Frauenweihe, Sexualität, Macht: Die 5 Bedenken Kardinal Ladarias am "Synodalen Weg"

CNA Deutsch dokumentiert den vollen Wortlaut des Beitrags von Kardinal Luis Ladaria, Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, beim interdikasteriellen Treffen mit den deutschen Bischöfen am 18. November, wie er vom Vatikan veröffentlicht wurde.

Kardinal Ladaria ist Präfekt des Glaubensdikasteriums. Der spanische Jesuit ist ehemaliger Dogmatik-Professor.
Daniel Ibáñez / CNA

Teil eines größeren Leibes

 

Es gibt einen Absatz im Schreiben des Heiligen Vaters an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland, der den Hintergrund für meine kurze Rede bildet. Papst Franziskus schreibt in Absatz 9 des soeben zitierten Briefes:

„Die Weltkirche lebt in und aus den Teilkirchen [Lumen gentium, 23], so wie die Teilkirchen in und aus der Weltkirche leben und erblühen; falls sie von der Weltkirche getrennt wären, würden sie sich schwächen, verderben und sterben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die Gemeinschaft mit dem ganzen Leib der Kirche immer lebendig und wirksam zu erhalten. Das hilft uns, die Angst zu überwinden, die uns in uns selbst und in unseren Besonderheiten isoliert, damit wir demjenigen in die Augen schauen und zuhören oder damit wir auf Bedürfnisse verzichten können und so denjenigen zu begleiten vermögen, der am Straßenrand liegen geblieben ist. Manchmal kann sich diese Haltung in einer minimalen Geste zeigen, wie jene des Vaters des Verlorenen Sohnes, der die Türen offen hält, so dass der Sohn, wenn er zurückkehrt, ohne Schwierigkeiten eintreten kann [vgl. Evangelii gaudium, 46]. Das bedeutet nicht, nicht zu gehen, nicht voranzuschreiten, nichts zu ändern und vielleicht nicht einmal zu debattieren und zu widersprechen, sondern es ist einfach die Folge des Wissens, dass wir wesentlich Teil eines größeren Leibes sind, der uns beansprucht, der auf uns wartet und uns braucht, und den auch wir beanspruchen, erwarten und brauchen. Es ist die Freude, sich als Teil des heiligen und geduldigen treuen Volkes Gottes zu fühlen.“

Die folgenden Worte möchten nun in jedem von uns von neuem dieses Bewusstsein wecken, dass wir konstitutiv Teil eines größeren Leibes sind, und dass gerade diese Gemeinschaft mit allen anderen Gliedern der Kirche - mehr als tausend Gesten oder lautstarke Erklärungen - jene Gastfreundschaft ermöglichen kann, die heute so notwendig ist gegenüber denjenigen, die am Straßenrand zurückbleiben.
Und in der Tat gibt es sehr viele Männer und Frauen, die sich heute nicht mehr „zu Hause“ fühlen im Haus des Herrn und draußen bleiben. Und es gibt sehr viele, die sich von den Männern und Frauen der katholischen Kirche zutiefst verraten fühlen und nicht mehr hingehen. Vor allem aber gibt es sehr viele Männer und Frauen, die kein Vertrauen mehr in uns Bischöfe haben. Und das geschieht nicht ohne Grund. Wir denken hier sofort an das schmerzliche Kapitel des sexuellen Missbrauchs und ganz allgemein des Machtmissbrauchs durch Geistliche und an all die Male, in denen unsere Reaktion als Kirche in solchen Fällen der Situation nicht angemessen war. In dieser Hinsicht werden wir nicht müde werden, die Opfer dieses Missbrauchs um Vergebung zu bitten und ihnen, wenn möglich, unsere Hilfe anzubieten; gleichzeitig werden wir nicht müde werden, jeden Tag unsere Entschlossenheit zu erneuern, auf dass es nie wieder zu Missbrauch von Minderjährigen und zu Machtmissbrauch durch Männer und Frauen der Kirche kommen möge. Was das betrifft, kann ich Ihnen versichern, dass sich das Dikasterium für die Glaubenslehre mit aller Kraft und mit größter Aufmerksamkeit dafür einsetzt, dass die im Codex des kanonischen Rechtes vorgesehenen Strafen gegen jene Kleriker verhängt werden, die sich solcher abscheulichen Verbrechen schuldig gemacht haben.

