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Philosoph Ostritsch: Warum thomistische Gottesbeweise heute überzeugen

Im 13. Jahrhundert versuchte der heilige Thomas von Aquin, die aristotelische Philosophie mit der augustinischen Theologie in Einklang zu bringen. Aquin bediente sich sowohl der Vernunft als auch des Glaubens bei der Erforschung der Metaphysik, der Moralphilosophie und der Religion.

Wer heute an deutschen Universitäten Philosophie studiert, begegnet früh einem scheinbar unumstößlichen Lehrsatz: Seit Kant seien alle Gottesbeweise erledigt. Für den Philosophen Sebastian Ostritsch war dieses „kantianische Dogma“ lange selbstverständlich – bis eine persönliche Wende ihn zurück zum katholischen Glauben führte und sein philosophisches Koordinatensystem neu justierte.

Mit seinem neuen Buch „Serpentinen. Die Gottesbeweise des Thomas von Aquin nach dem Zeitalter der Aufklärung“ geht Ostritsch, der kürzlich wegen Widerstands von Studenten von der von Jesuiten geführten Hochschule für Philosophie München ausgeladen wurde, dieser weitverbreiteten Erzählung nach und zeigt, warum die klassischen Argumente des Thomas von Aquin erstaunlich belastbar sind, wenn man sie wirklich durchdenkt.

Im Gespräch mit CNA Deutsch erklärte Ostritsch außerdem, warum Kant oft zu hastig als endgültiger Schiedsrichter angerufen wird und weshalb thomistische Metaphysik gerade heute neue Relevanz gewinnt.

Sie kommen aus der Hegel-Forschung und haben sich intensiv mit moderner Metaethik, Zeit- und Sprachphilosophie beschäftigt. Was hat Sie persönlich dazu gebracht, sich ausgerechnet jetzt so ausführlich mit den „Fünf Wegen“ des Thomas von Aquin zu beschäftigen – gab es da einen philosophischen oder sogar biographischen Wendepunkt?

Die Beschäftigung mit Thomas von Aquin hat auch einen biografischen Hintergrund; nachdem ich vor gut fünf Jahren zum katholischen Glauben revertiert bin, haben sich auch meine philosophischen Interessen verschoben. Thomas ist vielleicht der katholische Philosoph schlechthin. Bei der Beschäftigung mit seinen Gottesbeweisen – den „fünf Wegen“ – habe ich dann gemerkt, dass die Vorurteile, die ich früher gegenüber der Möglichkeit eines philosophischen Gottesbeweises gehegt hatte, sich nicht halten lassen.

Sie sprechen vom „kantianischen Dogma“, nach dem nach Kant Gottesbeweise grundsätzlich erledigt seien. Wo genau, würden Sie sagen, liegt der zentrale Denkfehler dieser dominanten Erzählung – und warum hat sie in Universitäten und im kirchlichen Raum dennoch so eine Macht behalten?

Kant ist ohne Frage einer der größten, genialsten Denker der Philosophiegeschichte. Kein anderer steht, vor allem in Deutschland, so für Vernunft, Freiheit und Aufklärung wie Kant. Wer hinter die Einsichten Kants zurückwolle, der falle in ein voraufgeklärtes, irgendwie rückständiges Denken zurück – so zumindest der Tenor, der mir an der Universität während meines Studiums und darüber hinaus immer wieder begegnet ist.

Es ist aber paradox, sich gerade auf Kant als Autorität zu berufen, ohne in der Sache zu prüfen, wie überzeugend die Argumente wirklich sind. Denn „Aufklärung“ heißt für Kant ja gerade, „sich seines eigenen Verstandes zu bedienen“, und das heißt: sich nicht blind auf Autoritäten zu verlassen. Daher spreche ich auch von einem „kantianischen“ statt von einem „kantischen“ Dogma: Denn Kant ernst zu nehmen, heißt gerade, seine Thesen und Argumente kritisch auf den Prüfstand zu stellen.

Das kantianische Dogma hat sich aber wohl als effektiver Weg erwiesen, um das Nachdenken über Gott aus dem akademischen Diskurs zu verbannen. Geklappt hat das übrigens nicht. In den USA und überhaupt in der anglophonen Welt ist der Theismus – also die philosophische Position, dass Gott existiert – längst wieder zurück.

Wie zwingend sind die „Serpentinen“ wirklich? In Ihrem Buch arbeiten Sie heraus, dass die fünf Wege, richtig verstanden, mehr sind als bloße Plausibilitätsüberlegungen; sie beanspruchen eine echte argumentative Zwingkraft. Was würden Sie einem philosophisch gebildeten Atheisten antworten, der sagt: „Ich akzeptiere einfach eure metaphysischen Prämissen nicht?“ Ist er dann noch rational angreifbar, oder endet hier die Diskussion?

