Vatikanstadt - Freitag, 25. November 2022, 14:08 Uhr.
Liebe Mitbrüder!
Im Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland hat Papst Franziskus in Gemeinschaft mit seinem Vorgänger Benedikt XVI. den Rückgang des christlichen Lebens im Land zur Kenntnis genommen und das ganze Volk Gottes aufgefordert, auf Christus als Schlüssel für die Erneuerung zu vertrauen. Der Heilige Vater hat geschrieben: »Es ist dies ein sicherlich facettenreicher und weder bald noch leicht zu lösender Rückgang. Er verlangt ein ernsthaftes und bewusstes Herangehen und fordert uns in diesem geschichtlichen Moment wie jenen Bettler heraus, wenn auch wir das Wort des Apostels hören: ›Silber und Gold besitze ich nicht. Doch was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, des Nazoräers, geh umher!‹ (Apg 3,6).« Ich möchte auf diesen Abschnitt des erwähnten Briefes Bezug nehmen, um im Geist der Apostelgeschichte einige kurze ekklesiologische Überlegungen zu Ihrem synodalen Suchen darzulegen. Ich tue dies als Bruder im bischöflichen Dienst, aber auch mit Blick auf die Bedürfnisse der einfachen Gläubigen.
Sie, die Nachfolger der Apostel in Deutschland, haben die Tragödie des von Klerikern begangenen sexuellen Missbrauchs ernst genommen und in typisch deutscher Manier mit den Mitteln von Wissenschaft, Glaube und synodaler Konsultation eine Untersuchung in Gang gebracht, um zu einer radikalen Neuausrichtung zu gelangen, die diesem moralischen und institutionellen Versagen ein Ende setzen sollte. Die dabei geführten hitzigen Debatten und die daraus hervorgehenden Reformvorschläge verdienen zweifellos Lob für die Aufmerksamkeit, das Engagement, die Kreativität, die Aufrichtigkeit und den Mut, die Ihr Synodaler Weg gezeigt hat, bei dem die Laien eine gleichberechtigte, wenn nicht vorherrschende Rolle gespielt haben. Nach sorgfältiger Lektüre Ihrer Schlussfolgerungen ist es selbstverständlich, die enorme Anstrengung der institutionellen Selbstkritik aufrichtig zu würdigen ebenso wie die diesen Überlegungen gewidmete Zeit und die gemeinsame Arbeit von Theologen, Bischöfen und Hirten, Männern und Frauen, um zu einem gewissen Konsens zu gelangen, wenn auch mühsam und verbunden mit erheblichen Spannungen. Es ist nun an uns, auf Ihre Vorschläge zu reagieren, die viele vertretbare Elemente theologischer, organisatorischer und funktionaler Art enthalten, die aber aus anthropologischer, pastoraler und ekklesiologischer Sicht auch ernsthafte Schwierigkeiten aufwerfen.
Mehrere maßgebliche Kritiker der aktuellen Ausrichtung des Synodalen Weges in Deutschland sprechen offen von einem latenten Schisma, das der Vorschlag Ihrer Texte in der vorliegenden Form festzuschreiben droht. Ich weiß sehr gut, dass es nicht Ihre Absicht ist, einen Bruch mit der universalen Gemeinschaft der Kirche herbeizuführen, und dass sie auch kein verkürztes christliches Leben befürworten, das eher dem »Zeitgeist« als dem Evangelium entsprechen würde. Im Gegenteil, die Zugeständnisse, die in Ihren Vorschlägen auftauchen, wurden Ihnen sozusagen durch den sehr starken kulturellen und medialen Druck abgerungen. Ich verstehe, dass Ihre Absicht gerade die ist, ein Schisma zu vermeiden. Dafür sollen die Diener des Evangeliums glaubwürdiger, zahlreicher und qualifizierter werden und es sollen inklusivere christliche Gemeinschaften entstehen, die alle Haltungen – die gemäß der Menschenwürde und dem christlichen Personenbegriff zu bewerten sind – respektieren. Es ist jedoch auffällig, dass die Agenda einer begrenzten Gruppe von Theologen von vor einigen Jahrzehnten plötzlich zum Mehrheitsvorschlag des deutschen Episkopats geworden ist: Abschaffung des Pflichtzölibats, Weihe von viri probati, Zugang von Frauen zum geweihten Amt, moralische Neubewertung der Homosexualität, strukturelle und funktionale Begrenzung hierarchischer Macht, von der Gender-Theorie inspirierte Überlegungen zur Sexualität, wichtige Änderungsvorschläge zum Katechismus der Katholischen Kirche usw.
