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Pater Titus Brandsma: Einer neuer Heiliger für unsere Zeit der Medien und des Kriegs

Titus Brandsma als Rector magnificus der Katholischen Universität Nijmegen im Jahr 1932.
Titus Brandsma O.Carm.
Gedenktstein des Karmeliter-Paters Titus Brandsma.
Gefängnis-Flur, Bunker, Konzentrationslager Dachau

Der damals gerade neue Rector Magnificus der Katholischen Universität in Nimwegen, der Karmelit Titus Brandsma, sagte in einer Rede im Jahr 1932:

„Unter den vielen Fragen, die ich mir stelle, bewegt mich keine stärker als das Rätsel, dass der sich entwickelnde Mensch, selbstsicher und stolz auf seinen Fortschritt, sich in so großer Zahl von Gott abwendet. Unbegreiflich ist es, dass wir in unserer Zeit so großer Fortschritte auf vielen Gebieten konfrontiert sind mit einer wie eine Epidemie um sich greifenden Entehrung und Leugnung Gottes. Wie konnte das Bild Gottes sich so verdunkeln, dass so viele nicht mehr von ihm berührt werden? Liegt der Fehler nur bei ihnen? Oder gibt es jetzt einen Auftrag an uns, es wieder in hellerem Licht aufstrahlen zu lassen über der Welt, und dürfen wir die Hoffnung haben, dass das Studium des Gottesbegriffs diese größte aller Nöte zumindest lindern wird?“ 

Diese Worte des niederländischen Karmelitenpaters, der 1942 in einem Konzentrationslager von den Nazis ermordet wurde und am heutigen 15. Mai von Papst Franziskus heiliggesprochen wird, können im Blick auf den Zustand von Kirche und Welt kaum aktueller sein. 

Pater Titus Brandsma (*23. Februar 1881) gehörte dem Orden der beschuhten Karmeliten (OCarm) an. Er wirkte als Hochschullehrer, Philosoph und Journalist. Er gilt – neben dem heiligen Maximilian Kolbe - als einer der Pioniere der katholischen Pressearbeit. Der gebürtige Niederländer war ein großer Gegner der Nazis. Sein Kampf gegen das Regime erregte Aufmerksamkeit, so dass er Mitte 1941 verhaftet wurde. Er starb am 26. Juli 1942 im KZ-Dachau. Gleichzeitig mit ihm wird der Papst neun weitere Personen heiligsprechen, unter denen Charles de Foucauld (1858-1916) der Bekannteste ist.

Anlässlich der Heiligsprechung von Pater Titus Brandsma sprach CNAdeutsch mit Prof. Dr. Inigo Bocken (*1968). Er ist Professor für Mystische Theologie an der KU Leuven, Assistenzprofessor für Religionsphilosophie an der Radboud-Universität Nijmegen und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Titus-Brandsma-Institut derselben Universität und Kenner des neuen Heiligen. Seinen zahlreichen Publikationen wird in absehbarer Zeit eine neue Biographie über Titus Brandsma hinzugefügt.

Herr Dr. Bocken, Pater Titus Brandsma wird ein Heiliger der Niederlande sein. Wie wird dies in Ihrem Heimatland wahrgenommen und wie wird sich seine Heiligsprechung auswirken? 

Dr. Bocken: Als ich als Flame vor Jahren in die Niederlande zog, war ich persönlich überrascht, wie lebendig die Verehrung von Titus Brandsma in allen Teilen der Bevölkerung ist. Man hört oft, dass die Niederlande das am stärksten säkularisierte Land der Welt sind, aber angesichts der Verehrung von Titus Brandsma könnte man das bezweifeln. Seit ich mit dem Projekt einer intellektuellen Biografie von Brandsma begonnen habe, erhielt ich regelmäßig Briefe von Menschen, die mir mitteilen wollten, was sie mit Titus Brandsma verbindet, oder die mir sagten, dass ihr Vater oder ihre Mutter zur Zeit der Verhaftung von Titus Brandsma in der Nähe war. Im ganzen Land sind Schulen und Straßen nach ihm benannt; vor einigen Jahren wurde er von den Nimwegenern zum "Größten Nimwegener aller Zeiten" gewählt. Die Figur des Titus Brandsma spricht die Menschen an wegen seiner konsequenten Haltung, seiner freundlichen Bescheidenheit, die mit einem großen Selbstbewusstsein verbunden ist, das er aus seiner tiefen Frömmigkeit bezog. Diese Haltung spiegelt sich in den Bildern wider, die die niederländische Gesellschaft von ihm hat, seit der traumatischen Zeit des 2. Weltkrieges. Seine einfache Art, seine Besonnenheit und sein kritischer Geist passen zu den Niederländern, die im tiefsten Inneren noch eine große religiöse Sensibilität haben.