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Unter diesem Gesichtspunkt erscheinen die Anstrengungen, die die Kirche in Deutschland in ihrem Innern unternimmt, um Sicherheitsprotokolle zu erstellen, damit jeglicher Missbrauch von Minderjährigen und jede andere Form von Gewalt gegen Erwachsene durch Kleriker und in jedem Fall innerhalb kirchlicher Einrichtungen verhindert werden, mehr als lobenswert. Dieser Einsatz hat in dem von der Kirche in Deutschland 2019 initiierten Synodalen Weg, der gerade in diesen Monaten eine besonders wichtige Phase erreicht, seine besondere Konkretisierung erfahren.

Eben in diesem Geist des „Wissens, dass wir wesentlich Teil eines größeren Leibes sind, der uns beansprucht, der auf uns wartet und uns braucht, und den auch wir beanspruchen, erwarten und brauchen“, wie es in den eingangs zitierten Worten des Schreibens des Heiligen Vaters an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland heißt, ist es meine Aufgabe als Präfekt des Dikasteriums für die Glaubenslehre, Ihnen, verehrte Mitbrüder, fünf konkrete Bedenken vorzutragen, die sich aus einer sorgfältigen Lektüre der bisher auf Ihrem Synodalen Weg diskutierten Texte ergeben.

Das erste Bedenken betrifft die literarische Gattung der Texte. Da es sich nicht um eine Synode, sondern um einen Synodalen Weg handelt, scheint vorerst kein Abschlussdokument geplant zu sein. Aber sollten wir nicht an so etwas wie ein Abschlussdokument des Synodalen Wegs oder etwas Ähnliches denken? Eine solche Frage drängt sich auf, wenn man feststellt, dass es in vielen Passagen der Texte des Synodalen Wegs allgemeine Aussagen über die im heiligen Volk Gottes vorhandenen Positionen gibt, anspielende Verweise auf wissenschaftliche und soziologische Erkenntnisse, die Verwendung von Ergebnissen der Exegese, die immer noch diskutiert werden und diskussionswürdig sind, nicht hinterfragte Erklärungen über ein Ende der Metaphysik und die Eklipse aller Wahrheit, allgemeine Protokolle über die mögliche öffentliche Anerkennung der kirchlichen Lehre und schließlich Verweise auf ungenannte Theologen und Theologinnen ohne die Möglichkeit der Identifizierung. Diese Dinge sind vielleicht für die Autoren der Texte und für qualifizierte Leser sehr klar, aber wenn wir Teil eines größeren Leibes sind und diese Texte (mit ihren bereits verfügbaren Übersetzungen in andere Sprachen) eine globale Verbreitung zu finden beginnen, scheint es nicht abwegig, ein Schlussdokument oder etwas Ähnliches vorzuschlagen, in dem ein lineareres Vorgehen und eine geringere Abhängigkeit von Behauptungen, die nicht vollständig gesichert sind, zum Ausdruck kommen kann.

