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Warum – und wie – ist Polen so katholisch? Und was bedeutet dies für Europa? Ein Gespräch.

Im Gespräch mit Robert Rauhut: Erzbischof Wojciech Polak über Ursprünge, Gegenwart und Zukunft des Glaubens in Polen und Europa.

Die Kirche in Polen feiert in diesem Jahr viele Jubiläen: 1050-Jahre Taufe Polens, das Jahr der Barmherzigkeit und der Weltjugendtag in Krakau mit Papst Franziskus. Wer sich auf die Reise zu den Ursprüngen des Christentums in Polen begibt, kommt – neben Posen – an der Stadt Gnesen nicht vorbei. Robert Rauhut traf dort zum EWTN-Interview den Primas von Polen und Erzbischof von Gnesen, Wojciech Polak.

Erzbischof Wojciech Polak war in den Jahren 2011-2014 als Weihbischof Generalsekretär der polnischen Bischofskonferenz. Er ist nicht nur Hirte seines Bistums sondern trägt Verantwortung in zahlreichen Gremien in der polnischen Kirche. Er ist auch Mitglied im Päpstlichen Rat der Seelsorge für Migranten und Menschen unterwegs. Im Frühjahr dieses Jahres war er Mitgastgeber der großen Jubiläumsfeierlichkeiten aus Anlass der 1050-Jahrfeier der Taufe Polens, die gemeinsam von Staat und Kirche in Gnesen und Posen organisiert wurden.

Das Interview wird rund um den Weltjugendtag auf dem Fernsehsender EWTN ausgestrahlt. Weitere Informationen finden sie auf www.ewtn.de und krakau16.ewtn.de.

Herr Erzbischof, welche historische Bedeutung hat Gnesen für die Geschichte der Kirche in Polen?

Gnesen ist vor allem die erste Kirchenprovinz in Polen, die im Jahr 1000 hier, am Grab des heiligen Adalbert errichtet wurde. Bevor jedoch diese kirchliche Metropole entstanden ist, das heißt, bevor hierher der heilige Adalbert kam, bevor zum Grab des heilige Adalbert der Kaiser Otto III. und der Päpstliche Legat pilgerten, hatte Polen durch seine Taufe das Christentum angenommen, durch die Taufe des Fürsten Mieszko. Und, wie wir behaupten, hat er sich hier in Gnesen, in Großpolen, taufen lassen. Er war hier Herr über die Städte und Burgen, die er von seinen Vorgängern, seinen Vorfahren geerbt hat. Und hier in Gnesen, im Jahre 966 hat er die Taufe angenommen. Es ist uns bewusst, dass die historischen Belege sehr spärlich sind. Für uns, hier in Gnesen, sind aber auch die Worte von Johannes Paul II. sehr wichtig, der während seines ersten Besuches in Gnesen gesagt hat: Ich begrüße Polen, das hier vor 1000 Jahren getauft wurde. Das ist natürlich eine gewisse Annahme, dass die Taufe hier in Gnesen stattgefunden hat und nicht an einem anderen Ort in Großpolen. Nichtsdestotrotz liegen hier unsere Wurzeln.

Das polnische Wort "Nest" – gniazdo – und der polnische Stadtname für Gnesen – "Gniezno" sind auch sprachlich verwandt. Lässt diese sprachliche Verwandtschaft weitere Schlussfolgerungen zu?

Was den Stadtnamen betrifft, so bestätigt eine der möglichen Herkunftshypothesen in der Tat die Verwandtschaft mit dem Wort "Nest" (gniazdo). Mit Nest, also mit dem besonderen Ort, wo das Leben geboren wird, wo die Ursprünge einer Sache liegen. In diesem Sinne könnte man eine Analogie ziehen und sagen, dass in Gnesen alles begonnen hat. Das heißt, in Gnesen begann der Aufbau des Staates der Polanen und folgerichtig begann der Aufbau Polens. Und gleichzeitig begann in Gnesen dieses historische Abenteuer mit der Taufe Polens. Zuerst mit der Taufe von Mieszko, dann seiner Gefolgschaft, dann Polens. Und das führte zur Entstehung des gesamten Organisationsgefüges der Kirche im Jahr 1000, was ich bereits erwähnt habe.

Das ist die historische Dimension von Gnesen. Gnesen hat aber auch heute eine aktuelle Bedeutung für die Kirche in Polen. Worin besteht die Bedeutung Gnesens, neben der der Stadt Poznan?

Die heutige Bedeutung von Gnesen ergibt sich aus dem, was als ehrwürdiges Andenken in Gnesen aufbewahrt wird, aus den Reliquien des Heiligen Adalbert. Das Grab dieses Märtyrers – vergleichbar mit der Grabstätte des Heiligen Bonifatius in Fulda – stellt einen besonderen Ort dar, der die Polen geistig vereinigt. Selbstverständlich ist Gnesen auf dieser geistigen Landkarte Polens keine Ausnahme. Als der Heilige Johannes Paul II. 1979 zum ersten Mal als Papst Polen besuchte, hat er daran erinnert, dass durch Polen ein geistiger Weg verläuft. Der Weg nimmt seinen Anfang beim heilige Adalbert in Genesen, führt über Jasna Gora, den Hellen Berg in Tschenstochau, mit der Ikone der Schwarzen Madonna, der Königin Polens, und endet in Krakau, am Grab des Heiligen Stanislaus. Dies ist ein geistiger Weg, der diese drei Orte hervorhebt und zeigt, wie stark die drei Orte in der geistigen Geschichte Polens verankert sind. Der heilige Johannes Paul II. hat hierzu oft die folgende Analogie angeführt: der Heilige Adalbert gilt als Schutzpatron der Taufe Polens, das das Christentum angenommen hat… Um der historischen Präzision willen muss gesagt werden, dass der Heilige Adalbert selbst freilich keinen Einwohner von Gnesen getauft hat. Während seiner Mission hat er die Einwohner von Danzig getauft. Allerdings führte sein Weg über Gnesen und wir haben es dem Boleslaus dem Tapferen, dem ersten polnischen König, zu verdanken, dass sich die Perspektive der Evangelisierung für Polen eröffnet hat. Dazu wurde der heilige Adalbert auch bestimmt. Allerdings wurde sein Leichnam in Gnesen beigesetzt.

