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Spiritualität und Psychologie: Mit seelischen Problemen richtig umgehen

"Teil des Problems ist, dass unsere Kultur so fixiert ist auf Medizin und Wissenschaft, dass wir uns von der Spiritualität entfernt haben – was viele Probleme verursacht".

Schon seit einiger Zeit belasteten Maria depressive Gedanken und Ängste, die sie aber nicht als solche erkannte. Wahrscheinlich weil sie erst 14 Jahre alt war.

Als sie ihre Probleme mit jemandem in ihrer katholischen Gemeinde teilte, sagte ihr die Frau, dass sie sich Sorgen mache, dass der Teufel in ihr arbeite, und übte Druck auf sie aus, an einer Woche Besinnungstage in einem anderen US-Bundesstaat teilzunehmen. 

"Natürlich sind Besinnungstage großartig", sagte Maria gegenüber CNA. "Aber ich brauchte zu dem Zeitpunkt einfach einen Therapeuten. Und ich bin mir sicher, dass ich gute Gründe hatte, kein Interesse am Kauf eines Flugtickets für Besinnungstage zu haben". 

Wenn Katholiken seelische Probleme haben, scheint die Lösung klar zu sein: Das Gespräch mit einem guten Priester suchen, zur Beichte gehen, beten und sich von einem geistlichen Begleiter beraten lassen. Doch die Grenze zwischen spirituellen und psychologischen Ursachen kann eine sehr unscharfe sein, sagen Experten. Manche kleinen Probleme können durch Gebet und Fasten etwa ins Lot gebracht werden. Aber nicht alles lasse sich "wegbeten", wie manchmal empfohlen werde.

Wenn einem Körper und Seele getrennt erscheinen

Dr. Gregory Bottaro ist Katholik und klinischer Psychologe am "CatholicPsych Institute". Psychologische Probleme zu "über-spiritualisieren", so seine Erfahrung, kommt relativ häufig vor – besonders und frommen Katholiken. 

"Überspiritualisierung ist heutzutage für gewöhnlich die Folge cartesianischen Dualismus'", so Bottaro in einem Email-Interview mit CNA.

"Der Philosoph Descartes sagte: 'Ich denke, also bin ich.' Er trennte das denkende Selbst vom körperlichen Selbst, und pflanzte so die Idee als Samen, die im heutigen Denken gereift ist, dass Körper und Geist getrennte Dinge seien. So zu tun, als würde der Körper keine Rolle spielen wenn wir über unser menschliches Dasein nachdenken – das ist genauso verzerrt, wie so zu tun, als würde der Geist keine Rolle spielen", sagte er.

Wegen dieses bestehenden Missverständnisses einer angeblichen Trennung von Geist und Körper verknüpften Menschen – Katholiken wie Nicht-Katholiken – ein Stigma damit, Hilfe für geistige Probleme zu suchen, was sie bei körperlichen Leiden nicht tun, so Dr. Bottaro.

"Wir sollten uns mit unserer geistigen Gesundheit genauso helfen lassen können wie unserer körperlichen. Es gibt gute Gründe für diese Spezialisierungen. Und genausowenig, wie wir alle körperlichen Wunden selber behandeln können, können wir auch nicht immer alle unsere geistigen Leiden behandeln. Es ist tugendhaft, sich seine Hilfsbedürftigkeit einzugestehen", so der katholische Experte.

Tugendhaft, aber nicht immer einfach. 

"Einfach beten"

Michelle Lippoli ist eine junge Katholikin, die sich sozial wie pastoral in der Kirche engagiert hat. Als die Mittzwanzigerin jedoch in eine neue Stadt zog, fühlte sich die lebhafte Frau einsam und isoliert.

"Ich fühlte mich als spirituelle Versagerin – denn sollte meine Beziehung mit Gott nicht reichen? Und doch kam ich von der Arbeit heim, und legte mich nur noch ins Bett und weinte. Es fiel mir schwer, mich für irgendetwas zu motivieren", sagte sie gegenüber CNA.

Als sie eine – ebenfalls kirchlich engagierte – Freundin anrief, sah Michelle Lippoli eine Gelegenheit, über ihre Situation zu sprechen und schilderte ihre Erlebnisse und Situation. "Ich weiß nicht mehr genau, was ich sagte, aber sie sagte mir, dass meine Gefühle sündhaft seien. Da habe ich innerlich zugemacht und ihr gesagt, ich hätte übetrieben. Ich erzählte ihr irgendeine Geschichte, wie gut dass es mir gehe".

