Bratislava, 13 September, 2021 / 3:58 PM
Im Ringen mit dem Säkularismus sollte die Katholische Kirche auf die "Kreativität des Evangeliums" setzen, sowie auf Freiheit und Dialog – statt einen "defensiven Katholizismus" zu praktizieren: Das hat Papst Franziskus heute auf seiner Reise in der Slowakei gesagt.
In seiner Ansprache an Geistliche und Laien in der St. Martins-Kathedrale in der Hauptstadt Pressburg (Bratislava) am 13. September ermutigte der Papst die Katholiken, sich von den Heiligen Kyrill und Methodius inspirieren zu lassen, die die Bibel ins Slawische übersetzt haben.
"Ist es nicht das, was auch die Slowakei heute braucht? Ich frage mich. Ist dies nicht vielleicht die dringendste Aufgabe, vor der die Kirche vor den Völkern Europas steht: neue 'Alphabete' zu finden, um den Glauben zu verkünden", fragte er.
"Wir sind Erben einer reichen christlichen Tradition, doch für viele Menschen heute ist diese Tradition ein Relikt aus der Vergangenheit; sie spricht nicht mehr zu ihnen und beeinflusst nicht mehr die Art und Weise, wie sie ihr Leben leben."
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"Angesichts des Verlustes des Gefühls für Gott und der Freude am Glauben ist es sinnlos, sich zu beklagen, sich hinter einem defensiven Katholizismus zu verstecken, zu urteilen und die Schuld auf die schlechte Welt zu schieben. Nein, wir brauchen die Kreativität des Evangeliums".
Der 84-jährige Papst, der zum ersten Mal seit seiner Operation im Juli wieder ins Ausland reist, wirkte gelassen, als er seine Ansprache in der größten Kirche der Hauptstadt unterhalb der imposanten Pressburger Burg hielt.
Slowakische Bischöfe, Priester, Ordensleute, Seminaristen und Katecheten verfolgten über Kopfhörer eine Live-Übersetzung der Rede, die der Papst in italienischer Sprache hielt, wobei er immer wieder spontane Bemerkungen zu Themen wie dem russischen Schriftsteller Fjodor Dostojewski oder der Bedeutung kurzer Predigten machte.
Er sagte: "Das ist das Erste, was wir brauchen: eine Kirche, die gemeinsam gehen kann, die die Pfade des Lebens beschreiten kann und die lebendige Flamme des Evangeliums hochhält".
"Die Kirche ist keine Festung, kein Bollwerk, keine hohe Burg, die sich selbst genügt und auf die Welt da unten schaut", so Franziskus wörtlich.
"Hier in Bratislava haben Sie eine Burg, und sie ist schön. Aber die Kirche ist eine Gemeinschaft, die die Menschen mit der Freude des Evangeliums zu Christus führen will – keine Burg. Sie ist der Sauerteig von Gottes Reich der Liebe und des Friedens in unserer Welt".
Er sagte, die Kirche müsse sich bemühen, demütig zu sein wie Jesus.
"Wie groß ist die Schönheit einer demütigen Kirche, einer Kirche, die nicht abseits der Welt steht und das Leben mit einem distanzierten Blick betrachtet, sondern ihr Leben in der Welt lebt", sagte er.
"In der Welt leben, das dürfen wir nicht vergessen: teilen, zusammen gehen, die Fragen und Erwartungen der Menschen aufnehmen. Das wird uns helfen, aus unserer Selbstversunkenheit herauszukommen, denn das Zentrum der Kirche ... ist nicht die Kirche".
Er fuhr fort: "Wir müssen in das wirkliche Leben der Menschen eintauchen und uns fragen: Was sind ihre geistlichen Bedürfnisse und Erwartungen? Was erwarten sie von der Kirche? Ich halte es für wichtig, dass wir versuchen, auf diese Fragen zu antworten".
Er nannte drei Worte, die den Katholiken als Leitfaden dienen sollten: Freiheit, Kreativität und Dialog.