Wenn also der heilige Adalbert als Schutzpatron der Taufe der Polen gilt, so ist der heilige Stanislaus in gewissem Sinne der Schutzpatron unserer Firmung, das heißt des Glaubens, der angesichts einer konkreten Situation, in der er sein Leben hingegeben hat, zum Zeugnis wurde.

Und schließlich Jasna Góra, der Gipfel, die geistliche Hauptstadt Polens.

Wir sprechen von Gnesen als erster, historischer Hauptstadt Polens, während von Jasna Góra als von geistlicher Hauptstadt Polens gesprochen wird. Krakau gilt – unter Rückgriff auf diese Metaphorik und nach den heutigen Maßstäben – vor allem als die Hauptstadt der Barmherzigkeit.

Ich würde gerne noch einmal auf die Taufe Polens zurückkommen. Denkt der heutige Mensch an Taufe, so verbindet er diesen Gedanken – wenn er damit überhaupt etwas assoziiert – mit seiner eigenen, persönlichen Taufe. Wie können wir uns diesen Akt der Taufe Polens vorstellen? Wie sah er aus? Und welche Rolle – neben dem Fürsten Mieszko I. – hat seine Frau dabei gespielt?

Sie haben recht. Wir können im Grunde genommen nicht von der Taufe Polens sprechen, denn nach den Kategorien der Erfahrung war es die Taufe von Mieszko I. und seiner Gefolgschaft. Es handelte sich also um einen persönlichen Akt. Es war der Fürst Mieszko I., der sein Haupt unter das Taufwasser legte. Nicht eine ideelles Geschöpf, nicht ein ganzes Volk. Aber mit dieser Taufe begann die Gnadenkette, die Kette der Lichter Gottes, die Kette der getauften Menschen. In diesem Sinne sprechen wir – und ich glaube zurecht - von diesem Akt der Taufe, dass er gleichzeitig die Taufe Polens war. Das heißt, darin nimmt unsere Geschichte als Geschichte eines getauften Volkes ihren Ursprung. Eines Volkes, das sich dadurch den Beitritt zur civitas christana – den christlichen Völkern, den Völkern Europas verschafft hat. So können wir diese Taufe auslegen.

Die Gemahlin von Mieszko I., die böhmische Fürstin Dąbrówka, bzw. Dobrawa kam hierher zu Mieszko I. im Jahre 965. Dieses Datum geben die Krakauer Annalen an, in denen wir einen Satz lesen können: Dubrovka ad mesconem venit. Dąbrówka kommt zu Mieszko. Die Bedeutung ihrer Niederlassung, ihrer späteren Heirat mit Mieszko, ihrer Teilnahme an der Evangelisierung gibt eine symbolische Geste sehr gut wieder, die vor 50 Jahren zum Sacrum Poloniae Millenium, zum Jubiläum der 1000 Jahre Polens Stefan Kadinal Wyszyński, Primas des Millenniums, gemacht hat.  Er hat in der Kathedrale von Gnesen einen wunderschönen Strauß von weiß-roten Rosen in die Hand genommen, trug ihn in die Mitte der Kathedrale, wo sich das symbolische Grab von Dąbrówka befindet, und legte den Blumenstrauß darauf. Er zeigte dadurch, dass sie unsere Taufpatin ist. Man müsste es vielleicht sogar so sehen: sie war eigentlich die Vorreiterin der Evangelisierung in unseren Gebieten. Es war natürlich der Mieszko, der sich taufen ließ, sie kam hierher schon als Christin. Sie war wahrscheinlich diejenige, die ihm die Glaubenswahrheiten beigebracht hat. Ich glaube aber, sie hat vor allem sein Werk der Evangelisierung unterstützt. Nicht zuletzt ist das symbolische Grab von Dąbrówka in der Kathedrale von Gnesen ein Zeichen dafür.

Die Taufe Polens hatte nicht nur eine Bedeutung für die Kirche, sondern auch für die polnische Staatlichkeit. Eine wichtige Rolle spielte hier der heilige Adalbert. Welche Bedeutung hat der heilige Adalbert und sein Märtyrertod für die Kirche in Polen und in Europa?

(Die Geschichte geht unten weiter)

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Für die Kirche in Polen ist es ein Fundament, auf dem die erste hierarchische Struktur der Kirche in Polen entstanden ist. Damit meine ich den berühmten Akt von Gnesen um das Grab des heilige Adalbert, mit dem Kaiser Otto III., dem Päpstlichen Legaten, und die Gründung der ersten Metropolitankirche in Polen. Gnesen war lange Zeit die erste kirchliche Metropole in Polen, als zweites ist die Metropole Halitsch und Lemberg entstanden. Lange Zeit handelte es sich also um einen hierarchischen und geistigen Vorrang. Das ist die Bedeutung für die Kirche. Wir wissen aber auch, dass der Heilige Adalbert ein besonderer Schutzpatron des sich damals vereinenden Europas war. Er war ein – so könnten wir sagen – völlig europäischer Bischof. Geboren in Libice, war er Bischof von Prag, hielt sich ebenfalls auf dem Aventin in Rom, im Benediktinerkloster auf. Er war auch an unterschiedlichen anderen Orten – in Ungarn, pilgerte zum heilige Martin von Tours. Früher gab es noch Magdeburg und die Domschule, in der er seine Ausbildung erhielt – daher kommt übrigens der in nicht slawischen Sprachen verwendete Name "Adalbert", den er von dem ihn fördernden Bischof angenommen hat. Dieser Name – Wojciech/Adalbert verbindet und zeigt die historische europäische Tradition.

Man könnte also sagen, dass wir einerseits durch die Taufe den Völker Europas beigetreten sind. Ein konkretes Zeichen dafür ist nicht zuletzt das Dokument Dagome iudex, in dem Mieszko I. zum Ende seines Lebens dieses Gebiet dem Papst unterstellt. Dann, im Jahre 1025 kommt der erste polnische König Boleslau der Tapfere. Mieszko I. hat aber auch in diesem Sinne die Grundlagen für unsere Beteiligung an der europäischen Gemeinschaft geschaffen, indem er durch sein Leben, das Märtyrertum, die Reliquien, die sich in Gnesen befinden, die engen Verbindungen zum damaligen christlichen Europa zeigte.