In schwierigen Jahren, in denen der katholische Glaube oft kritisiert wird, ist die Heiligsprechung sicherlich ein positives Ereignis, das Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche mit dem spirituellen Kern des christlichen Glaubens in Kontakt bringen wird. Ich erwarte, dass die Heiligsprechung auch zu mehr Einheit innerhalb der Kirche führen wird. Die Figur des Titus Brandsma ist so groß und so klar, dass alle Widersprüche der letzten Jahren als kleine Streitereien erscheinen. Brandsma zeigt, dass Frömmigkeit und Spiritualität auch aus unserer Zeit stammen können.

Können Sie etwas dazu sagen, wer den Heiligsprechungsprozess vorangetrieben hat und was letztendlich den Ausschlag gab, warum Pater Titus am 15. Mai heiliggesprochen wird.

Brandsma starb 1942, und noch während des Krieges, im Jahr 1944, begann diese Verehrung. Insbesondere durch die Veröffentlichung seiner Schriften aus dem Gefängnis. Nach dem Krieg waren es vor allem die Karmeliten, die den Prozess der Selig- und Heiligsprechung in Gang setzten. Aber sie konnten sich auf eine Welle der Sympathie verlassen. Das hatte alles mit der Haltung der kompromisslosen Wahrhaftigkeit in schwierigen Zeiten zu tun, in denen sich zu viele Menschen vom Zeitgeist haben mitreißen lassen. Aber es ist vor allem seine Haltung in der Gefangenschaft, die seine Heiligsprechung prägt. Er hielt den Rücken gerade und hatte stets ein offenes Ohr für die Leiden seiner Mitgefangenen. Auch als Professor und Rektor der Universität zeichnete er sich durch seine besondere Aufmerksamkeit für die einfachsten Menschen aus. Er sah wirklich in allem das Wirken Gottes. Wer sich sein Leben genauer ansieht, wird erstaunt sein.

Pater Titus war energischer Gegner des deutschen Nationalsozialismus. Mit Blick auf die Aktualität in der Ukraine, wo auf beiden Seiten nationalistische Eigeninteressen eine Rolle spielen, stellt sich die Frage, wie er zu diesem Krieg, aber auch zu den Gründen, die dazu geführt haben, Stellung beziehen würde.

Anhand dessen, was er z. B. im Gefängnis auf Ersuchen der Gestapo geschrieben hat, wird deutlich, wie er sich in diesem dramatischen Konflikt verhalten würde. Er hätte versucht, frei von jeglicher moralischer Verurteilung, die Position des anderen zu verstehen und Verständnis für ihn zu wecken. Er hätte darin einen Weg zum Frieden gesehen, indem er sich wirklich mit der Position des anderen auseinandergesetzt und sie nicht einfach verteufelt hätte. Natürlich hätte er sein Entsetzen über die Gewalt zum Ausdruck gebracht. Aber er hätte auch versucht zu verstehen, was die Menschen an diesen Punkt bringt. Er hätte versucht, durch Überzeugungsarbeit den Nationalismus in Respekt vor der anderen Nation, der anderen Kultur zu verwandeln - denn für ihn ist jede Kultur ein Raum, in dem Gott sichtbar wird.

Insbesondere im Zusammenhang mit der weltweiten Covid-Krise, aber auch auf andere gesellschaftlichen Problemfeldern unserer Epoche, fällt auf, dass Menschen mehr und mehr den sogenannten Leitmedien folgen, ohne sich selbst kritisch mit den dargebotenen Fakten auseinanderzusetzen und sie hinterfragen. Manche lehnen die offiziellen Medien ab und informieren sich über das Internet, wobei sie auch Webseiten Glauben schenken, deren „Wahrheiten“ oft auf Fake-news beruhen. Der neue Heilige war nicht nur als Philosoph intellektuellen Strömungen auf der Spur, er war auch ein begabter Journalist, der insbesondere das katholische Pressewesen modernisierte. Was würde er dem katholischen Journalismus, aber auch den Konsumenten mit auf den Weg geben, damit die Wahrheit erkennbar wird, die oft in der Flut der Schlagzeilen auf der Strecke bleibt? 