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Er stellte fest, dass viele Menschen Angst vor der Freiheit hätten: "Wir würden lieber damit zurechtkommen, indem wir das tun, was andere - vielleicht die Massen, die öffentliche Meinung oder die Dinge, die uns die Medien verkaufen - für uns entscheiden. Das sollte nicht sein. Und heute tun wir so oft die Dinge, die die Medien für uns entscheiden".
Er erinnerte an die biblische Episode, in der die Israeliten fragten, ob es besser sei, in Ägypten in Knechtschaft zu leben, mit einer Garantie für Zwiebeln, als erschöpft in der Wüste zu wandern.
Er bezog sich auch auf die Geschichte des Großinquisitors in Dostojewskis Meisterwerk "Die Brüder Karamasow", der Jesus dafür tadelte, dass er den Menschen die Freiheit schenkte, und darauf bestand, dass das, was sie brauchten, Brot sei.
Er sagte: "Manchmal kann sich diese Idee auch in der Kirche durchsetzen. Es ist besser, alles klar zu definieren, Gesetze zu befolgen, Sicherheit und Einheitlichkeit zu haben, als verantwortungsbewusste Christen und Erwachsene zu sein, die nachdenken, ihr Gewissen befragen und sich in Frage stellen lassen. Das ist der Anfang der Kasuistik, alles geregelt..."
"Im geistlichen und kirchlichen Leben können wir versucht sein, einen Ersatzfrieden zu suchen, der uns tröstet, statt das Feuer des Evangeliums, das uns aufrüttelt und verwandelt. Die sicheren Zwiebeln Ägyptens erweisen sich als bequemer als die Ungewissheiten der Wüste".
"Doch eine Kirche, die keinen Raum für das Abenteuer der Freiheit hat, auch nicht im geistlichen Leben, läuft Gefahr, starr und verschlossen zu werden. Manche Menschen mögen daran gewöhnt sein. Aber viele andere - vor allem die jüngeren Generationen - fühlen sich nicht von einem Glauben angezogen, der ihnen keine innere Freiheit lässt, von einer Kirche, in der alle gleich denken und blind gehorchen sollen."
Er fuhr fort: "Liebe Freunde, habt keine Angst, die Menschen zu einer reifen und freien Beziehung zu Gott zu erziehen. Diese Beziehung ist wichtig."
"Vielleicht entsteht dadurch der Eindruck, dass wir unsere Kontrolle, unsere Macht und unsere Autorität abbauen, doch die Kirche Christi versucht nicht, die Gewissen zu beherrschen und Räume zu besetzen, sondern sie will eine 'Quelle' der Hoffnung im Leben der Menschen sein."
Der Papst forderte Bischöfe und Priester auf, angesichts der rasanten Veränderungen im Land auf das Bedürfnis ihrer Schäfchen nach Freiheit zu achten.
"Aus diesem Grund ermutige ich Sie, dabei zu helfen, sie von einer starren Religiosität zu befreien", sagte er. "Steigen Sie da aus, und lassen Sie sie frei entfalten."
"Keiner sollte sich überfordert fühlen. Jeder sollte die Freiheit des Evangeliums entdecken, indem er schrittweise in eine Beziehung zu Gott eintritt, im Vertrauen darauf, dass er seine Geschichte und seine persönlichen Verletzungen ohne Angst oder Verstellung in seine Gegenwart bringen kann, ohne das Gefühl zu haben, sein eigenes Bild schützen zu müssen."
"Wir müssen sagen können: 'Ich bin ein Sünder', aber wir müssen es aufrichtig sagen und uns nicht auf die Brust klopfen und dann weiterhin glauben, dass wir gerecht sind. Freiheit."
"Möge die Verkündigung des Evangeliums befreiend sein, niemals unterdrückend. Und möge die Kirche ein Zeichen der Freiheit und des Willkommens sein."
Papst Franziskus erinnerte sich an einen Brief eines Bischofs, der sich über den Vertreter des Papstes in seinem Land beschwerte.
