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Am Fest des Erzmärtyrers Stephanus: Martin Mosebach über die 21 koptischen Märtyrer

Martin Mosebach

Passend zum Stephanustag – dem Gedenktag an den ersten Märtyrer der Christenheit, den heiligen Stephanus – sprach CNA Deutsch mit Martin Mosebach, dem renommierten Schriftsteller und Autor von „Die 21“. Das Buch thematisiert das Martyrium der 21 koptischen Christen, die 2015 durch den Islamischen Staat enthauptet und so zu Märtyrern in der heutigen Zeit wurden.

Sie sind deutscher Schriftsteller und haben schon viele Bücher, Erzählungen und Reportagen geschrieben. Wie ist es dazu gekommen, dass Sie ein Buch über die koptischen Märtyrer schreiben?

Ich bin vor allen Dingen Romanschriftsteller. Aber vor Beginn der Arbeit an meinem zwölften Roman wollte ich bewusst einmal etwas ganz anderes machen und ein Ereignis schildern, bei dem die Literatur, die Sprache und die Kunst eine untergeordnete Rolle spielen und die Sache ganz im Vordergrund stehen sollte. Damals ereignete sich die Ermordung der 21 koptischen Wanderarbeiter, die aus Ägypten nach Libyen gekommen waren. Überwiegend als Bauarbeiter, Anstreicher und Zimmerleute. Am Strand von Sirte wurden sie auf grausige Weise und im Rahmen einer gespenstischen Inszenierung durch den „Islamischen Staat“ enthauptet. Das war in seiner Perfektion schon beinahe eine Art „Todesballett“. Zunächst konnte man das auf YouTube genau verfolgen. Dann ist das Video wegen seiner Grausamkeit zensiert worden. Die schlimmsten Passagen wurden gelöscht. Aber in der Inszenierung der Mörder war eines nicht vorgesehen gewesen – der letzte Ruf der Getöteten: „Komm Herr Jesus.“ Nachdem ich das Video gesehen hatte, dachte ich mir, man müsste diese Menschen aus der Anonymität herausholen – dass man von ihnen und ihrer Bereitschaft für ihren Glauben in den Tod zu gehen erzählen müsse.

Haben Sie die koptische Kirche schon vorher gekannt und hatten Sie irgendwelche Erwartungen davor?

Ich habe mich immer für die orientalischen Kirchen interessiert. Nach der großen liturgischen Krise der katholischen Kirche, nach dem Zweiten Vatikanum, dem Verfall der römischen Liturgie, sind es nur die orientalischen Kirchen, die das das authentische, liturgische Christentum des ersten Jahrtausends bewahrt haben. Aus diesem Grunde habe ich schon immer nach Osten geguckt. Ich habe auch einen Roman in Ägypten [geschrieben], bin in dieser Zeit in die koptische Kirche gegangen und habe koptische Freunde in Frankfurt. Heutzutage, durch die große Migration, sind ja eigentlich alle Religionen überall anzutreffen. Es gibt sogar ein koptisches Kloster in der Nähe von Frankfurt. Die koptische Liturgie ist unerhört reich, voller großer Gebete, Gesten und Gesänge. Ich bin davon überzeugt, wenn die Liturgiereformer des Zweiten Vatikanums die koptische Liturgie ernst genommen und überhaupt gekannt hätten, dann hätte ihnen niemals unterlaufen dürfen, was sie getan haben.

Was waren eigentlich die Wünsche der Märtyrer? Gott zu verherrlichen? Hatten Sie darüber hinaus Visionen oder Wünsche für Ihre Familie oder Ihre persönliche Zukunft entdeckt?

Es war der starke Wunsch, ein Glaubensbekenntnis abzulegen. Man muss bedenken, dass die Kopten seit der muslimischen Eroberung, also seit dem siebten Jahrhundert, unterdrückt sind. Sie lebten unter wechselnden muslimischen Regimen, die mal mehr, mal weniger christenfeindlich waren. Es gab natürlich auch längere Zeiten einer friedlichen Koexistenz. Aber es war doch eine würgende Koexistenz, die der koptischen Kirche die rechte Entfaltung nicht gestattet hat. Die Bildung des Klerus wurde behindert, christliche Mission streng verboten. Die Schätze der Kirche, die Bibliotheken, die Ikonen, die Architektur haben dadurch einen furchtbaren Aderlass erlitten. Was es an koptischen Manuskripten noch gibt, liegt heute meistens in der British Library oder im Louvre, aber jedenfalls nicht mehr in Ägypten. Es ist geraubt und verschleudert worden. Die Kirche wurde klein gehalten. Und sie hat sich eigentlich erst im späten 19. Jahrhundert unter englischer Herrschaft regeneriert und ist zu einer starken Kraft geworden. Man muss ganz klar sehen, Christen sind nicht gleichberechtigt in Ägypten, aber die Kirche ist nicht schwach. Ihr gehören nicht nur Arme, sondern auch gebildete und vermögende Leute an. Und sie ist so gut organisiert und hat ein so starkes Einheitsgefühl, dass die muslimische Mehrheitsgesellschaft auf sie Rücksicht nehmen muss. Eine selbstbewusste Kirche, keine Geduckte. Das war auch ein wichtiges Erlebnis dieser Recherche.

Hat die koptische Kirche die 21 Märtyrer sofort in die Martyrium-Liste aufgenommen und sind diese gleichzeitig heiliggesprochen?