Der Journalismus war eine Herzensangelegenheit von Titus Brandsma. Auch in seinen wissenschaftlichen und spirituellen Schriften hat er den Leser ständig im Blick und versucht, einen "Diskussionsraum" zu eröffnen. Der/die Leser/in soll sich herausgefordert fühlen, einen Raum zu betreten, der von den Journalisten geöffnet wird, und er/sie soll dazu angeregt werden, die verschiedenen Perspektiven gemeinsam zu betrachten. Für Brandsma ist dies die Wahrhaftigkeit des Journalismus. In dieser Hinsicht muss auch der Journalist selbst auf dem Spiel stehen, er muss zurückhaltend sein und gleichzeitig Stellung beziehen, eine Balance-Akt. In dieser Hinsicht ist Journalismus immer kritisch und muss dazu beitragen, dass die Menschen kritisch denken. Das ist für ihn der katholische Aspekt des Journalismus, und es ist zugleich das Wesen der Journalist im Allgemeinen.  Brandsma setzte sich für eine gründliche Ausbildung der katholischen Journalisten ein, denn sie müssen die Komplexität der Wirklichkeit verstehen und gleichzeitig in der Lage sein, sie einfach zu formulieren. Er selbst sagt, dass er dieses Ideal von Teresa von Avila ableitet, die in der Lage sein musste, ihren einfachen Schwestern schwierige Geheimnisse zu erklären, in denen sie sich selbst erkennen konnten. Den Journalisten von heute würde er sagen, dass sie in der Lage sein müssen, über allzu schnelle Mainstream-Urteile hinwegzusehen. Sie sollten sich auf einen gemeinsamen Raum der Wahrheit konzentrieren, in dem ein Gespräch möglich wird.

Pater Titus Brandsma war Niederländer. Dieses Land war noch zu seiner Zeit ein katholisches Land mit sehr vielen Klöstern und unzähligen Priestern und Missionaren. Kann man in dem Werk von Pater Titus erkennen, welche Wege beschritten werden sollten, damit der Glaube nicht noch mehr verdunstet?

Die Krise des Glaubens war für Brandsma bereits ein Thema. Für ihn geht die Krise über den Niedergang der religiösen Institutionen hinaus und die Lösung muss daher sehr grundlegend sein. In seiner Rede als rector magnificus von 1932 sagt er, unsere Zeit müsse nach einem neuen Gottesbild suchen - einem Gottesbild, das dem lebendigen Handeln Gottes in der Gesellschaft gerecht wird. Die Ideologien seiner Zeit - der Kommunismus und der Nationalsozialismus - sind für ihn abstrakte, schwache Bilder von Gott. Das neue Gottesbild muss zeigen, dass Gott in jedem Menschen wirksam ist, "verborgen hinter dem Menschlichen", und dass jeder Mensch die Aufgabe hat, Gott in sich geboren werden zu lassen. Für ihn ist dies auch die beste geistige Waffe gegen die Krise der Zeit, die naturalistische, ideologische Denkweise, die den konkreten Menschen opfert. Inspiration findet man in Texten aus der mystischen Tradition. Dort schreiben grosse Autoren über die lebendige Kraft Gottes in uns selbst und in der menschlichen Gesellschaft. Sich des realen, konkreten und manchmal überraschenden Wirkens Gottes bewusst werden - das ist seine Lösung für den Verlust des Glaubens. Dabei dürfen wir die konkrete Frömmigkeit der Menschen nicht unterschätzen - sie verschwindet in den Statistiken der Soziologen. Institutionen waren schon immer dem Wandel unterworfen. Es geht darum, die persönliche Beziehung zu Gott zu pflegen und weiterzuentwickeln.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Als Mitglied im Orden der Karmeliten gehörte Titus Brandsma einer Ordensgemeinschaft an, die großen Wert auf ein eigenes geistliches Leben legt. Ist der neue Heilige auch für die Christen von heute ein Vorbild und kann er ihnen dazu etwas Wesentliches mit auf den Weg geben?

Titus Brandsma war Karmelit - die Kontemplation stand im Mittelpunkt seines Lebens, aber er war auch ein Reformer des Karmeliterordens - er suchte nach einem Platz für die Kontemplation inmitten der Aktion, das heißt inmitten des sozialen Lebens. Ein spirituelles Leben bedeutet, trotz allem den Mut zu haben, sich nach dem Licht zu sehnen und sich offen zu entfalten. Für ihn bedeutet das, Gott in sich selbst geboren werden zu lassen.

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