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Kardinal Koch: Warum die Liturgie Allerheiligen und Allerseelen innerlich zusammenschließt

Kardinal Kurt Koch

CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Predigt von Kurienkardinal Kurt Koch am Abend des Hochfestes Allerheiligen am Campo Santo Teutonico.

Lumen Gentium – „Licht der Völker“: mit diesem Leitwort preist die Dogmatische Konstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche Jesus Christus. Er ist das Licht für uns Menschen, weil er nach dem Erleiden seines Kreuzes nicht im Tod geblieben ist, sondern weil der himmlische Vater ihn auferweckt und aufgenommen hat in seine lichtvolle Herrlichkeit. Wir bekennen und loben ihn als „Licht vom Licht“.

Dieses Licht Gottes bringt das heutige Fest Allerheiligen zum Leuchten. Denn es verkündet, dass es die Heiligen sind, die bereits Anteil am ewigen Licht Gottes erhalten haben und für uns zu Lichtgestalten geworden sind. Die Heiligen haben freilich das Licht nicht aus sich selbst. Ihr Licht ist vielmehr ein abkünftiges Licht. Das Licht der Heiligen kommt von Gott, der in sich reinstes Licht ist. In dieser Abkünftigkeit zeigt der Lichtglanz der Heiligen den inneren Reichtum des leuchtenden Lichtes Gottes, nämlich den reinen Glanz seiner Herrlichkeit. Die Heiligen sind gleichsam die bunten Spektralfarben, die den Glanz der Heiligkeit Gottes in verschiedenen Farbtönen reflektieren. Die Heiligen sind die lichtvollen Sterne am Himmel, die uns den Weg ins Licht des ewigen Lebens bei Gott weisen.

Das heutige Fest bringt dieses Licht Gottes und seiner Heiligen in die Dunkelheit der heutigen Welt hinein. Die weithin aus den Fugen geraten ist und der schrecklichen Sprache der Kriege das Sagen lässt. Dieses Licht haben aber auch Menschen nötig, die einen lieben Menschen verloren haben und um ihn trauern. Denn das heutige Fest schenkt uns die tröstliche Botschaft, dass auch unsere Toten Anteil am Licht Gottes in der Gemeinschaft der Heiligen erhalten. Diese Aussicht hat Jesus Christus selbst verheißen, und er hat darum in seinem Hohepriesterlichen Gebet kurz vor seinem Leiden und Sterben seinen himmlischen Vater gebeten: „Ich will, dass alle, die du mir gegeben hast, dort bei mir sind, wo ich bin. Sie sollen meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast vor der Erschaffung der Welt“ (Joh 17,24). Diese hoffnungsvolle Glaubensüberzeugung, dass Jesus Christus den Toten Anteil schenkt an seiner eigenen Herrlichkeit, bringen wir zum Ausdruck, wenn wir in dieser Vesperfeier für die Verstorbenen aus unserer Gemeinschaft eine Kerze anzünden und für sie das Licht der Auferweckung erbeten.

Allerheiligen und Allerseelen legen uns so ans Herz, dass unser Glaube an das ewige Leben der Verstorbenen und ihre Anteilhabe am Licht Gottes der Ernstfall unseres Glaubens an Gott überhaupt ist, der nicht ein Gott des Todes, sondern des Lebens ist. Was wäre dies denn für ein Gott, der uns nur während unseres relativ kurzen Lebens auf unserer Erde die Treue hielte, bei unserem Tod seine Treue aber aufkündigen und vor unserem Sarg kapitulieren würde? Dies wäre gewiss ein erbärmlicher Götze, nicht jedoch der Gott des grenzenlosen Erbarmens, der uns in der christlichen Offenbarung verkündet wird. Gott stellt seine Treue auch und gerade über unser Grab hinaus unter Tatbeweis. Er ist und bleibt bei uns und er behütet uns, auch wenn wir unser irdisches Leben beenden. Diese tröstliche Verheissung spricht der Psalm 121 sehr tief aus: „Er lässt deinen Fuß nicht wanken; er, der dich behütet, schläft nicht. Nein, der Hüter Israels, schläft und schlummert nicht“ (Ps 121,3–4).