Auf dem Aventin gibt es die Alexiuskriche, die ehemalige Benediktinerkriche im Zentrum vom Aventin. Dort pflegten die drei Freunde sich zu treffen: der heilige Adalbert, Kaiser Otto III. und der spätere Papst Silvester II. Die drei Freunde hatten einen sehr schönen Traum von christianitas, von einem christlichen Europa.

Wenn wir von der Evangelisierung Polens sprechen, dann ist die Richtung aus der sie kam – Süden oder Westen – nicht unbedeutend?

Ja, wir sind der Tradition der lateinischen Kirche, des westlichen Christentums beigetreten. Durch die Taufe und einen besonderen Verbund mit Böhmen hat sich Polen gegen die Wünsche der Kirchenmetropole Magdeburg verteidigt, die sich dieses Gebiet unterstellen wollte. Dank des Märtyrertods des heilige Adalbert, des weiten Horizonts von Otto III. und der weisen Voraussicht des Papstes Silvester II. entstand eine kirchliche Metropole auch hier, in Gnesen. Das hat der Kirche auf diesem polnischen Gebiet einen lokalen Charakter gegeben.

Das ist aber nicht typisch für die Evangelisierung von anderen slawischen Völkern?

Das stimmt. Die slawischen Völker, was den Einfluss der Kirchen angeht, waren geteilt. Ein Teil stand unter dem Einfluss des westlichen Christentums, aber auch Konstantinopel hatte Einfluss auf einen Teil dieser Völker. Kiew hat das Christentum von Byzanz angenommen. Mähren, das große Mährerreich stand unter dem Einfluss der Tradition von Kyrill und Method. Wieder hat dies Johannes Paul II. mit Hilfe eines Bildes, einer Metapher in Gnesen schön ausgedrückt: Europa atmet mit zwei Lungen, mit der westlichen und der östlichen Lunge.

Wenn wir von der Taufe sprechen, wird auch der gemeinschaftliche Aspekt angesprochen. Was ist die gemeinschaftliche Dimension der Taufe?

Die Taufe bedeutet die Eingliederung in Christus und in die Kirche. Die gemeinschaftliche Dimension der Taufe bezieht sich vor allem auf unsere Teilnahme an der Kirche. Die Taufe stärkt unsere Gemeinschaft mit der Kirche und dadurch werden wir zu lebendigen Mitgliedern der lebendigen Kirche. Die Getauften bilden eine Gemeinschaft. Und wieder hat es Johannes Paul II. bei seinem Besuch in Gnesen sehr treffend ausgedrückt: Wenn die Türen des Saales des letzten Abendmahls aufgehen und die Apostel in die Welt hinaus aufbrechen, kommt das Evangelium zu Ohren der Menschen in deren eigenen Sprachen. Auch hier, den Slawen, wurde das Evangelium in ihrer eigenen Sprache verkündet. Dadurch gibt die Taufe den Zutritt zu der christlichen Gemeinschaft und bildet sie.

Sie haben schon von dem Modell des christlichen Europa gesprochen, das in Gnesen in einer besonderen Weise zum Ausdruck kommt. Denken wir an den Akt von Gnesen, an die Reise des Kaisers Otto III. an das Grab des heilige Adalbert, so müssen wir zum Schluss kommen, dass sich der Glaube auch in der Kultur ausdrückt. Wie verstehen sich vor diesem Hintergrund die Gnesener Begegnungen, die an diese Idee anknüpfen?

Ja, das ist ein wunderschönes Erbe, das mein Vorgänger, Erzbischof Henryk Muszyński aufgegriffen hat. Im Jahre 1997, das heißt 1000 Jahre nach dem Märtyrertod des heilige Adalbert, hat er die Idee des Aktes von Gnesen, diese Grundlage für die christliche Einigung Europas, aufgegriffen. Dieses Jahr hat bereits die 10. Gnesener Begegnung stattgefunden – sie finden alle zwei, alle drei Jahre statt. Die Gnesener Begegnungen zeigen immer, dass wir an einen europäischen Gedanken anknüpfen wollen. So werden zum Beispiel die Geistigkeit von Europa, die Familie in Europa, die Einheit in Europa oder – wie es in diesem Jahr der Fall war – die neuen Anfänge in Europa – thematisiert, das heißt die auslösende Kraft des Christentums, die Europa aufbauen und mitgestalten kann. Diese europäische Botschaft für die Gnesener Begegnungen hat uns ebenfalls Papst Johannes Paul II. anlässlich der 1000. Jährung des Märtyrertodes des heiligen Adalbert im Jahre 1997 vermittelt. Damals hat er davon gesprochen, dass Mauern in Europa zwar fallen, aber wir manchmal Mauern zwischen uns Menschen errichten. Und er fügte hinzu, dass es keine Einheit Europas geben wird, solange sich diese nicht auf die Einheit des Geistes gründet. Dies sind die wesentlichen Aspekte, die wir bei den Gnesener Begegnungen umzusetzen versuchen.

Die Gnesener Begegnungen haben einen ökumenischen Charakter. Dies ist eine Begegnung der Katholiken – mehr noch – der Christen Mittelosteuropas. Sie haben deshalb eine große ökumenische und kulturbildende Bedeutung und sie greifen aktuelle, für Christen wesentliche Probleme auf.

Könnten Sie vor diesem historischen Hintergrund sagen, was das Spezifikum des polnischen Katholizismus ist?

Es ist immer schwierig Fragen zu beantworten, die der Autoreflexion bedürfen. Vielleicht können bessere Antworten diejenigen formulieren, die uns von außen beobachten. Dennoch fällt mir der Volkskatholizismus ein – auch im Kontext des letzten apostolischen Schreibens von Papst Franziskus, Evangelii Gaudium, in dem die Volksfrömmigkeit eine Aufwertung erfährt. Volkskatholizismus im tieferen Sinne. Es geht hier nicht um die oberflächlichen Formen der Volksreligiosität, sondern um eine gewisse Massenhaftigkeit, die eine Chance bildet. Verglichen mit ganz Europa wird Polen immer noch als ein Land betrachtet, in dem viele Menschen zur Kirche gehen, pilgern und an unterschiedlichen Formen des kirchlichen Lebens beteiligt sind. Diese Formen gehen nicht immer mit einer Vertiefung einher, sie sind aber sehr sichtbar. Deshalb glaube ich, dass es ein bestimmter Reichtum dieser besonderen Kirche ist.