Ich nenne die fünf Wege des Thomas aus zwei Gründen „Serpentinen“: Erstens geht es sehr steil „nach oben“, nämlich zu Gott; zweitens sind die Gedankengänge, wenn sie denn ausbuchstabiert werden und man dabei alle möglichen Einwände abwehren möchte, auch ziemlich gewunden.

Was die Beweiskraft angeht: Wer die Prämissen eines Arguments ablehnt, der wird auch die daraus gezogene Schlussfolgerung zurückweisen können. Das Großartige an den Gottesbeweisen des Thomas ist aber, dass sie von Prämissen ausgehen, die wir alle aus eigener Erfahrung kennen und die völlig in Übereinstimmung mit dem gesunden Menschenverstand sind.

Nehmen Sie etwa den ersten der fünf Wege: Dieser beginnt mit der wenig kontroversen Feststellung, dass es Veränderungen in der Welt gibt. Wenn man das leugnen möchte, muss man ganz schön aufwendige und kontraintuitive Metaphysik betreiben.

Die fünf Wege führen zu einem Gott, der die erste Ursache und das höchste Sein ist. Wie bringen Sie persönlich diesen philosophischen Gottesbegriff mit dem Gott des christlichen Glaubens zusammen – dem Gott, der liebt, spricht und Mensch wird?

Die Gottesbeweise des Thomas gehören zur sogenannten „natürlichen Theologie“, die wiederum ein Teil der Philosophie ist. Hier geht es um Gott, insofern er mit den Mitteln der natürlichen Vernunft erkannt werden kann.

Die Wahrheiten, die Gott uns im Laufe der Geschichte über sich offenbart hat, gehen weit darüber hinaus. Die Dreifaltigkeit etwa oder die Inkarnation hätten sich nicht auf rein philosophischem Wege erschließen lassen. Die natürliche Theologie und die Offenbarung schließen sich aber nicht aus, sondern ergänzen sich.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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In meinem Buch versuche ich zu zeigen, dass man über den Gott, der das reine Sein und die erste Ursache ist, auch weitere Attribute herleiten kann: Dieser Gott ist der vollkommene, allgute, unendliche, zeitlose, immaterielle, allmächtige und allwissende Schöpfer der Welt. Um zu wissen, dass er Vater, Sohn und Heiliger Geist ist, dass er als Jesus Christus Mensch geworden und für unsere Sünden am Kreuz gestorben ist – dafür und für vieles mehr brauchte es wie gesagt die Offenbarung.

Ihr Untertitel spricht vom „Zeitalter der Aufklärung“. Wenn Sie den Blick etwas weiten: Welche Rolle könnte eine erneuerte thomistische Metaphysik – und damit auch eine Rehabilitierung der Gottesbeweise – für die aktuelle innerkirchliche Situation spielen, in der oft von „Pastoral“ gesprochen wird, aber philosophische Grundlagen eher im Hintergrund bleiben?

Meiner bescheidenen Ansicht nach würde es der Kirche heute gut zu Gesicht stehen, wenn sie sich des Rundschreibens Aeterni Patris von Leo XIII. erinnern würde. Darin werden die Bischöfe angehalten, das Studium der Schriften des heiligen Thomas zu beleben, und allen Priesteramtskandidaten wird geraten, sie sollten Thomas studieren. Der Grund: Von Thomas kann man die Vernünftigkeit des Glaubens lernen.

Was der Zusammenhang mit der Pastoral ist? Nun, eine gute Pastoral muss ja auf das übernatürliche Heil der Menschen zielen, dieses Heil aber liegt in Gott. Wie aber kann man etwas lieben, das man nicht oder kaum kennt? Unser ewiges Heil, unsere Liebe zu Gott und unser Wissen von ihm hängen also zusammen. Die richtige Theologie und die damit zusammenhängende Philosophie kann so gesehen heilsentscheidend sein.

Am Ende Ihres Buches steht die Szene des heiligen Thomas, der nach einer mystischen Erfahrung sagt, alles Geschriebene sei „Stroh“. Wenn Sie heute auf Ihr eigenes Werk schauen: Wo sehen Sie selbst die Grenze dessen, was philosophische Argumentation leisten kann – und was möchten Sie mit „Serpentinen“ eher anstoßen: eine intellektuelle Debatte oder einen Schritt hin zu einer existenziellen, vielleicht auch mystischen Öffnung für Gott?

Ich sehe da keinen Gegensatz, im Gegenteil: Wer durch philosophisches Nachdenken eingesehen hat, dass es Gott gibt und der Atheismus daher falsch ist, der wird hoffentlich intellektuell aufgeschlossen sein gegenüber existenziellen Gotteserfahrungen, zum Beispiel der Kraft des Gebets und den Wundern, die Gott auch heute noch immer wieder in der Welt wirkt. Natürlich sind aber selbst die besten Argumente machtlos gegen ein verhärtetes Herz; es ist schließlich eine von Gott geschenkte Gnade, zu glauben. Aber niemand soll sich hinter der Vernunft verstecken können, um den Glauben abzulehnen. Das ist zu billig.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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