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Das zweite Bedenken gilt dem Zusammenhang zwischen der Struktur der Kirche und dem Phänomen des Missbrauchs von Minderjährigen durch Kleriker und anderen Missbrauchsphänomenen. Der in den Texten enthaltene Diskurs scheint, auch aufgrund ihrer Länge und der notwendigen mehrfachen Wiederholungen, der spezifischen Natur des kirchlichen Leibes nicht Rechnung zu tragen. Es versteht sich von selbst, dass alles getan werden muss, um weiteren Missbrauch an Minderjährigen durch Kleriker zu verhindern, aber dies darf nicht bedeuten, das Geheimnis der Kirche auf eine bloße Machtinstitution zu reduzieren oder die Kirche von vornherein als eine strukturell Missbrauch hervorbringende Organisation zu betrachten, die so schnell wie möglich unter die Kontrolle von Oberaufsehern gebracht werden muss. In dieser Hinsicht besteht die größte Gefahr vieler operativer Vorschläge der Texte des Synodalen Wegs darin, dass eine der wichtigsten Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils verloren geht, nämlich die klare Lehre von der Sendung der Bischöfe und damit der Ortskirche.

Das dritte Bedenken bezieht sich auf die Sicht der menschlichen Sexualität gemäß der kirchlichen Lehre, besonders wie sie im Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 zum Ausdruck kommt. Der allgemeine Eindruck, der sich aus der Lektüre der Texte des Synodalen Wegs in dieser Hinsicht ergeben könnte, ist, dass es auf diesem Gebiet der kirchlichen Lehre fast nichts zu retten gebe. Alles müsse geändert werden. Wie kann man da nicht an den Eindruck denken, den all dies auf so viele Gläubige hat, die auf die Stimme der Kirche hören und sich bemühen, ihre Leitlinien für ihr Leben zu befolgen? Sollen sie vielleicht denken, dass sie bisher alles falsch gemacht haben?
Man sollte nicht zu leichtfertig glauben, dass die menschliche Sexualität etwas ist, das klar und deutlich vor uns steht und frei von der Ambivalenz ist, die jede menschliche Geste mit sich bringt, und noch mehr jede menschliche Geste, die mit der Ausübung der Sexualität zusammenhängt. Es wäre wünschenswert gewesen, wenn die Verfasser der Texte und die Vollversammlung des Synodalen Wegs vorsichtiger gewesen wären und mehr Vertrauen in die Vision gehabt hätten, die das Lehramt in den letzten Jahrzehnten in Bezug auf die Sexualität entwickelt hat. Die Bewahrung des konstitutiv Leben empfangenden und weitergebenden Charakters des Menschen bleibt eine der großen prophetischen Aufgaben der Gemeinschaft der Glaubenden in dieser Zeit der fortschreitenden Kommerzialisierung der menschlichen Existenz.
 
Das vierte Bedenken betrifft die Rolle der Frauen in der Kirche und insbesondere die Frage des Zugangs von Frauen zur Priesterweihe. Auch hier scheinen die Texte des Synodalen Wegs einer partizipatorischen Hermeneutik der lehramtlichen Positionen nicht gerecht zu werden, indem sie alles auf die folgende Feststellung reduzieren: Die grundlegende Würde der Frauen werde in der katholischen Kirche nicht respektiert, weil sie keinen Zugang zur Priesterweihe haben. Die Position des Lehramtes ist in Wirklichkeit spezifischer. Der entscheidende Punkt ist nicht, dass Frauen in der katholischen Kirche nicht zum Priester geweiht werden können; der Punkt ist, dass man die Wahrheit akzeptieren muss, dass „die Kirche keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden“ (hl. Johannes Paul II., Ordinatio sacerdotalis).
Hier findet dieses Bewusstsein, Teil eines größeren Leibes zu sein, eines Leibes, der nicht unzusammenhängend ist, sondern der nach dem ausdrücklichen Willen Jesu, des Herrn, in Petrus und seinen Nachfolgern seinen Führer hat, seinen vollen Sinn. Ich möchte sofort hinzufügen, dass die jüngsten Überlegungen des Synodalen Wegs, die Bitte an den Heiligen Vater Franziskus zu richten, dieses Thema wieder aufzugreifen, sicherlich die sehr polemischen Töne des entsprechenden Textes über den Zugang von Frauen zur Priesterweihe dämpfen, und dafür können wir nur dankbar sein. Natürlich bleibt die Frage offen, wohin diese Texte des Synodalen Wegs letztlich führen. Die brüderliche Anregung bleibt die, zu einer ruhigeren Synthese zu gelangen, die deutlich stärker in Einklang steht mit jenem „Bewusstsein, dass wir konstitutiv Teil eines größeren Leibes sind“, an welchem sich mein Beitrag ausrichtet.
 