Wir können uns – zumindest war es bisher so – über eine relativ große Anzahl von Berufungen zum Priestertum, zum gottgeweihten Leben freuen. Sie ist größer im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern. Dies ist auch eine besondere Spezifik dieser Kirche. Wir hoffen, dass die jungen Menschen hier diese besondere Berufung zum Priestertum, zum gottgeweihten Leben entdecken werden.  

Es ist auch eine Kirche an der Schnittstelle unterschiedlicher Kulturen und Traditionen. Ich würde hier auf das Jahr 2012 verweisen oder noch früher anfangen, mit dem Jahr 1965 und der Versöhnung zwischen den Deutschen und Polen. Von den aktuellen Ereignissen muss das Jahr 2012 erwähnt werden, in dem wir unseren Blick gen Osten gerichtet haben: die Versöhnung zwischen den Polen und Russen. Und schließlich kommt das Jahr 2013 und die Erklärung zwischen den Polen und Ukrainern. Dies zeigt, dass wir eine besondere Rolle zu übernehmen haben und als eine Art Brücke dienen können, die zwischen verschiedenen Völkern und Nationen verläuft.

Kann man sagen, dass die Kirche in Polen dem Volk, den Menschen sehr nahe steht? Im westlichen Europa wird die private Dimension des Glaubens sehr stark unterstrichen. Ist ein besonderes Engagement der getauften Menschen im Staat und in der Kirche in Polen zu spüren? Wie sieht es aus?

Polen ist natürlich keine isolierte Insel. Auch in Polen finden alle Prozesse statt, die im heutigen Europa zu beobachten sind. Darunter auch die "Privatisierung des Glaubens", die Individualisierung von Überzeugungen, Säkularisierungsprozesse. Das alles bezieht sich auf Polen genauso, vielleicht nicht in solchem Ausmaß, wie es in den anderen Ländern der Fall ist. Gleichzeitig – was die Nähe zum Volk, zu den Menschen angeht – muss unterstrichen werden, dass diese Tradition schon immer da war. Sie war besonders stark in den Jahren, in denen Polen zwischen den drei Teilungsmächten, Russland, Preußen und Österreich-Ungarn,  geteilt war. Unter den Teilungsmächten galt eben die Kirche als eine der die Polen vereinigenden Kräfte. Es gab keine staatlichen Strukturen, keine polnische Staatsmacht. Dafür gab es die Kirche, die vereinigt hat – einerseits in der religiösen Dimension, andererseits in der gesellschaftlichen Dimension. Die letztere zeigte sich durch das Engagement der Kirche in die Errichtung von gesellschaftlichen Organisationen, Gemeinschaften. Dieser Erfahrungsschatz unterlag nach dem Zweiten Weltkrieg, in den kommunistischen Zeiten, deutlicher Zerstörung. Wir verfügen deshalb über keine Erfahrungen, die aus diesen älteren Zeiten aufrechterhalten worden wären. Immerhin kommt es zum Wiederbeleben von verschiedenen Tätigkeitsformen der getauften Menschen in der Gesellschaft. Gemeint sind sowohl Katholiken, die in verschiedenen gesellschaftlichen Vertretungsgremien ihre Stimme hören lassen – es handelt sich um Gremien, die in Diözesen gegründet werden aber auch um solche Bewegungen wie die Katholische Aktion, die sich zu gesellschaftlichen Angelegenheiten äußern. Natürlich, wenn wir von konkreten politischen Wahlen sprechen, von individuellen politischen Wegen, müssen wir immer daran denken, dass die Kirche keine politische Partei darstellt. Gemäß der katholischen Soziallehre gibt es eine Vielfalt von Wegen, die von Christen eingeschlagen werden. Was sie verbindet ist das gemeinsame Gut, das gemeinsame Ziel. Es ist heute sehr wichtig, dass die Kirche nicht eine politische Position einnimmt, sondern daran erinnert, dass wir verpflichtet sind für unser gemeinsames Gut zu sorgen, unsere Realität gemeinsam zu gestalten.

Inwieweit unterscheidet sie die heutige Jubiläumsfeier der Taufe Polens, im freien Polen, von der Jubiläumsfeier vom Jahre 1966, die zu kommunistischen Zeiten stattfand?

Im Jahre 1966 handelte es sich um eine Art Konkurrenzfeier. Den kirchlichen Feiertagen unter der Leitung von Stefan Kardinal Wyszyński ging eine Novene für die Taufe Polens voraus. Dieser Feier wurde die kommunistische Feier des 1000-jährigen Jubiläums des polnischen Staates gegenübergestellt, die parallel stattfand. Diese Feierlichkeiten wurden des christlichen Charakters und Ursprungs vollständig beraubt. Sichtbar war dieser parallele Verlauf an zentralen Plätzen polnischer Städte – in der Kathedrale hat der Priester den Gottesdienst zu 1000 Jahren der polnischen Taufe gehalten, während am zentralen Platz die kommunistischen Würdenträger von 1000 Jahren des polnischen Staates feierlich gesprochen haben. Die Bevölkerung war sehr geteilt und gespalten. Nicht selten geschah es, dass die Bevölkerung im Anschluss an die verstummten Reden der Parteivertreter spontan in die Kirche floh und die Blumen, die für die kommunistischen Parteibonzen bestimmt waren, zu der Ikone der Gottesmutter von Tschenstochau trug, die damals als Kopie auf Pilgerreise durch ganz Polen war. Die Stimmung war sehr gespannt und die Maßnahmen zielten auf antagonisierende Effekte ab, es ging um eine Gegenüberstellung.