»Was ist passiert?« und »Wo sind wir gelandet?«, fragen sich viele Gläubige und Beobachter erstaunt. Es fällt schwer, sich des Eindrucks zu erwehren, dass die äußerst gravierende Angelegenheit der Missbrauchsfälle ausgenutzt wurde, um andere Ideen durchzusetzen, die nicht unmittelbar damit zusammenhängen.
Wenn man die Vorschläge in ihrer Gesamtheit bewertet, hat man den Eindruck, dass wir es nicht nur mit einer »aufgeschlosseneren« Auslegung der katholischen Disziplin oder Moral zu tun haben, sondern mit einer grundlegenden Änderung, die ernsthafte Bedenken aufwirft, wie der Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre gerade gesagt hat. Es scheint uns, dass wir vor einem Projekt der »Veränderung der Kirche« stehen und nicht nur vor pastoralen Neuerungen im moralischen oder dogmatischen Bereich. Leider muss ich feststellen, dass dieser globale Vorschlag, in Deutschland und anderswo bereits weithin bekannt gemacht, die Gemeinschaft der Kirche verletzt, weil er Zweifel und Verwirrung unter dem Volk Gottes sät. Tagtäglich erreichen uns unmittelbare Zeugnisse, die das Ärgernis beklagen, das dieser unerwartete, einen Bruch mit der katholischen Tradition darstellende Vorschlag bei den Kleinen verursacht.
Es ist nicht verwunderlich, dass diese Ergebnisse nicht nur die örtliche Bischofskonferenz und die Kirche in Deutschland spalten, sondern auch den Weltepiskopat, der es nicht an einer erstaunten und besorgten Reaktion hat fehlen lassen. Diese Tatsache muss uns zum Nachdenken über das primäre Amt des Bischofs führen: die Verkündigung in Übereinstimmung mit dem Lehramt der Kirche und des Papstes (vgl. Lumen gentium, 25). Jeder Bischof ist von seiner Weihe und Hinzufügung zum Kollegium der Nachfolger der Apostel an befähigt, cum et sub Petro die Weltkirche in der ihm anvertrauten Teilkirche zu repräsentieren und die Gemeinschaft seiner Teilkirche mit der Weltkirche zu gewährleisten. Die Kriterien für diese Gemeinschaft sind in Lumen gentium, in Christus Dominus und im Codex des kanonischen Rechtes aufgelistet.
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Die Tatsache, dass das von Papst Franziskus im Juni 2019 zur Orientierung verfasste Schreiben zwar als spiritueller Bezugspunkt, aber nicht wirklich als Leitfaden für die synodale Methode aufgenommen wurde, hatte erhebliche Folgen. Nach dieser anfänglichen Distanzierung vom päpstlichen Lehramt auf der methodischen Ebene traten im zeitlichen Ablauf der Arbeiten zunehmende Spannungen mit dem offiziellen Lehramt auf der inhaltlichen Ebene zutage, was zu Vorschlägen geführt hat, die offen im Widerspruch zur Lehre stehen, die von allen Päpsten seit dem Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzil bekräftigt wurde. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang die Haltung gegenüber der endgültigen Entscheidung von Johannes Paul II. hinsichtlich der Unmöglichkeit für die katholische Kirche, die Priesterweihe von Frauen vorzunehmen. Diese Haltung offenbart ein Glaubensproblem in Bezug auf das Lehramt und einen gewissen um sich greifenden Rationalismus, der sich nur dann an Entscheidungen hält, wenn sie persönlich überzeugend erscheinen oder vom allgemein verbreiteten Denken akzeptiert werden. Dieses symbolische Beispiel untergräbt zusammen mit den anderen moralischen und disziplinarischen Veränderungen, die befürwortet werden, die Verantwortung der Bischöfe für ihr primäres Amt und wirft einen Schatten auf die Gesamtheit der erwähnten Bemühungen der Versammlung, die offenbar stark von Interessengruppen beeinflusst und daher von vielen als riskante Initiative beurteilt wird, die dazu bestimmt ist, zu enttäuschen und zu scheitern, weil sie »aus der Bahn geraten« ist.