Das fünfte und letzte Bedenken betrifft die Ausübung des kirchlichen Lehramtes und insbesondere die Ausübung des bischöflichen Lehramtes. Fast vergessen wird in den Texten des Synodalen Wegs die Vorgabe der Konzilskonstitution Dei Verbum und insbesondere die Frage der Weitergabe des Glaubens dank der apostolischen Sukzession: „Damit das Evangelium in der Kirche für immer unversehrt und lebendig bewahrt werde, haben die Apostel Bischöfe als ihre Nachfolger zurückgelassen und ihnen ihr eigenes Lehramt überliefert" (DV, 7).
Schon vor der Abfassung des neutestamentlichen Corpus gab es in der Tat die Gemeinschaft der Jünger und Jüngerinnen Jesu, des Herrn, die dazu berufen war, allen Menschen auf der Erde die frohe Botschaft vom Gott der Liebe zu bringen. Diese Gemeinschaft ist allerdings eine geordnete Gemeinschaft, die auf ein Haupt gegründet ist, welches Petrus ist, und die unter der Leitung der Zwölf steht, die die Aufgabe haben, das Zeugnis der anderen Jünger und Jüngerinnen des Herrn zu bestätigen. Durch die Jahrhunderte hindurch ist diese Ordnung in der „diaconía“ aller zum Himmelreich gerade dank der Gegenwart und Sendung der Bischöfe und in besonderer Weise dank der Gegenwart und Sendung des Bischofs von Rom möglich geworden. Ihm kommt gerade deshalb die besondere Aufgabe zu, alle zu begleiten, um die Liebe in der Wahrheit und die Wahrheit in der Liebe zu leben. Und wenn es wahr ist, dass das Lehramt unter dem Urteil des Wortes steht, so ist es gleichfalls wahr, dass das Wort gerade durch die Ausübung des Lehramtes der Bischöfe und insbesondere des Bischofs von Rom lebendig wird und lebendig erklingt. Wie tröstlich ist es für jeden Bischof, sich immer cum Petro und sub Petro zu wissen!
Es ist daher nicht möglich, diese heikle und entscheidende Aufgabe im Leben der katholischen Kirche mit anderen Ämtern in der Kirche gleichzusetzen, wie zum Beispiel mit denen der Theologen und der Experten in anderen Wissenschaften.
 
Verehrte Brüder, dies sind die Bedenken, die ich Ihnen im Geiste des Bewusstseins, dass wir alle konstitutiv Teil eines größeren Leibes sind, vortragen wollte. Die Weltkirche braucht die Kirche in Deutschland, so wie die Kirche in Deutschland die Weltkirche braucht. Aber wir müssen einander „brauchen“ wollen, wir müssen einander erwarten wollen, wir müssen diese Gemeinschaft des Lebens und des Weges wollen. Und in Wahrheit ist es genau das, was Ihr ehrlicher und tiefempfundener Wunsch verlangt, mehr und mehr eine Kirche zu sein, in der sich alle zu Hause fühlen können, in der sich alle als Teil einer Familie fühlen können, eine Kirche, in der Gott allen sein Antlitz als Vater, Sohn und Heiliger Geist offenbart, besonders jetzt nach den dramatischen Kapiteln, die wir erlebt haben aufgrund der Beweise für den schrecklichen Missbrauch von Minderjährigen durch Kleriker und den Umgang einiger Bischöfe damit, der nicht immer dem Ernst der Lage entsprach.

Möge der Herr unsere Bereitschaft segnen, einander zu brauchen.