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Sein Kreuzweg – unser Kreuzweg

Weltkulturerbe und Gotteshaus: Der Mariendom in Hildesheim

Der Hildesheimer Mariendom ist von 2010 bis 2014 aufwändig und mit großem künstlerischem Sachverstand saniert worden. Mit anderen Augen sahen Gläubige aus dem Bistum und Besucher der Stadt den Dom Mariä Himmelfahrt nach der Wiedereröffnung im August 2014 durch den heute emeritierten Bischof Norbert Trelle, der mit großer Freude und aufrichtiger Begeisterung für den schönen Dom schwärmte. Neben vielen neuen Gestaltungen, durch die auch die historische Bernwardtür im neuen Licht erstrahlte und die „mystagogische Tiefe“ des Kirchraumes spürbar wurde, bemerkten Gäste einen Mangel: Sie vermissten einen Kreuzweg. Nun ist jedes Gotteshaus, ob Dom oder Dorfkirche, zunächst und zuletzt eine Stätte des Gebets, ein Ort zum Verweilen vor dem Herrn. In der Österlichen Bußzeit 2021 haben die Besucher des Mariendomes Gelegenheit, sich mit dem neuen Kreuzweg, den Tobias Kammerer gestaltet hat, vertraut zu machen. Weihbischof Heinz-Günter Bongartz, dessen Herz besonders für die Domkirche schlägt, hat Meditationen dazu verfasst, einen Kreuzweg, der zur Andacht im Dom und weit darüber hinaus einlädt. Das gelingt auch zu Hause, in den eigenen vier Wänden, wenn sich die Gelegenheit zur Betrachtung bietet, die dieses sorgfältig gestaltete Buch ermöglicht.

Kammerer hat eine „maskenartige Verfremdung“ für die Stationen gewählt, erläutert Bongartz, so dass betende Menschen sich das „leidvolle Geschehen“ in Anschauung und Teilhabe vergegenwärtigen können. Die Domkirche werde zu einem „Ort der Verkündigung, besonders für die Menschen, die in ihrem eigenen Leid nach einer tragfähigen Hoffnung suchen und fragen“. So bietet der Mariendom wieder die stille Katechese des Kreuzwegs, die Möglichkeit zur Betrachtung und zum Gebet an den Stationen. Der christliche Glaube kann und darf vor dem Leid nicht schweigen. Mitnichten bekennen wir uns zu einer Wohlfühlreligion, die gewissermaßen die persönliche Lebensqualität steigert oder ein – nach Karl Marx – taugliches „Opium fürs Volk“ in dieser Zeit wäre. Das war, das ist der Glaube an den dreifaltigen Gott nie gewesen: „Denn das Kreuz ist die Hoffnung auf Leben und führt in das Vertrauen auf eine Gerechtigkeit, die nur Gott allein zusteht. Es ist eine liebende Gerechtigkeit, die um die Last der Schuld weiß und doch in einem barmherzigen Gericht die Erlösung schenken will.“ Der Kreuzweg, ein „Weg des grenzenlosen Leids“ und zugleich ein „Weg der grenzenlosen Liebe“, schenke die Möglichkeit, in der Liebe zu wachsen, zu Gott und zum Mitmenschen. Wenn wir den Kreuzweg beten, so werden auch unsere eigenen Stationen, der Kreuzweg unseres Lebens, sichtbar. Die Last wird deutlich, die uns selbst auferlegt ist und unter der wir bisweilen stöhnen und seufzen. Wie viele Menschen tragen ihr Kreuz still, unbemerkt, verborgen vor der Welt, in der Annahme des Leides, das ihnen verhängt ist, in der sanften Ergebung und sogar in der leisen Dankbarkeit, auf diese Weise teilzuhaben an der Passionsgemeinschaft mit dem Herrn. Wie viele Menschen würden gern jenen, die sie von Herzen lieben, das Kreuz abnehmen und selbst auf sich nehmen – und müssen erkennen und erfahren, dass manchmal der größte Schmerz, das eigene Kreuz, darin liegen kann, die Last der anderen nicht tragen zu dürfen. Aber wir dürfen und können ihnen liebende Weggefährten sein – so wie die Gottesmutter den Weg Jesu bis zum Kreuz begleitet hat. 

Weihbischof Bongartz findet einfühlsame, berührende Worte für die Bilder des Kreuzwegs, etwa für die dritte Station, wenn der Herr das erste Mal stürzt: „Er kann nicht mehr. … Es gibt ein äußeres Fallen, das weh tut. Aber noch mehr schmerzt, wenn die Seele am Boden liegt. Wenn die Hoffnung schwindet und die Angst übermächtig wird.“ Wir sehen Jesus, wie er unter der Last des Kreuzes zusammenbricht. Vielleicht sehen wir auch unser eigenes Fragen im Angesicht von Schmerz und Leid, das unsere Mitmenschen trifft: Kann das Gottes Wille sein? Warum muss ein Mensch das aushalten müssen? Die eine oder der andere von uns erinnert sich bestimmt an die letzte Wegstrecke von lieben Angehörigen, die schwer leiden mussten, an die eigene Betrübnis, wenn wir ohnmächtig nur noch da sein können. Aber da sein, das können wir. Oder, wie Veronika, ein je eigenes Schweißtuch reichen. Bongartz schreibt: „Was da geschieht, ist schemenhaft. Nicht durchsichtig. Geheimnisvoll. Und doch schaut uns die Wahrheit an. Wo wir helfen, wo wir unser Herz vom Leid der anderen berühren lassen und wahres Mitleid Hilfe hervorbringt, da bildet sich etwas von Gott in unserem Herzen ab. Dieses Bild Gottes in uns bleibt. Immer.“ 

Die zehnte Station zeigt ein einfaches Kleid, nicht mehr – ein Bild, das zum Nachdenken einlädt und auch sprachlos macht: „Das Letzte, was Jesus gibt. … Jesus gibt alles.“ Die Liebe bleibt, bis zum Ende, bis zum Tod am Kreuz – nackt und bloß, es ist der Augenblick, in dem wir von innen her wissen: Gott hat die Welt so sehr geliebt. Auch wir mögen daran denken, dass wir auf andere Weise vor Gott im Gericht stehen werden, von nichts Äußerlichem verdeckt, so wie wir sind, nackt und bloß – der Herr sieht uns ganz, unser Sein und Lieben. Kammerer hat eindrucksvolle Gestaltungen für den Kreuzweg gefunden. Weihbischof Bongartz wählt Worte dazu, die sehr nachdenklich machen: „Doch auch wenn sie dich festnageln, umarmst du selbst am Kreuz die Welt mit deiner liebenden Hingabe.“ Wie stehen wir vor dem gekreuzigten Herrn heute? Spüren wir die Gegenwart Gottes in den Stationen des Leides? Natürlich bekennen wir uns dazu: Im Kreuz ist Heil, im Kreuz ist Hoffnung, im Kreuz ist Leben. Aber wissen wir es wirklich? Trägt uns der Glaube an Gott? Sind wir in unserem Alltag Zeugen des gekreuzigten und auferstandenen Herrn?" Dieses Buch über den neuen Kreuzweg im Hildesheimer Dom lädt zu einer Glaubensvertiefung über das Geheimnis und die Botschaft der Erlösung ein und sei zur persönlichen geistlichen Betrachtung empfohlen.

Heinz-Günter Bongartz, "Im Anschauen Deines Bildes … Kreuzweg durch den Mariendom in Hildesheim" ist bei Schnell & Steiner erschienen und hat 72 Seiten.

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