Gottlob enthalten diese ausgearbeiteten Texte – über die bereits abgestimmt wurde, die aber auf der letzten Versammlung im März noch geändert werden können – auch wertvolle Entwicklungen für ein pastorales und ekklesiologisches Umdenken, wie zum Beispiel einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und die moralische Verpflichtung zur Wiedergutmachung gegenüber den Missbrauchsopfern, die Förderung des allgemeinen Priestertums aller Getauften, die Haltung der Anerkennung von Charismen. In Anbetracht der Umstände und der starken Spannungen, von denen die Sitzungen im Augenblick der Abstimmung geprägt waren, und vor allem in Anbetracht der laufenden Konsultation für die Weltsynode über die Synodalität, scheint uns ein Moratorium für die vorgelegten Vorschläge notwendig zu sein, und eine grundlegende Überprüfung zu einem späteren Zeitpunkt, im Lichte der Ergebnisse der römischen Synode. Wir haben die Chance, die Perspektiven zu verbinden, indem wir eine methodische Änderung vornehmen, die dazu beitragen könnte, die Thesen des deutschen Synodalen Weges zu verbessern, im Sinne eines tieferen Hörens auf den Ansatz von Papst Franziskus und der Weltbischofssynode. Es liegt auf der Hand, dass sich die Methode der Weltsynode von der in Deutschland angewandten unterscheidet: Sie ist sicherlich weniger parlamentarisch, mehr auf eine globale Beteiligung und auf die Erzielung eines Konsenses ausgerichtet, der auf der Grundlage eines tiefen geistlichen Hörens auf das Volk Gottes erreicht wird.
Das grundlegende Motiv für dieses Moratorium ist die Sorge um die Einheit der Kirche, die auf der Einheit der Bischöfe in Gemeinschaft und Gehorsam gegenüber Petrus beruht. Die Befürwortung dieses umstrittenen Vorschlags durch einen Episkopat in Schwierigkeiten würde noch mehr Zweifel und Verwirrung unter dem Volk Gottes säen. Angesichts des ökumenischen Szenariums und der durch Kriege zerrütteten weltweiten geopolitischen Lage ist zu erwarten, dass eine weitere Verbreitung dieses Vorschlags die Probleme, die er beheben soll, nicht lösen würde: die massive Abwanderung der Gläubigen aus der Kirche, den Exodus der Jugend, die sogenannten »systemischen Ursachen« des Missbrauchs, die Vertrauenskrise der Gläubigen.
Der größte Mangel dieses Vorschlags ist vielleicht ein gewisser apologetischer Ansatz, der sich auf kulturelle Veränderungen stützt, anstatt auf die erneuerte Verkündigung des Evangeliums. Sie besitzen Gold und Silber, Wissenschaft und weithin anerkanntes Ansehen, und gehen mit allem großzügig um, aber vergessen Sie nicht, kraftvoll und einfach den Glauben an Jesus Christus zu bezeugen, was Ihre Gläubigen dringend erbitten.
Mit dem Beispiel und der Lehre von Papst Franziskus können wir zum Geist der Apostelgeschichte zurückkehren: vor allem Jesus Christus schenken, im Hinblick auf den Wunsch nach Heilung und Bekehrung unseres Volkes und unserer selbst. Wir sollten nicht so tun, als seien kulturelle oder institutionelle Lösungen unverzichtbar, um die Gestalt Jesu glaubwürdig zu machen, auch wenn sie von unvollkommenen Amtsträgern vorgebracht wird, sondern wir sollten auf die göttliche Gnade und Barmherzigkeit vertrauen. Das ist die anfängliche Botschaft von Papst Franziskus, die jetzt aufgegriffen und auf die Überprüfung der Ergebnisse des Synodalen Weges angewendet werden müsste.