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Von einem "Bruch" sprechen sollte man nicht – Ein Kommentar von Robert Spaemann

Professor Robert Spaemann

Meine kritischen Bemerkungen im Gespräch mit der Catholic News Agency (CNA) zur päpstlichen Exhortation "Amoris laetitia" haben lebhafte Reaktionen hervorgerufen, teils enthusiastische Zustimmung, teils Ablehnung. Die Ablehnung bezieht sich in erster Linie auf den Satz, die Anmerkung 351 stelle einen "Bruch mit der Lehrtradition der katholischen Kirche" dar. Was ich sagen wollte, war, dass einige Äußerungen des Heiligen Vaters in eindeutigem Widerspruch stehen zu Worten Jesu, zu Worten der Apostel sowie zu der traditionellen Lehre der Kirche.

Von einem Bruch sprechen sollte man allerdings nur dann, wenn ein Papst unter förmlicher Berufung auf seine apostolische Vollmacht eindeutig und ausdrücklich – also nicht beiläufig in einer Fußnote – etwas lehrt, was im Widerspruch zur genannten Lehrtradition steht. Der Fall ist hier nicht gegeben – schon deshalb nicht, weil Papst Franziskus Eindeutigkeit nicht liebt. Wenn er unlängst erklärte, das Christentum kenne kein "Entweder-Oder", stört es ihn offenbar nicht, dass Christus sagt: "Eure Rede sei ja – ja, nein – nein. Alles darüber hinaus ist von Übel." (Mt 5,37) Vom Entweder-Oder sind die Briefe des Apostels Paulus voll. Und schließlich: "Wer nicht für mich ist, der ist gegen mich." (Mt 12,30)

Papst Franziskus aber will nur "Vorschläge machen". Vorschlägen zu widersprechen kann nicht unerlaubt sein. Und widersprechen muss man ihm meines Erachtens energisch, wenn er in Amoris Laetitia  behauptet, auch Jesus habe nur "ein anspruchsvolles Ideal vorgeschlagen". Nein, Jesus hat geboten, "wie einer, der Macht hat und nicht wie die Schriftgelehrten und Pharisäer" (Mt 7,29). Er selbst verweist u. a. im Gespräch mit dem reichen Jüngling auf die innere Einheit der Nachfolge mit der Einhaltung der zehn Gebote (Lk 18,18-23). Jesus predigt kein Ideal, sondern stiftet eine neue Realität, das Reich Gottes auf Erden. Jesus schlägt nicht vor, er lädt ein und gebietet: "Ein neues Gebot gebe ich euch." Diese neue Realität und dieses Gebot stehen in enger Beziehung zu der mit den Mitteln der Vernunft erkennbaren Natur des Menschen.

Wenn das, was der Heilige Vater äußert, so wenig zu dem passt, was ich in der Schrift lese und was mir aus den Evangelien entgegenkommt, dann ist das also kein ausreichender Grund, von einem "Bruch" zu sprechen, und es ist erst recht kein Grund, den Papst, wie es leider Alexander Kissler tut, zum Gegenstand von Polemik und Spott zu machen. Als der heilige Paulus vor dem Hohen Rat stand, um sich zu verteidigen, und der Hohepriester aufforderte, ihn ins Gesicht zu schlagen, reagierte Paulus mit den Worten: "Gott wird dich schlagen, du übertünchte Wand." Aufmerksam gemacht darauf, dass es sich um den Hohenpriester handelte, sagte Paulus: "Brüder, ich wusste nicht, dass es der Hohepriester ist. Es steht ja geschrieben: 'Du sollst den Oberen deines Volkes nicht schmähen.'" (Apg 23;3,5) Kissler hätte sich, als er über den Papst schrieb, im Ton mäßigen sollen, auch wenn der Inhalt seiner Kritik zum größten Teil berechtigt ist. Durch die geistreiche Polemik wird er in seiner Wirkung eher beeinträchtigt.  

Der Papst hat sich beklagt, dass man, angestachelt durch die Medien, seinen zahlreichen Erörterungen zur alarmierenden Lage der Familie mehr oder weniger aus dem Wege geht, um sich an einer Fußnote zum Thema Kommunionempfang festzubeißen. Aber die vorsynodale öffentliche Debatte drehte sich nun einmal um dieses Thema, denn hier gibt es tatsächlich nur ein Ja oder Nein. Die Debatte wird nun fortgesetzt, und zwar ebenso kontrovers wie vorher, weil sich der Papst weigert, die diesbezüglich klaren Äußerungen seiner Vorgänger zu zitieren, und weil seine Antwort offenkundig so mehrdeutig ist, dass jeder sie zugunsten der eigenen Meinung interpretieren kann und interpretiert. "Wenn die Trompete einen unklaren Ton von sich gibt, wer wird dann zum Kampf aufbrechen?" (1 Kor 14,8) Wenn sich inzwischen der Präfekt der Glaubenskongregation gezwungen sieht, einen der engsten bischöflichen Berater und Ghostwriter des Papste öffentlich der Häresie zu bezichtigen, sind die Dinge eigentlich schon zu weit gekommen. Auch die römisch-katholische Kirche ist nicht grenzenlos belastbar.

Papst Franziskus liebt es, die Kritiker seiner Politik zu vergleichen mit denen, die "sich auf den Stuhl des Moses gesetzt haben". Aber auch hier geht der Schuss nach hinten los. Es waren ja die Gesetzeslehrer, die die Ehescheidung verteidigten und ein Reglement für sie tradierten. Die Jünger Jesu waren dann schließlich auch entsetzt über das strikte Scheidungsverbot des Meisters: "Wer mag dann noch heiraten?" (Mt 19,10) So wie die Leute, die wegliefen bei der Ankündigung des Herrn, sich zur Speise zu machen: "Diese Rede ist hart. Wer mag sie hören?" (Joh 6,60) Den Herrn "erbarmte des Volkes". Aber er war kein Populist. "Wollt auch ihr gehen?" (Joh 6,67) Diese Frage an die Apostel war seine einzige Reaktion auf den Anhängerschwund.

Dieser Text erscheint in der Zeitung "Die Tagespost", mit deren freundlicher Unterstützung CNA ihn hier publiziert.

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