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Der Moment der Willensentscheidung und die „Theologie des Leibes“

Papst Johannes Paul II.

In der Katechese vom 24. Oktober 1979 (L’Osservatore Romano 79/44) setzt Papst Johannes Paul II. seine Reflexionen über die „ursprüngliche Einsamkeit des Menschen“ fort. Die tiefgründige und zugleich klar formulierte Anthropologie des Buches Genesis zeigt den Menschen als Person mit der ihm eigenen Subjektivität. Der freie Wille wird sichtbar, als dem Menschen von Gott deutlich gemacht wird, dass unter den Bäumen, die im Garten Eden wachsen, auch der Baum steht, von dessen Früchten zu essen ihm untersagt ist. Doch der Mensch wird sich kraft seiner Freiheit zur Selbstbestimmung von Gott und seinen Geboten abwenden und der Sünde verfallen können.

Johannes Paul II. führt weiterhin aus: „Im Begriff der ursprünglichen Einsamkeit ist sowohl das Selbstbewusstsein als auch die Selbstbestimmung eingeschlossen. Die Tatsache, dass der Mensch ‚allein‘ ist, birgt in sich diese Seinsstruktur und ist zugleich ein Hinweis für ein richtiges Verständnis. Ohne das letztere sind wir nicht in der Lage, die folgenden Worte richtig zu begreifen, die die Einleitung zur Schöpfung der ersten Frau bilden: ‚Ich will ihm eine Hilfe machen.‘ Vor allem aber kann ohne jene tiefe Bedeutung seiner ursprünglichen Einsamkeit die ganze Situation des ‚nach dem Bilde Gottes‘ geschaffenen Menschen nicht verstanden und richtig interpretiert werden, die die Situation des ersten, ja ursprünglichen Bundes mit Gott ist.“

Der Mensch ist das „Subjekt des Bundes“, das als Person zum „Partner des Absoluten“ bestellt ist, „insofern es bewusst zwischen Gut und Böse, zwischen Leben und Tod unterscheiden und wählen muß“: „Die Worte des ersten Gebotes Gott-Jahwes (Gen 2,16–17), die unmittelbar von der Unterwerfung des Menschengeschöpfes und seiner Abhängigkeit vom Schöpfer sprechen, enthüllen indirekt eben diese Stufe des Menschseins als Subjekt des Bundes und ‚Partner des Absoluten‘. Der Mensch ist ‚allein‘: das besagt, dass er durch sein Menschsein, durch das, was er ist, zugleich in eine einzigartige, ausschließliche und unwiederholbare Beziehung und Verbindung mit Gott selbst gebracht wird.“

Der Mensch steht in Beziehung zu Gott, aber er kann sich in dieser Beziehung von Gott entfremden und abwenden. Als Mensch ist er ein „Körper unter Körpern“, durch den er an der Schöpfung teilhat. Durch den Körper wird ihm sein Alleinsein, seine Einsamkeit bewusst: „Er wäre sonst nicht imstande gewesen, zu jener Überzeugung zu gelangen, zu der er, wie wir lesen, tatsächlich gelangt ist (vgl. Gen 2,20), wenn ihm sein Körper nicht geholfen hätte, das zu erfassen, indem er es ihm deutlich machte. Das Bewusstsein der Einsamkeit hätte aufgrund desselben Körpers zerbrechen können. Der Mensch, ‚adam‘, hätte, auf die Erfahrung des eigenen Körpers gestützt, zu dem Schluss gelangen können, den übrigen Lebewesen wesenhaft ähnlich zu sein. Und doch ist er, wie wir lesen, nicht zu diesem Schluss gekommen, er ist vielmehr zu der Überzeugung gelangt, ‚allein‘ zu sein.“

Johannes Paul II. führt aus, dass der biblische Text selbst nicht unmittelbar vom Körper spricht, aber dass der Schöpfungsbericht Anlass bietet, um das Geschöpf Mensch als „Körper unter Körpern“ wahrzunehmen: „Die Analyse des jahwistischen Textes erlaubt uns darüber hinaus, die ursprüngliche Einsamkeit des Menschen mit dem Körperbewusstsein in Verbindung zu bringen, durch das sich der Mensch von allen Lebewesen unterscheidet und sich von ihnen ‚scheidet‘ und durch das er Person ist. Man darf mit Sicherheit behaupten, dass der so beschaffene Mensch gleichzeitig über das Bewusstsein und über das Wissen um den Sinn des eigenen Körpers verfügt, und das aufgrund der Erfahrung der ursprünglichen Einsamkeit.“

Als einziges Lebewesen kann der Mensch die Erde bebauen, kultivieren und beherrschen. Darin erkennt er seine Aufgabe und weiß, wozu er bestimmt ist: „Man kann folglich behaupten, dass diese Skizzierung zur Bedeutung der ursprünglichen Einsamkeit und zu jener Dimension der Einsamkeit gehört, durch welche der Mensch von Anfang an in der sichtbaren Welt sich als Körper unter Körpern findet und den Sinn seiner eigenen Körperlichkeit entdeckt.“

