat, aber auch Juden (und Christen) verantwortlich machen.

"Französische Muslime, Einwanderer und französische Bürger, die aus dem Nahen Osten, Nordafrika oder Zentralafrika stammen", so der Bericht, "hegen Vorurteile gegenüber Juden, von denen sie irrtümlicher Weise annehmen, dass sie die Kontrolle über das Geld und die Macht haben", heißt es in dem Bericht. Vereinzelt gebe es sogar die Meinung, dass "Juden den Holocaust zu ihrem Vorteil nutzen", und gegenüber Israel loyaler seien als gegenüber Frankreich, so der Bericht.

Antisemitismus ist aber nicht nur ein Phänomen unter Muslimen und rechtsextremen Parteigängern: Einer Studie des sich selbst als "liberalen und progressiv" bezeichnenden Think Tanks "FONDAPOL" aus dem Jahr 2014 zufolge gibt es anti-semitische Ansichten auch unter den Christen in Frankreich, die in manchen Punkten sogar leicht über dem Durchschnitt liegen würden.

Wie auch immer: Eine neue Lösung hat auch der Bericht von "Human Rights First" nicht. Statt dessen wird gefordert, dass "offizielle Stellungnahmen vermeiden sollten, von einem ‘Clash of Civilizations’ zu reden und Toleranz und Inklusion einfordern" – Empfehlungen also, die ohnehin schon seit Jahrzehnten in West-Europa angewendet werden – mit bestenfalls durchwachsenem Erfolg.

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