Nach den 50 Jahren leben wir in einem anderen Staat, im freien Polen. Die Kirche und der Staat wollen diese Feier gemeinsam begehen, ohne dass die eine oder die andere Seite das

Monopol für sich beansprucht, sondern indem wir zusammen unser gemeinsames Erbe betonen.

Herr Erzbischof, lassen Sie mich kurz auf die tausendjährige Feier der Taufe Polens im Jahre 1966 zurückkommen. Eine wichtige Bedeutung spielte damals die sog. Novene von 1966. Was war das für ein Gebet und welche Bedeutung hatte es?

Als Primas Stefan Wyszynski in den Jahren 1953-1956 inhaftiert war, hat er in Komańcza, an dem Ort seiner Haft, überlegt, wie man die Polen, das polnische Volk auf das Millennium der Taufe Polens vorbereiten könnte. Er hat ein Seelsorgeprogramm aufgestellt, in dem es hieß, dass sich die Kirche in Polen jedes Jahr auf einen anderen Aspekt des kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens konzentrieren sollte, so dass die Gläubigen in dieser Weise auf die Danksagung im Jahre 1966 für die Tausend Jahre vorbereitet werden. Die Novene war auch eine Art Gewissenserforschung. Die Absicht des Primas war es, dass die Novene eine Vorbereitung darstellt, die das innere Leben der Menschen, das Herz anspricht, so dass das Jubiläum nicht nur eine Danksagung bleibt, sondern auch ein Geständnis ist, dass wir oftmals Gott nicht treu waren, dass wir um Verzeihung bitten müssen. Dies sollte auch eine Aufforderung zur Bekehrung, Vergebung und Versöhnung sein. Dies bezog sich sowohl auf das Familienleben, die Ehe, unser Verhältnis zum Leben an sich, aber auch auf die Treue gegenüber Gott, gegenüber der eigenen Berufung, auf die Einhaltung von Gottes Geboten. Das letzte Jahr der Novene war der Gottes Mutter gewidmet – im Zentrum stand also die für Polen typische Marienverehrung. All das sollte uns auf die Feier des Millenniums der Taufe Polens vorbereiten.

Das waren kommunistische Zeiten. Wie hat sich die Kirche in Polen nach 1989 verändert?

Es handelt sich sicherlich um eine neue Realität – zumindest deshalb, weil die Kirche in einem freien Staat funktioniert. Die Kirche darf unterschiedliche Werke durchführen, Strukturen aufbauen, die Evangelisierung vornehmen, seelsorgerische Maßnahmen ergreifen. Ein eindeutiger Maßstab für die eingetretenen Änderungen ist der Abschluss des Staatskirchenvertrags, der Apostolische Nuntius in Polen und konkrete Maßnahmen, durch die die Kirche ihre evangelisatorische Aufgabe realisieren kann. Diese Tätigkeit kann die Kirche heute frei betreiben, deshalb sollte die Kirche auch immer kreativer werden, das heißt den aktuellen Herausforderungen begegnen. Vergleichen wir die heutige Zeit mit den Vorbereitungen auf das Millennium der Taufe, so sehen wir, dass die Kirche heute von einer besonderen Novene absah. Dafür haben wir ein ganz konkretes seelsorgerisches Programm realisiert, das in jedem von uns diese Dynamik der Taufe vor dem 1050-jährigen Jubiläum beleben sollte.

Die Jubiläumsfeier zu 1050 Jahren der Taufe Polens wurde sehr würdevoll begangen. Die Feier an sich ist aber schnell vorbei – es bleibt die Frage, welche Bedeutung hat dieses Jubiläum für uns alle heute?

Vor allem wollten wir auf die Tatsache zurückgehen, dass wir getauft sind und überlegen, was das für Konsequenzen für heute hat. Die meisten von uns werden als kleine Kinder getauft. Wir werden nicht – wie es früher der Fall war – über das Katechumenat auf die Entscheidung über die Annahme der Taufe vorbereitet. Deshalb muss heute dieses Katechumenat akzentuiert werden, das nach der Taufe stattfindet –  das Nach-der-Taufe-Katechumenat. So dass die Menschen in Pfarrgemeinden – nicht nur in katholischen Bewegungen, Vereinen, wo dieser Gedanke etwas lebendiger ist, sondern gerade in Pfarrgemeinden – diese Bewusstheit des Getauftseins entwickeln und überlegen, welche Folgen es für uns hat. So dass sie sich angespornt fühlen, Zeugen Christi zu sein, Christus in allem mit Mut zu verkünden, den eigenen christlichen Glauben in der umgebenden Realität zu leben, in der wir arbeiten, uns erholen. In der Realität unseres Lebens. Gerade diesen Aspekt wollten wir mit unseren Maßnahmen ansprechen, so dass das 1050-jähriges Jubiläum der Taufe gerade dazu anspornt.

Die Person, die diesen Weg zum freien Polen und auch zum Jubiläum ebnete, war Stefan Kardnal Wyszyński, Primas des Millenniums, dessen Rolle Sie bereits angesprochen haben. Vielleicht könnten Sie unseren Zuschauern die Bedeutung dieses Kardinals für die Kirche in Polen zu kommunistischen Zeiten erläutern?

Diese Bedeutung drückt am besten die Bezeichnung "Primas des Millenniums" aus. Einen solchen Primas gibt Gott einmal pro Tausend Jahre. Vielleicht gerade in diesen besonders schwierigen Situationen, die unter dem kommunistischen Regime stattfanden. Ohne Zweifel war er ein ungebrochener Bischof. Ein mutiger Bischof. Wie auch die anderen Kardinale, zum Beispiel Kardinal Stepinac in Kroatien, Kardinal Mindszenty in Ungarn oder Karinal Beran in Tschechien musste Kardinal Wyszyński auch gegen den Kommunismus kämpfen. Er wurde drei Jahre, von 1953 bis 1956 gefangen gehalten. Seine Rolle war auch die eines Vaters, sowohl für die Kirche als auch für die Nation. Er war ein Mensch von einer einzigartigen Perspektive: von 1949 bis zu seinem Tod im Jahre 1981 hat er sowohl das Amt des Primas von Polen, des Vorsitzenden der polnischen Bischofskonferenz als auch oft – aufgrund des bestehenden Eisernen Vorhangs – das Amt des Päpstlichen Legaten ausgeübt. In der letzteren Eigenschaft war er mit den besonderen Befugnissen ausgestattet – ich denke hier an die Bischofsnominierungen, die der Primas vorbereitet hat. Er beeinflusste also die Gesamtgestalt der Kirche in Polen. Gleichzeitig war er Bischof in zwei Diözesen, in Gnesen und in Warschau. Er erfüllte also auch seine Aufgaben als Bischof, der für seine Diözesen sorgt. Aus dieser Zeit stammt das Werk der Erneuerung des geistigen Lebens in den Diözesen aber auch der Wiederaufbau der im Krieg zerstörten Kathedralen in Warschau und in Gnesen. Das alles geschah in der Amtszeit von Primas Wyszyński. Hierunter fällt auch das große Werk der Errichtung vieler neuer Kirchen, denn Primas Wyszyński war in einer besonderen Weise um die Entwicklung der Seelsorge in den Diözesen besorgt.

