Köln, 09 Mai, 2025 / 3:30 PM
„Warum das Christentum in seiner tiefsten Krise steckt“ – Der Titel der Veranstaltung klang spektakulär, der Referent war prominent: Karl-Heinz Menke, emeritierter Professor für Dogmatik und Theologische Propädeutik an der Universität Bonn, früheres Mitglied der Internationalen Theologischen Kommission und Joseph-Ratzinger-Preisträger.
Aber das Veranstaltungsformat der Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) mit der Überschrift „Quodlibet“ war speziell: Es geht zurück auf Thomas von Aquin, der dieses Format bereits im 13. Jahrhundert an der Universität in Paris einführte. Es sieht einen besonders fairen Umgang in der Argumentationsweise vor. Um die Wahrheitsfindung zu kultivieren, wird die Position, die widerlegt werden soll, genauso sachlich dargestellt wie die eigene. Ein Format, das in der gegenwärtigen Zeit mit vielen emotional-wertenden Debatten eher ungewöhnlich ist.
So mussten die aufmerksamen Zuhörer in der vollbesetzten KHKT-Aula bis zum Schluss des Vortrages warten, um die eigene Meinung des Referenten zu erfahren. Menke schlug einen großen theologisch-philosophischen Bogen vom 13. Jahrhundert bis heute und setzte sich mit den für das Thema wichtigsten Strömungen auseinander.
Dabei argumentierte er vorrangig philosophisch. Sein Ansatzpunkt: Das Christentum wird als die einzige Religion bezeichnet, die einen einzelnen Menschen als die Wahrheit an sich erklärt. Dies wird gebündelt in der Frage: Kann ein einzelner Mensch – Jesus – für alle Menschen und Zeiten der Weg zu Gott sein?
Zur Beantwortung durchkämmte Menke die in der Geschichte aufgetretenen philosophischen Strömungen, welche diese Kernaussage des Christentums infrage stellten und damit die geistesgeschichtlichen Voraussetzungen für dessen Krise bereiteten. Schon Ende des 13. Jahrhunderts sah sich die christliche Schöpfungstheologie vor die Alternative gestellt: Entweder ist alles nur Natur; dann ist alles Wirkliche ein geschlossener Kausalzusammenhang. Oder der Schöpfer hat die Welt nicht notwendig, sondern aus freiem Entschluss geschaffen. Und er bleibt auch gegenüber der faktisch ins Dasein gerufenen Schöpfung frei. Der Reformator Martin Luther erblickte, so Menke, die Unmöglichkeit, von der Schöpfung auf den Schöpfer schließen zu können. Was wir von Gott wissen, so betont Luther, wissen wir nur durch Gott selbst; durch das Ereignis und Schrift gewordene Wort Gottes.
In der Christologie folgt die Schlussfolgerung: Jesus ist nicht als wahrer Mensch, sondern trotz seines Menschseins Gottes Wort. Bis in die Zeit der Aufklärung hätten Protestanten die Heilige Schrift kaum oder gar nicht von Jesus Christus selbst unterschieden – in der Annahme, die Heilige Schrift sei geistgewirkt das Sprechen Christi selbst.
Diese Sichtweise wurde aber von evangelischen Theologen und Philosophen infrage gestellt. „Kant unterscheidet bekanntlich die Wahrheit an sich von der Wahrheit für mich“, berichtete Menke. Für Schleiermacher habe Wahrheit, die Jesus und die von ihm erzählenden Evangelien vermittelt haben, nichts Objektives mehr. Und Bultmann erklärte den historischen zum uneigentlichen Jesus.
Menke lobte den katholischen Fundamentaltheologen Hansjürgen Verweyen, der deutlich gemacht habe: Jesus ist nicht nur der austauschbare Katalysator eines neuen Bewusstseins, sondern als wahrer Mensch Gott-der-Sohn.
Der Referent machte sich nun daran, zu erklären, warum das Christentum mit dem Festhalten an der Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und seiner Kirche steht oder fällt. Seine Antwort: „Gott, der als der trinitarische unbedingte Liebe ist, kann sich gar nicht anders als geschichtlich-konkret offenbaren.“ Die Liebe sei nämlich „keine Idee; sie ist immer konkret oder gar nicht.“
Dann kam Menke auf das Gottesbild zu sprechen: „Der trinitarische Gott ist nicht das beziehungsunfähige und unveränderliche Absolutum platonischer Philosophie. Gott kann etwas anfangen und etwas lassen; er kann in Beziehung treten oder nicht. Er ist auf vollkommene Weise Liebe.“ Und Liebe sei immer Beziehung, mindestens zwischen Zweien. Das konkrete Menschsein des fleischgewordenen Sohnes sei nicht Verkleidung, sondern im Gegenteil ursprüngliche Offenbarkeit der göttlichen Liebe.
Der Preis der Freiheit sei zweifellos hoch. „Die Bilanz dessen, was Sünde schon angerichtet hat und noch immer anrichtet, ist verheerend.“ Auch Gott könne die vom Sünder geschaffene Wirklichkeit nicht ungeschehen machen – es sei denn, er würde die Freiheit aufheben, die er dem Menschen geschenkt hat. Das wolle auch niemand. „Ich kenne trotz dieser Bilanz keinen Menschen, der lieber ein von Gott programmierter Computer als ein mit wirklicher Freiheit ausgestattetes Geschöpf wäre“, sagte er.