Erst einige Monate später wandte sich Lippoli hilfesuchend an die "Catholic Charities", die ihr einen Therapeuten vermittelten. Wie sich herausstellte, litt sie an einer Bindungsstörung. Unbehandelt hätte diese zu einer schweren Depression führen können.

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Derek ist ein Katholiken in seinen Zwanzigern. Auch ihm sagten seine Freunde, er solle seine Probleme "wegbeten". Doch Derek litt an depressiven Phasen, während denen er nichts aß und 15 Stunden pro Tag schlief. Erst nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch erkannte er den Ernst seiner Lage und unterzog sich einer psychotherapeutischen Behandlung. 

Sarah ist ebenfalls eine junge Katholkikin und ehemalige FOCUS-Missionarin. Sie macht eine ähnliche Erfahrung. Monatelang beichtete sie ihre Selbstmordgedanken ihrem Beichtvater und geistlichen Begleiter. Dieser riet ihr zur Unterscheidung der Geister nach dem heiligen Ignatius von Loyola. Doch nach und nach wurden ihre Gedanken so intensiv und heftig, dass Sarah sich bei allen ihr zugänglichen Aufsichtspersonen meldete, und in einem Krankenhaus wegen Selbstmordgefährdung unter Beobachtung stand.

 "Ich denke, ein Grund dafür, dass so etwas passiert, ist, dass jemand, der für etwas Bestimmtes ausgebildet worden ist, damit versuchen wird, Probleme zu lösen", sagte Sarah gegenüber CNA.

"Wer spirituell gebildet ist, will ein Problem mit Spiritualität lösen. Und natürlich ist Spiritualität unabdingbarer Teil der Lösung. Aber man kann das nicht einfach wegbeten. Es geht um echte Probleme und echte medizinische Dinge. Menschen machen in ihrem Leben Erfahrungen, die sich abarbeiten müssen, spirituell wie psychologisch, und ein Priester oder Jugendseelsorger kann nicht beides leisten. Sie müssen Dich dabei unterstüzten jemanden zu finden, der hier helfen kann". 

Aus ihrer Erfahrung, sagte Sarah, führt eine Haltung, "Probleme wegzubeten" dazu, das negative Stigma, sich bei psychischen Problemen helfen zu lassen, noch zu verstärken. Wenn das Gebet allein nicht gereicht hat, fühlen sich manche wie spirituelle Versager – und in der eigenen Gemeinde gibt es viele, die sich von geistig Kranken distanzieren. "Da kann ich keine völlig funktionstüchtige junge Frau sein, die mit einem Problem umgeht und dabei Hilfe braucht", sagte sie. "Da heißt es einfach entweder: Ich bin ok –mir geht es gut – oder ich bin nicht ok."

Die Sicht eine katholischen Psychologen

Er sehe beide Enden des Spektrums in ungefähr gleicher Häufigkeit, sagt Dr. Jim Langley, Katholik und akkreditierter klinischer Psychologe bei "St. Raphael's" in Denver: Auf der einen Seite Menschen, die ihre über-spiritualisieren – und auf der anderen Seite solche, die psychische Probleme ohne Rücksicht auf die spirituelle Komponente anpacken.

"Teil des Problems ist, dass unsere Kultur so fixiert ist auf Medizin und Wissenschaft, dass wir uns von der Spiritualität entfernt haben, was viele Probleme verursacht", sagte der Psychologe.

Als Menschen mache unser Geist und unsere Seele einen Unterschied zum Rest der Schöpfung aus – und, so Dr. Langley, besonders anfällig für Angriffe des Bösen.

"Ich kenne einen Priester, der es so erklärte: Das Böse ist wie ein Saatkorn, und es will hinein, wie Bakterien in unseren Körper wollen. Und wie dringen Bakterien in uns ein? Durch unsere Verletzungen. Wenn wir also eine Schnittwunde in der Handfläche haben, dann wollen die Bakterien dort eindringen und uns infizieren. Auf der spirituellen Seite ist es ganz das gleiche. Da, wo wir die empfindlichsten Verletzungen haben, ist für gewöhnlich unsere Eigenwahrnehmung und unsere Psychologie, und da will das Böse an uns herankommen.

Menschen, die den spirituellen Aspekt psychologischer Probleme ignorieren, verschließen sich selber eines gesamtheitlichen Heilungsansatzes, fuhr Langley fort.

"Der Hauptgrund: Es ist wirklich Gott, der heilt. Und fast jedes psychologische Thema, mit dem man zu tun hat, wird eine spirituelle Komponente haben, denn es hat mit unserer Würde als Menschen zu tun.