In dem Raum, in dem wir unser Gespräch führen dürfen, steht eine Büste vom wohl bekanntesten polnischen Heiligen, dem heiligen Papst Johannes Paul II. Auch der Balkon, der aus dem Zimmer führt, ist wichtig. Welche Bedeutung hatte Johannes Paul II. für Gnesen?

Er hat sich in diesem Haus mehrmals aufgehalten, vor allem als Bischof von Krakau, immer wenn er zu den Feierlichkeiten zu Ehren des heilige Adalbert kam. Das ist schon eine Tradition, die bis heute aufrechterhalten blieb, dass der Bischof von Krakau zum Patronatsfest des heilige Adalbert hier auch anwesend ist. Zu Zeiten des Stefan Kardinal Wyszyński, war der Bischof von Krakau oft Hauptzelebrant bei dem Patronatsfest, hielt Predigten, war also keinesfalls eine unbekannte Person in Gnesen. Und selbstverständlich als er im Jahre 1979 zum ersten Mal als Papst nach Polen kam, begann er seine Pilgerreise – natürlich ging es zuerst nach Warschau, der Hauptstadt Polens – in Gnesen. Dies, weil – wie er sagte – von Gesen, über Tschenstochau nach Krakau ein geistiger Weg führt. Ein geistiger Weg der an der Taufe Polens ansetzt, über unsere marianische Frömmigkeit geht und zum Märtyrertod des heilige Stanislaus führt. Auf dem Balkon, den Sie angesprochen haben, hat Johannes Paul II. während seines Treffens mit Jugendlichen in Gnesen 1979 gestanden. Am 3. Juni gegen Abend hat er hier eine wundervolle Katechese über das älteste polnische Liedgut, auch die erste polnische Nationalhymne "Bogurodzica" (Gottesgebärerin) gehalten. Vor dem Hintergrund dieser Katechese entwickelte sich auch ein Dialog mit den Jugendlichen. Deshalb sagen wir mit einem gewissen Schmunzeln aber auch nicht allzu sehr zu Unrecht, dass der Papst den Weltjugendtag gerade in Gnesen begründet hat, an jenem Abend, an dem er sich mit einer wirklich sehr großen Gruppe von Jugendlichen getroffen hat.

Er kam noch einmal nach Gesen, im Jahre 1997, zum tausendjährigen Jubiläum des Märtyrertodes des heilige Adalbert. Er kam nicht alleine. Zusammen mit ihm trafen hier sieben Staatspräsidenten des damaligen Europa zusammen. Und hier, im Erzbischöflichen Palais, in Gnesen fand ein historisches Treffen von Papst Johannes Paul II. mit sieben europäischen Staatsoberhäuptern statt, vereinigt um und durch die Idee des vereinigten Europa, die sich aus der Botschaft des heilige Adalbert ergibt.

Welche aktuelle Botschaft für die Kirche in Polen und in Europa, für einen jeden von uns verbindet sich mit der Person des heilige Papstes Johannes Paul II.?

Für mich sind es die Worte: Man kann den Menschen nicht ohne Christus begreifen; der Mensch kann sich selbst nicht im letzten ohne Christus verstehen. Er kann ohne Christus weder begreifen, wer er ist, noch welche seine Berufung und was seine Bestimmung ist.

Zum Zweiten: der Mensch ist der Weg der Kirche. Dass das allergrößte Interesse der Kirche dem Menschen gilt, seiner christlichen und menschlichen Würde, seiner Entwicklung. All das, was die Kirche auch zum Werkzeug Gottes macht, das den Menschen mit Gott und die Menschen untereinander vereinigen sollte.

Und schließlich auch der Missionsauftrag vom Papst Johannes Paul II., die Öffnung für die ganze Welt. Man kann also sagen, Papst Johannes Paul II. hat uns beigebracht, die Universalität der Kirche zu spüren. Zum einen durch seine unzähligen Pilgerreisen, aber auch durch seine Worte, die er an die ganze Welt gerichtet hat, an die Kirche an jedem Ort und zu jedem Zeitpunkt.

Ich hätte auch eine etwas persönliche Frage: wie erinnern Sie sich persönlich an die Treffen mit Papst Johannes Paul II.?

Meine ersten Begegnungen mit ihm gehen auf meine Studienzeit zurück. Als ich in den 90er, Anfang der 90er Jahre in Rom studierte, hatte ich die Möglichkeit den Papst – zusammen mit anderen Studierenden des Päpstlichen Polnischen Kollegs – zu treffen. Wir trafen ihn beim Gottesdienst oder konnten mit ihm in der Päpstlichen Bibliothek kurz sprechen. Der Papst interessierte sich für unsere Fortschritte im Studium, dafür, was wir studieren, woran wir forschen. Das waren sehr freundliche, durch väterliches Interesse geprägte Begegnungen. Später verbanden sich die Begegnungen mit meinen Aufgaben als Bischof – es war Papst Johannes Paul II., der mich 2003 zum Weihbischof von Gnesen ernannt hat. Zu 25 Jahren Pontifikat von Johannes Paul II. konnte ich mich auf dem Petersplatz in Rom in einem kurzen Gespräch mit ihm für diese Ernennung, für diesen Auftrag, den ich bekommen habe, hier in Gnesen Bischofsaufgaben erfüllen zu dürfen, bedanken. Das waren die besonderen Augenblicke für mich. Zu diesen Augenblicken zähle ich auch die Beerdigungsfeier von Papst Johannes Paul II. im Jahre 2005, an der ich auch teilgenommen habe. Ich durfte ebenfalls an der Seligsprechung und Heiligsprechung des Papstes teilnehmen. In einer besonderen Weise behalte ich in den Gedanken die Beerdigung und die betenden Menschenmengen, und die Ausrufe von vielen, "Santo subito", sofortige Heiligsprechung.

