29 Januar, 2019 / 4:21 PM
Zu Beginn der Buchpräsentation deutete Wolfgang Schüssel den Band wohlwollend um. "Bernd Posselt erzählt Europa" ist der Titel, unter dem Posselt die 239 Seiten bei Friedrich Pustet in Regensburg veröffentlicht hat. Der Österreichische Altbundeskanzler sagte aber: "Bernd Posselt: Erzählt Europa!". Das war freundlicher Ausdruck dafür, dass es dem langjährigen Europapolitiker und Vorsitzenden der Sudetendeutschen Landsmannschaft nicht so sehr auf sich ankommt, sondern auf die Weitergabe der europäischen Idee und, vor allem: auf das europäische Tun.
Im Falle Posselts geht es tatsächlich um das christliche Europa. Christlich geprägte Politik ist es, soweit diese möglich ist. Politik ist die Kunst des Möglichen als praktische Umsetzung von Ideen.
Um welche Ideen es geht? Im neuen Buch bringt der christliche Europapolitiker diese in erzählter Form vor. Das zu tun fällt ihm nicht schwer, da viele Zusammenhänge Europas immer schon als Narrative überliefert wurden und er sie so erlebt hat. Narrative fassen bündig, worauf es ankommt. Deshalb ist "Bernd Posselt erzählt Europa" ein sehr lesbares, oft kurzweiliges, häufig genug buchstäblich spannendes und detailreiches Buch geworden. Der Autor spricht nicht primär organisatorisch oder technokratisch, sondern herzlich und realistisch: aus Erfahrung. Darum auch verliert sich der Band nicht in Erzählung oder gar Aufzählung, sondern weiß stets, was der Grund dahinter ist: das christliche und als solches tolerante Europa.
Montagvormittag, 21. Jänner 2019, 10 Uhr im ersten Stock des Figlhauses, Schenkenstraße 2 hinter dem Burgtheater in Wien. Zur Buchpräsentation mit Wolfgang Schüssel haben sich zahlreiche Interessierte eingestellt, die einem großen Parteien- und religiösen Spektrum angehören und die der praktische Europagedanke vereint. Sie möchten hören, was ein Europapolitiker über einen anderen Europapolitiker zu sagen hat.
Nicht gerade häufig geschieht es, dass ein Politiker ernsthaft über einen anderen spricht, ohne in Lobeshymnen auszubrechen oder in übertriebene Abgrenzung zu verfallen. Hier nun, am geschäftigen Wochenbeginn in der Österreichischen Metropole, verbindet Schüssel souverän die Würdigung der Person mit der Aufgabe Europa. Gewiss wird das Gemeinsame gesucht und betont, so wie Posselt den Genius Loci unterstreicht, wonach er Wiener sei. Er verweist auf Mutter und Vater, deren Herkünfte das böhmische Gablonz und das steirische Graz sind. Dazwischen liegt das Herz der vormaligen völkerversammelnden Monarchie. Viel Geschichte gibt es in Wien. Auch symbolisiert es bis heute politische Formen und Einstellungen zu Europa. Hier nimmt die Reihe der Buchpräsentationen ihren Anfang. Selbigen Tags noch wird der Band in Altötting, dem schönen bayerischen Marienwallfahrtsort, und in Prag präsentiert. Bernd Posselt absolviert es mit europäischem Schwung.
Dass sich der Präsentator und der Autor als ausgemachte Europapolitiker in der Vergangenheit nicht über den Weg gelaufen wären, ist völlig ausgeschlossen. Erfreulich bei der Buchvorstellung, dass beide ernsthafte Wertschätzung füreinander hegen – bei allen Unterschieden im Detail. Ausdruck der Achtung und Unterstützung ist die Tatsache, dass Schüssel spricht. Von Februar 2000 bis Jänner 2007 wirkte er als Österreichischer Bundeskanzler, 2006 auch als Vorsitzender des Europäischen Rates. Er beschreibt das vorliegende Buch: "Bernd Posselt hat viele Geschichten wunderbar geschrieben." Gut europäisch gehe es dabei nicht nur um Bayern und Deutschland sowie deren unmittelbare Nachbarn, sondern genauso um Länder Mittelosteuropas und die Länder des Baltikums: um das ganze Europa, Paneuropa. Offen und flexibel wirkt der Autor für die Weite und Tiefe des Europagedankens, merkt Staatsmann Schüssel an: "Es ist nichts Halbes, Bernd Posselt hat sich mit Hirnschmalz hineingedacht."
Dabei ist Europa häufig genug ein Ort. Schon der konkrete Genius loci der Präsentation, das Figlhaus, wird beschrieben. In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg war es der Sitz des Niederösterreichischen Bauernbundes, wo Bundeskanzler Leopold Figl die Lebensmittelversorgung des Landes organisierte. Er war dazu von den Sowjets beauftragt, denn Österreich stand vor einer Hungersnot. Posselt sekundierend: Figl habe viel im Leben gelitten, aber nie den Optimismus verloren. Seine Bedeutung ist es, Österreich über alle politischen Umstände hinweg im Westen verankert zu haben.