Und auch wenn es herausfordernd sein könne, Menschen dazu zu bewegen, den Glaubensaspekt ihrer Probleme zu erkennen – genauso herausfordernd könne es sein, andere dazu zu bringen, zuzugeben, dass ihre spirituellen Herausforderungen auch eine psychologische Komponente haben können.

Manche frommen Katholiken würden lieber das erdulden, was sie als eine "dunkle Nacht der Seele" durchmachen, sagte Langley, als zuzugeben, dass sie depressiv sind und vielleicht Medikamente und Therapie bräuchten.

Katholiken, die besorgt sind die richtige psychologische Betreeung zu haben sollten einen katholischen Psychologen oder Psychiater aufsuchen, mit dem sie sowohl über den psychologischen wie den spirituellen Aspekt der Heilung sprechen können, betonte Langley.

Wer nicht aus katholischer oder spiritueller Perspektive arbeite, könne "einen recht guten Job machen – doch die machen Therapie mit einer Hand, weil ihnen eine ganze Reihe an Dingen fehlt, die Du tun kannst, um jemandem zu helfen".

Therapeuten, die nicht aus katholischer Sicht praktizieren, könnten auch unwillentlich Schaden zufügen. Beispielsweise könnten Männer, die pornografie-süchtig sind von einem säkularen Therapeuten gesagt bekommen, dass Pornografie eine gesunde Form körperlicher Erleichterung ermögliche. Oder Ehepaare, die eine Krise in ihrer Beziehung durchmachen, würden manchmal von säkularen Therapeuten dazu ermutigt, sich scheiden zu lassen.

Es sei wirklich eine falsche Unterscheidung, fuhr Langley fort, Probleme als rein spirituell oder rein psychologisch zu kategorisieren. Oft seien sie beides. Und erforderten daher auch sowohl psychologische wie spirituelle Behandlung.

Was muss sich ändern?

Die katholische Erfahrung mit Störungen und Krankheiten des Geistes ist unterschiedlich – in den USA wie im deutschsprachigen Europa. Manche Christen erleben mit der Diagnose eine Isolierung in ihrer Gemeinde, andere Unterstützung, Zusprache und Hilfe.

Langley sagte, dass er mit den meisten Geistlichen in seinem Umfeld eine gute Beziehung hat. 

"Die meisten Überweisungen kommen von Priestern", sagte der Psychologe. "Ich habe nur selten einen Priester erlebt, der davon überzeugt ist, dass es sich nur um ein spirituelles Problem handelt. Ich denke, Priester können sehr gut unterscheiden, wenn etwas eher psychologisch ist."

Zu seinen Lieblingspatienten rechne Langley solche, die sich sowohl psychologisch therapieren als auch geistlich begleiten lassen, erklärte der katholische Psychologe. Dadurch könne sich die Person in beiderlei Hinsicht weiter entwickeln und die richtige Balance finden.

Andere Experten finden, dass die Beziehung zwischen Psychologen auf der einen Seite und katholischen Seelsorgern besser sein könnte.

Ein eingetragener Ehe- und Familientherapeut aus Kalifornien, der für diesen Artikel aus rechtlichen Gründen nicht seinen Namen nennen wollte, betonte, dass Priester und Experten für geistige Gesundheit zusammen arbeiten sollten, um Betroffenen besser helfen zu können, sie aufzunehmen und darüber zu informieren, welche Ressourcen und Hilfe ihnen zur Verfügung steht. 

"Die Religionsgemeinschaften haben sich nicht großartig darum bemüht, für Menschen mit Geisteskrankheiten Unterstützung zu finden – und die Gemeinschaft der Dienstleister für psychische Gesundheit haben sich nicht großartig darum bemüht, sich den Religionsgemeinschaften verfügbar zu machen". 

Für betroffene Katholiken äußert sich dies oft in dem Wunsch, dass innerhalb der Kirche offener über das Thema gesprochen wird. "Ich habe nach mehr Unterstützung durch die Kirche gedürstet", sagte Erin, die mit Depressionen und Angstzustände ringt.

Für alle, die sich unsicher fühlen oder mit jemandem über Probleme reden wollen: Im deutschsprachigen Raum ist die kostenlose Telefonseelsorge für Sie da. Die Seelsorger sind offen für alle ernst gemeinten Anrufe. Sie hören zu und versuchen zu helfen. Kostenlos. 

In Deutschland unter Telefon 0800-1110111 oder 0800-1110222 – oder als Chat online.

In Österreich unter der Notruf-Telefonnummer 142 – oder auch als Chat online.

In der Schweiz hilft die "Dargebotne Hand" unter der Nummer 143 – oder auch online

 

 

 

 

 

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