Woran war für Sie die Heiligkeit des Papstes erkennbar?

Ich habe den Papst als Menschen wahrgenommen, der in Christus sehr tief verankert ist. Ich kann mich noch an ein Ereignis aus dem Anfang der 90er Jahre erinnern. Es war, wie wir wissen, die Zeit der Balkankonflikte, des Balkankrieges. Mit anderen Priestern haben wir mit dem Papst zusammen gebetet und den Gottesdienst zusammen gefeiert. Und als die Messfeier zu Ende war, kam Kardinal Dziwisz, der Päpstliche Sekretär, auf uns zu und sagte – der Papst kommt gleich zu Ihnen, um sie zu begrüßen. Seien Sie aber bitte so nett und halten sie den Papst zum Gespräch nicht zu lange an, denn der Papst ist sehr betroffen. Er leidet. Wir haben heute Nacht die Nachricht bekommen über die Konzentrationslager auf dem Balkan, über tausende Tote, über den Mord, der dort stattfindet. Und als der Papst auf seinem Weg aus der Kapelle hinaus war, habe ich in ihm einen Menschen gesehen, der das Kreuz trägt, der mit Leiden belastet ist, einen Menschen, der all die Sünden der Welt – sozusagen – in sich einsammelt und sie wie Christus, wie der Erlöser, trägt. Er schien mir in einer besonderen Weise mit Christus vereinigt, bis zu den letzten Augenblicken, die wir verfolgen konnten, bis zum Karfreitag, an dem wir im Fernsehen gesehen haben, wie er das Kreuz an sich drückt, ohne ein Wort mehr sagen zu können.

Der heilige Johannes Paul II., ein großer Heiliger aber auch ein großer Verkünder der Barmherzigkeit Gottes, die mit Krakau, mit Łagiewniki aber auch mit der Schwester Faustyna Kowalska im Zusammenhang steht. Was ist der Kern dieser Botschaft, ihr wesentlicher Aspekt für die Kirche und die Menschen heute?

Das hat auch Papst Johannes Paul II. auf den Punkt gebracht, als er 2002 die Basilika der Barmherzigkeit in Łagiewniki, in Krakau geweiht hat. Er hat uns alle damals dazu aufgefordert, nach der Vorstellung der Barmherzigkeit vorzugehen. Das heißt, dass wir, die die Barmherzigkeit Gottes erfahren und wollen – und das sagt auch Papst Franziskus genauso – barmherzig wie der Vater sein sollen. Diese Vorstellung der Barmherzigkeit hat uns Papst Johannes Paul II. auch durch seine verschiedenen Gesten gegenüber den Kindern, den Ungeborenen, den Kranken, den Jugendlichen beigebracht, gegenüber den Menschen, die diese Barmherzigkeit brauchen. Dies ist nach meiner Einschätzung die wichtigste Botschaft, die aus Krakau kommt. Nach der heiligen Faustina wird wiederholt, dass von hier aus ein Funke der Barmherzigkeit hervorgeht, der die ganze Welt anzündet. Und zwar so anzündet, dass wir diese Barmherzigkeit leben.

Die Barmherzigkeit ist mit der Vergebung, mit der Bewusstheit der Sünde und mit der Bekehrung verbunden. Wir haben in den westlichen Ländern das Problem, dass viele Menschen am Gottesdienst nicht teilnehmen, zur Beichte nicht gehen wollen. In Polen sieht es anders aus. In Polen nehmen viele an Gottesdiensten, am Sakrament der Beichte teil. Wie können diese Unterschiede erklärt werden?

Während des letzten ad-limina-Besuches der polnischen Bischöfe bei Papst Franziskus war die erste Frage des Papstes in einem brüderlichen Gespräch mit uns: gehen Menschen in Polen noch zur Beichte? Als wir bejahend geantwortet haben, dass die Beichte für einen großen Teil der Menschen in Polen wichtig ist, hat er gesagt: das ist eine sehr wichtige Sache. Sie müssen als Bischöfe die Versöhnung, die Vergebung verkünden und zur Teilnahme am Beichtsakrament ermuntern. Im Laufe des Jahres der Barmherzigkeit hat uns der Papst Franziskus in einfachen und klaren Worten mehrmals daran erinnert, dass Gott nicht müde wird, zu vergeben. Wir sind es, die es müde werden, um Vergebung zu bitten. Vielleicht kommt der heutige Mensch zur Überzeugung – und das nicht nur im Westen, sondern in vielen anderen Ländern, auch in Polen – dass, es nicht mehr nötig ist, immer wieder um Vergebung zu bitten. Ich glaube, das ist mit der Überzeugung verbunden, dass der Mensch heute mit seinem Leben alleine ausgezeichnet zurechtkommen kann und in der Tat verzeichnet der Mensch in der Technik große Erfolge. Er verliert aber sehr oft dabei das Wesentliche, das heißt die Selbstbesinnung, diesen tieferen Blick, diesen Blick durch das Prisma des Glaubens, der ihn zur Bekehrung auffordert. Deshalb glaube ich, dass die Aufforderung zur Evangelisierung, zur neuen Evangelisierung – auch im Sinne des Apostolischen Schreibens Evangelii Gaudium von Papst Franziskus – in diese Richtung geht, damit Menschen angespornt werden, sich für das Evangelium zu öffnen. Öffnet sich der Mensch für das Evangelium, für Christus, lebt er es, so wird in ihm das Bedürfnis nach Versöhnung, nach Bekehrung erwachen, auch eine tiefere Vereinigung, Communio, mit Christus bei der Eucharistiefeier.