Das Register am Ende des Pustetbuches ist Beweis dafür, wie personengebunden die Entwicklung Europas ist. Mehrere Seiten – von Abraham, Knut, bis Zweig, Stefan – umfasst es, und es eröffnet eine Welt von Individuen, die alle am Europagedanken geschaffen, ihn verwirklicht und leider auch gelegentlich seine Verwirklichung gehemmt haben. O-Ton Schüssel positiv: "Bernd Posselt hat viele Vorbilder kreativ und farbig beschrieben." Dabei sei es wichtig zu sehen, in welcher Tradition dieses Europa geworden ist, weiß Schüssel, der sich mit der Aussage vom Werden Europa gleich von jedem Technokratentum abhebt.
Wenn nicht Spielball der Weltpolitik, müsse sich Europa in die Richtung der Union entwickeln. Das mühsame Zusammenspiel, um dorthin zu gelangen, sei der einzige Weg. Solche Grundgedanken verbinden Posselt und Schüssel, dem, wie er sagt, es gut gefallen habe, wie sich Bernd Posselt zum Christentum sowie zu den christlichen Wurzeln Europas bekennt; im Gegensatz übrigens zu Guy Verhofstadt und Jacques Chirac. Dass diese ihre Erwähnung im Verfassungsvertrag verhinderten, kann der frühere Bundeskanzler bis heute nicht verstehen. Sowohl aufgrund der Fakten als auch prinzipiell dürfe die christliche Dimension Europas nicht ausgeblendet werden, plädiert er.
Was Schüssel und Posselt aneinander besonders gefällt, ist die klare Sprache und Haltung in der Frage der Türkei. Konkret wurde gemeinsam verhindert, dass die Aufnahme Kroatiens in die EU von einer Aufnahme der Türkei abhängig gemacht wird. Schüssel: "Es ist uns gelungen, zu deblockieren." Dass die Türkei nicht aufgenommen werde, ist heute Mehrheitsmeinung. Bernd Posselt hatte sich in diesem Sinne als einer der ersten stets und verlässlich ausgesprochen, erinnerte sich Schüssel. Seine eigene Erfahrung bei dem Vorgang: "Du drehst dich um und bist allein." Altbundeskanzler Schüssel: "Das kennt Bernd Posselt auch."
Der Redner hob die Bedeutung Bayerns für die Sudetendeutschen hervor, nicht ohne Österreichs Rolle im Blick zu haben: "Die Bayern haben es wunderbar erreicht, dass sie die zwei Millionen Vertriebenen integrieren, von denen übrigens 600.000 auf ihrem Weg in den Westen in Österreich geblieben sind." Bedeutsam gewiss die Tatsache, dass Revanchismus kein Raum gegeben wurde, wohl aber der Erinnerung an die Bedeutung der Heimat und dem Brückenbauen. Nicht zuletzt Paneuropa, an Posselt gewandt: "Das ist bei Dir das Thema schlechthin." Richard Coudenhove-Kalergi wurde erwähnt sowie Otto von Habsburg, dem es Schüssel als Bundeskanzler ermöglicht hatte, in Schönbrunn Goldene Hochzeit zu feiern.
Keine Frage, solche Veranstaltungen sind der Ort, viel Positives und Verdienstvolles zu äußern. Die Frage ist, wie dies geschieht und wie es auf dem Weg weiterer Taten bestärken kann. Bernd Posselt drückte Rührung aus. Geehrt sei er, dass so viele Freunde gekommen sind. Kroatien, nahm der Politiker gleich den Ball auf, sei ein Kriminalstück der Europapolitik und der Diplomatie. Der Nationalismus, so habe es im Kreise der Seinen stets geheißen, habe die Familie zerstört. "Das ist nun eure Aufgabe", erging der Auftrag an die folgende Generation. Alle Posselts wirken am christlichen Europa.
Posselt ließ die Gelegenheit nicht verstreichen, um vor der Gefahr einer Rückkehr zum Nationalismus zu warnen. National verschattetes Pseudo-Europäertum sei bereits Thema in Coudenhove-Kalergis Buch "Paneuropa" (1923). Der Nationalstaat sei nicht die Heilung von Krankheiten. Vielmehr habe er zahlreiche Krankheiten erst hervorgebracht: "Seit wann macht man aus der Krankheit die Therapie?" Mit klaren Worten wandte er sich gegen Nationalismen aus der rechten und der linken Ecke. Der Nationalstaat sei zu klein, um die Weltprobleme zu lösen, jedoch zu groß, um Menschen Heimat zu bieten. Schließlich die Erkenntnis, die er aus langen Jahren Europapolitik zieht: "Frieden ist nicht selbstverständlich."
Bereits zu Beginn hatte Moderator Otto Neubauer ("Mission is possible") Bernd Posselt als einen Unbeirrbaren bezeichnet, was Schüssel im Laufe seiner Ausführungen als "perseverance" übersetzte. Neubauer nannte den Autor unbeirrbar in dem Punkt, Europa eine Seele zu geben. Wesentlich Koordinaten bei der Erfüllung dieser Aufgabe sind im Band zusammengetragen. Er zeigt, wie dies in Zukunft zu geschehen hat. Und die Präsentation ließ erkennen, wie stark der Schwung ist, dies zu tun – bei Bernd Posselt sowie bei vielen anderen.
Bernd Posselt erzählt Europa. Geschichte und Personen – Bauplan und Visionen ist bei Friedrich Pustet erschienen und hat 239 Seiten.
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