Diese Gedanken führt Johannes Paul II. in der Katechese vom 31. Oktober 1979 (L’Osservatore Romano 79/45) weiter und legt dar: „Das Körperbewusstsein scheint in diesem Fall identisch zu sein mit der Entdeckung der Vielschichtigkeit der eigenen Struktur, die nach der philosophischen Anthropologie letztlich in der Beziehung zwischen Seele und Leib besteht.“

In der biblischen Anthropologie werden indessen nicht Leib und Seele, sondern Körper und Leben unterschieden. Er bleibt im Ganzen aber weiterhin „Eigentum Gottes“. Johannes Paul II. schreibt: „Der Mensch ist nicht nur durch sein Selbstbewusstsein und seine Selbstbestimmung Subjekt, sondern auch aufgrund des ihm eigenen Körpers. Der Aufbau dieses Körpers ist solcher Art, dass sie ihm ein echt menschliches Handeln ermöglicht. In diesem Tun bringt der Leib die Person zum Ausdruck. Er ist also in seiner ganzen gleichsam durchlässigen und transparenten Stofflichkeit (‚Gott formte den Menschen aus Erde vom Ackerboden‘) in der Lage, zu verdeutlichen, wer der Mensch dank der Struktur seines Bewusstseins und seiner Selbstbestimmung ist (und wer er sein sollte). Darauf stützt sich die grundlegende Wahrnehmung der Bedeutung des eigenen Körpers, die man durch die Analyse der Ureinsamkeit des Menschen entdecken muß.“

Dem Menschen ist verwehrt, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Wenn er das Gebot übertrete, werde er sterben müssen. Doch der Papst zeigt auf, dass dem Menschen hier von einer Erfahrung gesprochen wird, die ihm nicht vertraut ist. Was bedeutet das? „Die Worte, die Gott-Jahwe an den Menschen richtete, waren die Bestätigung für eine Abhängigkeit im Sein, die ihn zu einem begrenzten, seiner Natur nach zur Nichtexistenz fähigen Wesen macht.“ Er sagt weiter: „Der Mensch, der diese Worte gehört hatte, mußte ihre Wahrheit an der inneren Struktur seiner Einsamkeit ablesen. Schließlich hing es von ihm, von seiner Entscheidung und freien Wahl ab, ob er mit seiner Einsamkeit in den Kreis der ihm vom Schöpfer zugleich mit dem Baum der Erkenntnis von Gut und Böse geoffenbarten Antithese eintreten und so die Erfahrung des Sterbens und des Todes machen wollte. Als der Mensch die Worte Gott-Jahwes hörte, hätte er begreifen müssen, dass der Baum der Erkenntnis nicht bloß ‚im Garten Eden‘, sondern auch in seinem Menschsein Wurzel gefaßt hatte. Außerdem hätte er begreifen müssen, dass jener geheimnisvolle Baum eine ihm bis dahin unbekannte Dimension der Einsamkeit in sich barg, mit der der Schöpfer ihn inmitten der Welt der Lebewesen ausgestattet hatte, denen er, der Mensch – vor demselben Schöpfer – ‚Namen gegeben‘ hatte, um zu erkennen, dass keines dieser Lebewesen ihm ähnlich war.“

Wenn der Mensch vom Baum der Erkenntnis isst, wählt er zwischen dem Tod und der Unsterblichkeit, und dieser Moment der Entscheidung gehöre, so Johannes Paul II., „‚von Anfang an‘ zur Definition des Menschen und zum Sinn seiner Einsamkeit vor Gott“: „Dieser ursprüngliche Sinn der Einsamkeit, von der Entscheidung zwischen Sterben und Unsterblichkeit durchdrungen, ist auch für die gesamte Theologie des Leibes von fundamentaler Bedeutung.“

Der Mensch sei sich, auch heute, „der Wahrheit, die ihn selbst betrifft und bereits in den ersten Kapiteln der Bibel aufscheint, vielleicht allzu wenig bewusst“. Dies lässt sich, auf unsere Zeit übertragen, vielleicht nirgends deutlicher erkennen als in den Texten, die von der deutschen Synodalversammlung beschlossen wurden, und die Abkehr anzeigen von der Wahrheit des Glaubens, wie diese in der Bibel und in der Lehre der Kirche aller Zeiten und Orte aufscheint, etwa dann, wenn die christliche Anthropologie neu modelliert und in Wirklichkeit entkernt wird. Der Nachvollzug und die Besinnung auf die Theologie des Leibes erweist sich gerade hier als wichtiges Korrektiv gegen virulenten Ungeist dieser Zeit.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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