Ja, das hat die koptische Kirche gleich getan und im letzten Mai dann auch Papst Franziskus. Das ist etwas ganz Besonderes. Ich weiß nicht, ob sie nun wirklich die allerersten katholischen Heiligen sind, die keine Katholiken waren, es können aber nach dem Schisma nicht viele gewesen sein. Und das Schisma mit den Kopten beginnt wohlgemerkt schon mit dem Konzil von Chalcedon, also im ersten Jahrtausend, als die koptische Kirche sich von der katholischen und auch von der orthodoxen Kirche abgespalten hat. Das hat nicht gehindert, dass die 21 Märtyrer als katholische Heilige im Martyrologium Romanum geführt werden, mit dem 15. Februar als Festtag. Es dürfen ihnen geweihte katholische Kirchen gebaut werden.

Könnte man sagen, dass die koptische Kirche, die schon immer eine Kirche der Märtyrer war, gerade durch diese Erfahrungen im Glauben gestärkt wurde?

Ja, sie nennt sich sogar offiziell die „Kirche der Märtyrer“. Die Christenverfolgung war unter Kaiser Diokletian gegen Ende des dritten Jahrhunderts, etwa 20 Jahre lang, ganz besonders heftig und wütete gerade in Ägypten besonders, weil das Christentum dort sehr stark war. Wir dürfen nie vergessen, dass wir den ägyptischen Christen zwei der wichtigsten Dinge für die christliche, für die katholische Religion verdanken, und zwar die Marienverehrung und das Mönchtum. Beides kommt aus Ägypten und ist von ägyptischen Priestern auf den Konzilien durchgesetzt worden. Diese starke Kirche sollte von Kaiser Diokletian ausgelöscht werden, aber das gelang nicht. Aber die Erfahrung dieser Verfolgung war doch so groß, dass man die Zeitrechnung mit der Herrschaft von Diokletian beginnt, nicht mit dem Jahr 0. Die koptische Kirche zählt seit dem Jahre 284 an. Das ist das „Jahr des Martyriums“, in dem die Bewährung der koptischen Kirche begonnen hat.

Was hat Sie am Zeugnis noch beeindruckt? Die 21 wurden geköpft, wie haben sie das ertragen?

Ich muss von den Videobildern ausgehen, die ich mir genau und ungekürzt ansehen konnte, übrigens zusammen mit den Verwandten der Martyrer, die gelassen damit umgingen. Dass sie lächelnd in den Tod gegangen wären, ist wohl ein bisschen viel verlangt. Auf dem abgeschnittenen Kopf des Heiligen Kiryollos war tatsächlich ein entspannter, friedvoller Ausdruck zu sehen. Erstaunlicherweise, weil der ganze Vorgang sehr, sehr grausam war. Denn sie wurden nicht mit der Guillotine geköpft, sondern man säbelte ihnen mit kurzen Dolchen den Kopf ab. Wer schon einmal eine Hammelkeule tranchiert hat, weiß, dass man unter Umständen ziemlich lange arbeiten muss, bis man da durchkommt. Und so ist das auch bei den 21 Märtyrern gewesen. Eine Tortur. Die Henker knieten auf den Rücken, hatten den Kopf bei den Haaren gegriffen und nach oben gebogen. Dann setzten sie die Dolche an. Dies war weniger eine Tötung als eine Schlachtung. Manche Gesichter waren so verzerrt, dass selbst die Mütter Schwierigkeiten gehabt haben müssen, die Leichen wiederzuerkennen. Wie bei dem erwähnten Heiligen Kiryollos dieser gelassene Ausdruck zustande gekommen ist, das weiß ich nicht. Im Sterben rekomponieren sich oft auch gequälte Gesichtszüge und werden friedlich. Das ist eine Beobachtung, die man in jedem Krankenhaus machen kann.

Was wollen uns diese 21 Märtyrer für unsere Zeit sagen? Was können wir in unserer Kirche neu dazulernen von ihnen?

Wir können aus unseren ökonomischen und geistigen Umständen nicht einfach raus, auch wenn wir erkennen, dass sie schädlich sind. Aber wir können in Gedanken an die 21 zunächst einmal etwas von der Einbildung auf unsere Vortrefflichkeit aufgeben. Wir können aufhören, auf unseren sogenannten Fortschritt stolz zu sein, indem wir uns eingestehen, wie weit uns dieser Fortschritt vom Christentum der alten Kirche weggeführt hat, nämlich bis hin zur drohenden Auflösung der westlichen Kirche. Das wäre vermutlich das erste und wichtigste, was wir tatsächlich von den 21 lernen sollten.

Inwiefern sehen Sie Parallelen oder auch Unterschiede zwischen dem Martyrium des heiligen Stephanus und dem der 21 koptischen Märtyrer in Bezug auf ihren Glauben und ihre Standhaftigkeit?

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Drei Dinge haben die koptischen 21 mit dem heiligen Stephanus gemeinsam: erstens waren einige von ihnen zwar nicht Diakone, aber vom Bischof geweihte Kirchensänger in einer niedrigen Weihestufe des Priestertums. Und zweitens kann man sagen, dass für sie der lange Zeitablauf zwischen dem Leben Jesu und unserer Gegenwart keine Rolle spielte, weil sie kein historisches Bewusstsein hatten – für sie war Jesus ebenso nah wie für Stephanus, der ein Zeitgenosse Jesu gewesen ist. Drittens haben sie sich wie er im Tod zu Jesus bekannt.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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