Menke stellte dann die Frage: „Wie kann das konkrete Leben und Handeln eines bestimmten Menschen die Erlösung der gesamten Menschheit sein?“ Jede Osterpredigt müsste exakt diese Frage hinreichend beantworten, so der Referent beim Quodlibet-Abend der KHKT, der zuerst den Blick auf die Realität der Sünde lenkte, die heute oft banalisiert werde. „Wo immer Sünde einen Sünder von Gott trennt, ist sie der Tod, um den es in der frohen Botschaft des Osterfestes geht.“ Tod, weil ein Sünder keine Gemeinschaft mehr mit Gott habe. Dem hielt der Referent entgegen: „Seit dem Osterereignis hat keine Sünde mehr die Macht, den Sünder von Gott zu trennen, es sei denn, er würde die ihm bis in die tiefste Tiefe hinabreichende Hand des Erlösers willentlich ablehnen.“
Warum – salopp formuliert – hat Gott sich nicht auf den Balkon seines Himmels gestellt und die Menschheit gleichsam „urbi et orbi“ durch einen Machtspruch statt durch das Drama zwischen Bethlehem und Golgotha erlöst? Die Antwort von Menke: „Die Fähigkeit Gottes zur Selbst-Bindung an die Liebe hat nicht nur scheinbare, sondern wahre Freiheit geschenkt. Der biblisch bezeugte Bundes-Gott handelt nicht am Menschen ohne den Menschen, sondern mit ihm. Er begegnet ihm inkarnatorisch bzw. geschichtlich.“
Zum Ende des Referats wurde die eigene Position Menkes deutlich: „Das Dokument Dominus Iesus, das Papst Johannes Paul II. zur Jahrtausendwende von der Glaubenskongregation erstellen und publizieren ließ, beginnt mit einer scharfen Ablehnung des Relativismus und ruft ins Gedächtnis, was das Christentum des beginnenden dritten Jahrtausends unter allen Umständen festhalten muss, nämlich seinen Glauben an die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi und seinen Glauben an die Einzigkeit und Heilsuniversalität der Kirche.“ Wenn der Logos Gottes Fleisch geworden sei, dann könne und dürfe man ihn nicht beliebig interpretieren. „Dann sind die 33 Jahre des Lebens Jesu die Offenbarkeit Gottes selbst.“
Nichtchristliche Religionen könnten beitragen zur reflektierenden Erschließung des Christusereignisses; sie seien aber deshalb nicht alternative Heilswege. „Nur Christus hat für alle Menschen aller Zeiten etwas vollbracht, ohne das kein Sünder – ob Christ, Muslim oder Buddhist – aus dem Gefängnis seiner Sünde befreit wird.“
Wenn das Dokument Dominus Iesus nicht nur die Einzigkeit und Heilsuniversalität Jesu Christi, sondern auch die Einzigkeit und Heilsuniversalität der Kirche beschwörte, dann deshalb, weil niemand die Gnade des Erlösers empfangen könne, ohne Kirche sein zu wollen. „Wer die Taufe empfängt, muss bereit sein, selbst vergebendes und versöhnendes Mittel und Werkzeug Jesu Christi sein zu wollen.“
(Die Geschichte geht unten weiter)
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Wer die Eucharistie empfange, bekenne sakramental und also öffentlich und verbindlich seine Bereitschaft zum Christuszeugnis – nicht nach je eigener Façon, sondern durch seinen Schwur auf die von Papst und Ortsbischof repräsentierte Bekenntniseinheit der Weltkirche.
Wie ein Vermächtnis des erfahrenen Dogmatikers wirkten seine Schlussworte: „Der göttliche Logos – Fleisch geworden mit dem Christusereignis – ist Person, nicht Buch oder Gesetz. Die Heilige Schrift bezeugt die Wahrheit, ist sie aber nicht. Entsprechend die Dogmen: Sie bezeugen die Wahrheit, sind sie aber nicht. Weil die Wahrheit Christus, also eine bestimmte Person, ist, ist sie unendlich viel konkreter als jede Interpretation. Und: Weil die Wahrheit eine bestimmte Person ist, wird sie nicht von Schriften, Normen oder Dogmen repräsentiert, sondern von Personen – zunächst durch die Zwölf, deren Christuszeugnis kristallin geworden ist in den Schriften des Neuen Testamentes; dann von denen, die die Zwölf als Leiter (Bischöfe) der von ihnen gegründeten Ortskirchen autorisiert haben. Der einzelne Bischof kann nicht entscheiden, ob ein strittiges Christuszeugnis der Wahrheit entspricht oder nicht. Nur die Gesamtheit aller Bischöfe – personal repräsentiert vom Petrusnachfolger – kann solche Entscheidungen treffen. Wenn ein Papst verbindlich entscheidet, dann immer im Namen aller Bischöfe; nicht unabhängig von ihnen.“
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