In dem Brief stand: "Wir waren 400 Jahre unter den Türken und wir haben gelitten. Dann 50 Jahre unter dem Kommunismus und wir haben gelitten. Aber die sieben Jahre mit diesem Nuntius waren schlimmer als die beiden anderen."
Der Papst kommentierte: "Manchmal frage ich mich: Wie viele Menschen können dasselbe über ihren Bischof oder ihren Pfarrer sagen? Wie viele Menschen? Nein, ohne Freiheit, ohne Vaterschaft geht es nicht."
Nachdem er über die Notwendigkeit von Kreativität nachgedacht hatte, appellierte Papst Franziskus an den Klerus, die Predigten auf etwa 10 Minuten zu begrenzen - ein Punkt, den er seit seiner Wahl im Jahr 2013 häufig angesprochen hat.
Der spontane Appell löste bei den Zuhörern Applaus aus. Als der Lärm abebbte, bemerkte der Papst, dass das Klatschen bei einer Gruppe von Nonnen begonnen hatte, die, wie er scherzte, "die Opfer unserer Predigten sind".
Um die Notwendigkeit des Dialogs zu betonen, verwies der Papst auf eine Episode aus dem Leben des slowakischen Kardinals Ján Chryzostom Korec, der 2015 verstorben ist. Als er den Namen des Kardinals erwähnte, erntete er erneut starken Beifall.
Der Papst sagte: "Er war ein Jesuitenkardinal, der vom [kommunistischen] Regime verfolgt, inhaftiert und zu Zwangsarbeit verurteilt wurde, bis er krank wurde. Als er zum Jubiläum des Jahres 2000 nach Rom kam, ging er in die Katakomben, zündete eine Kerze für seine Verfolger an und bat um Gnade für sie".
"Das ist das Evangelium. Das ist das Evangelium. Es wächst im Leben und in der Geschichte durch demütige und geduldige Liebe."
Vom 12. bis 15. September besucht Franziskus die slowakischen Städte Preßburg (Bratislava), Eperies (Prešov), Kaschau (Košice) und Maria Schoßberg (Šaštin).
Am ersten Tag traf sich der Papst laut Angaben des Vatikans auch privat mit einer Gruppe von Jesuiten.
Der heutige zweite Tag des Papstes in Bratislava ist Treffen mit politischen Autoritäten, katholischen Bischöfen und Geistlichen sowie der jüdischen Gemeinde gewidmet.
Danach fliegt Franziskus in den östlichen Teil des Landes. In Prešov wird er eine Göttliche Liturgie im byzantinischen Ritus feiern, und in Košice wird er sich mit der örtlichen Roma-Gemeinschaft treffen. Der Tag endet mit einer Begegnung mit jungen Menschen im Stadion von Košice.
An seinem letzten Tag wird er mit den Bischöfen in der Basilika von den Sieben Schmerzen Mariens in Šaštín – zu Deutsch Maria Schoßberg – beten, gefolgt von der Feier der Messe zum Festtag Unserer Lieben Frau von den Sieben Schmerzen.
Die slowakischen Bischöfe haben ein Logo für den Besuch sowie eine offizielle Webseite vorgestellt. Das Motto des Besuchs wird "Mit Maria und Josef auf dem Weg zu Jesus" sein.
In einem Interview mit dem spanischen Radiosender COPE, das am 1. September ausgestrahlt wurde, begründete der Papst seine Entscheidung damit, dass er lieber – so wörtlich – "kleine Länder" in Europa besuche.
"Jetzt steht die Slowakei auf dem Programm, dann Zypern, Griechenland und Malta. Ich wollte diese Entscheidung treffen: zuerst in die kleineren Länder. Ich war in Straßburg, aber ich war nicht in Frankreich. Ich bin wegen der EU nach Straßburg gegangen. Und wenn ich nach Santiago gehe, dann gehe ich nach Santiago, aber nicht nach Spanien, damit das klar ist", so der Papst wörtlich gegenüber dem spanischen Sender.
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