„Der Herr behüte dich, wenn du fortgehst und wiederkommst, von nun an bis in Ewigkeit“ (Ps 121,8). Mit diesen segensreichen Worten ist in Israel der fromme Pilger aus dem Tempel in der Überzeugung des Glaubens entlassen worden: An der Schwelle des Heiligtums wird die hilfreiche Begleitung Gottes nicht enden. Gottes Schutz wird den Pilger vielmehr auch dann begleiten, wenn er sich auf den Weg in sein alltägliches Leben zurück macht. Gottes Schutz wird erst recht nicht enden, wenn wir Menschen uns auf den letzten Weg zu unserem endgültigen und ewigen Leben machen werden, dann nämlich, wenn wir entschlafen. Dann wacht Gott, unser Herr und schenkt uns sein Licht. Denn der Hüter Israels schläft und schlummert nicht. Es ist gut und hilfreich, darum wissen zu dürfen, dass Gott nicht schläft: und es ist tröstlich, darum wissen zu dürfen, dass Gott wacht.

Gott wacht über uns, die wir noch auf Erden leben. Und er wacht über die Menschen, die auf unserer Erde nie mehr erwachen werden. So dürfen wir hoffen und darauf vertrauen, dass Gott auch über unseren Verstorbenen und allen Toten wacht, derer wir am Allerseelentag besonders gedenken und für sie beten. Dass Gott, unser himmlischer Vater hellwach auch über die Verstorbenen wacht: dies ist der große Trost, den der christliche Glaube uns schenkt.

Auf unserer Erde sind uns die Toten zwar gewiss endgültig genommen. Wenn wir aber glauben, dass sie in Gott hinein gestorben sind, der für sie wacht, und dass sie Anteil an seinem ewigen Licht erhalten haben, dann werden uns die Toten in neuer Weise zurückgeschenkt. Sie können uns sogar noch näher sein, als sie es während ihres Lebens zu sein vermochten – vorausgesetzt, dass wir jene Brücke beschreiten, die der christliche Glaube uns schenkt und die beide Welten, den Himmel und die Erde miteinander verbindet, nämlich die Brücke der treuen Verbundenheit mit unseren Toten im Gebet.

Darin besteht die großartige Hoffnung des christlichen Glaubens. Denn christliche Hoffnung, die diesen Namen verdient, bewährt sich auch und erst recht über den Tod hinaus. Sehr schön und tief hat der französische Denker Gabriel Marcel betont: einen Menschen wirklich lieben, dies könne nur heißen, ihm zuzusprechen, dass er niemals wirklich sterben, sondern ewig leben werde. Wahre Hoffnung bewährt sich in der Tat darin, dass wir unseren Toten ewiges Leben gönnen und dafür beten. Denn Gott selbst, der den Menschen unendlich liebt, dem er das Leben geschenkt hat, will für ihn auch ewiges Leben in seinem Licht.

Beim christlichen Glauben an das ewige Leben und die Anteilhabe der Toten an der Auferstehung Jesu Christi handelt es sich nicht bloß um einen mehr oder weniger wichtigen Zusatz zu unserem Glauben an Gott, sondern um seine Radikalisierung selbst, gleichsam um die entscheidende Feuerprobe, die unser Gottesglaube zu bestehen hat. Mit wünschenswerter Deutlichkeit hat dies bereits der Apostel Paulus den Korinthern, die den Glauben an ihre eigene Auferstehung offensichtlich nicht annehmen wollten, in ihr Herz geschrieben: „Wenn Tote nicht auferweckt werden, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Wenn aber Christus nicht auferweckt worden ist, dann ist euer Glaube nutzlos, und ihr seid immer noch in euren Sünden; und auch die in Christus Entschlafenen sind dann verloren“ (1 Kor 15,16–18). Dieselbe Grundüberzeugung hat die frühe Kirche auf die Kurzformel gebracht: „Nimm die Auferstehung hinweg, und auf der Stelle zerstörst du das Christentum.“

Auch wir sind zumal an Allerheiligen und Allerseelen erneut danach gefragt, ob wir dies wirklich glauben. Damit wir unsern Glauben an das ewige Leben erneuern und vertiefen, schließt die Liturgie beide Gedenktage innerlich zusammen, und die zweite Vesper an Allerheiligen begleitet uns zu Allerseelen hinüber. Beide Gedenktage verkünden gemeinsam die schöne Botschaft unseres Glaubens, dass Gott ein Gott des Lebens und des Lichtes ist und dass er unseren Toten Anteil an seinem ewigen Licht schenkt.

In der Zuversicht dieses Glaubens besuchen wir am Allerseelentag die Gräber unserer Toten und segnen sie. Mit ihrer Benediktion sprechen wir ihnen das Beste zu, was wir im Glauben überhaupt sagen können, dass Gott hellwach für sie wacht und ihnen das Licht des ewigen Lebens schenkt. Denn Gott, der uns Menschen das Leben geschenkt hat, will uns auch in Ewigkeit bei sich in der Gemeinschaft aller Heiligen haben. Amen.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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