In dem letzten Teil unseres Gesprächs möchte ich den Blick auf Krakau, auf den Weltjugendtag werfen. Sie haben bereits angesprochen, dass sich der Heilige Vater zum ersten Mal eigentlich hier, in Gnesen, mit den Jugendlichen getroffen hat. Das war sozusagen der erste Weltjugendtag. Ganz in der Nähe von Gnesen befindet sich der See von Lednica, an dem die Begegnungen von Lednica stattfinden, die auch einen kleinen – wobei bei mehreren Zehn Tausend Menschen sind sie gar nicht so klein – Jugendtag darstellen. Was sind die Lednica-Begegnungen, welche Bedeutung haben sie heute für die jungen Menschen in der Kirche?

Die Geschichte von Lednica ist mit Gnesen verbunden. Nicht nur, weil Lednica im Gebiet des Erzbistums Gnesen liegt – es ist in der Tat so, es ist ein Gebiet des Erzbistums Gnesen, auf dem die Dominikanerpater ihre Aufgaben erfüllen. Die Verbindung ist auch dadurch erstellt, dass die Idee der Lednica-Begegnungen 1997, also zum 1000-jährigen Jubiläum des Märtyrertodes des heilige Adalbert entstanden ist. In diesem Jahr war es, dass die Jugendlichen, die am Lednica-See versammelt waren, nach Gnesen pilgerten, um dort den Papst zu treffen. Auch damals war es, als der Papst – auch wenn er bei der Lednica-Begegnung persönlich nicht erschien – in seinem Hubschreiber die dort versammelten Jugendlichen umkreiste. Die Jugendlichen konnten dabei eine besondere Vereinigung mit dem Papst spüren. Die Lednica-Begegnungen finden jedes Jahr statt und sind nach meiner Meinung sehr wichtig für die Kirche in Polen, weil sie Jugendliche mit ihrer unterschiedlichen Sensibilität verbinden. Präsent sind dort das Gebet, das Sakrament der Buße, die Überlegungen zum Geheimnis der Berufung, aber zu sehen ist da auch eine Reihe von Bildern, denn bei den Lednica-Begegnungen wird der Glaube in Bilder übersetzt, in schöne Bilder. Bilder des Glaubens aber auch Bilder der Musik, Bilder des Theaters, der Gemeinschaft, des Tanzes, des Gesangs. Auf diese Weise wird der Glaube – so wie es sich der heilige Johannes Paul II. gewünscht hat – zur Kultur. Zur Kultur dieser jungen Menschen, die heutzutage womöglich in ganz anderen Kulturen verankert, die auf diese Weise die Tatsache entdecken, dass sie getauft sind und dass sie als Kirche eine Gemeinschaft bilden können. Das ist für uns ein großer Schatz, den wir jedes Jahr hier sehen können.

Von Lednica gehen wir nach Krakau. Es sind Tausende, Hunderttausende junge Menschen, die nach Krakau, nach Polen kommen. Es wird eine große Glaubensfeier, eine große Freude und die Erfahrung der Gemeinschaft im Glauben sein. Was werden die Jugendlichen, die hierher aus aller Welt kommen, aus Polen, insbesondere im geistigen Sinne, nach Hause mitnehmen können, von der polnischen Gastfreundschaft, von der polnischen Spiritualität, von der polnischen Religiosität?

Wir hoffen, dass die Jugendlichen die zu uns kommen, von dem gestärkt nach Hause zurückkehren, was unseren Reichtum bildet. Also – wie Sie erwähnt haben – von unserer Gastfreundschaft, unseren offenen Herzen und offenen Häusern. Aber auch dass sie die Offenheit unserer Pfarrgemeinden erfahren, die reiche Palette an Gemeinschaften, Bewegungen, Treffen. Wir wissen ja, dass vor Krakau noch die Missionswoche in Diözesen stattfindet. Das ist eine große Chance dafür, dass wir als Kirche uns vorstellen und ein Angebot für Jugendliche aus aller Welt unterbreiten. Gleichzeitig wird in Polen sehr auf die Zeugnisse dieser jungen Menschen gehofft. Das alles im Sinne von heilige Paulus, der von gegenseitiger Stärkung im Glauben spricht. In eurem und in meinem Glauben. Wir hoffen also darauf, diese jungen Menschen, die aus unterschiedlichen Ecken der Welt zu uns kommen, die Mitglieder der in Afrika, Amerika, Australien und so weiter lebenden Kirche sind, ihre besondere Gaben, ihr Charisma, ihr besonderes Leben im Glauben in unsere Kirche, in die polnische Kirche einbringen. Von ihnen wollen wir auch viel lernen, ein offenes Auge, Ohr und Herz für den Schatz, der zu uns kommt, offen halten. Ich wiederhole oft, dass wir geneigt sind, verschiedene Kirchen zu beurteilen – zum Beispiel die Kirchen im Westen, auch in Deutschland. Es gelingt uns seltener zu sehen, was diese Kirchen uns anzubieten haben, zum Beispiel wunderbare, über Tausend Jahre andauernde Traditionen und die Art, wie der Glaube heute gelebt wird, Menschen, die heute zum Glauben erwachen.

Die letzte Frage zum Abschluss unseres Gespräches: was kann Papst Franziskus mit seinem Besuch in Krakau und Tschenstochau hinterlassen?

Vor allem freuen wir uns sehr auf diesen Besuch. Dies wird der erste Besuch von Papst Franziskus im Land seines Vorgängers, des heilige Johannes Paul II. sein. Wir sind ihm sehr dankbar, dass er Polen für den nächsten Weltjugendtag gewählt hat, dass er in uns so viel Vertrauen hatte, und dass er darin einen großen Impuls für die Kirche in Polen sieht. Denn wir sollen bereits daran denken, und das tun wir durchaus, was nach dem Weltjugendtag kommt. Wir wollen diese große Begegnung nutzen um die Jugendseelsorge in Polen besser zu gestalten. Ich glaube, dass uns Papst Franziskus dazu anspornen möchte. Auf der Jasna Gora in Tschenstochau wird sich Papst Franziskus an dem Danksagungsgebet für das 1050-jährige Jubiläum der Taufe Polens beteiligen. Vor 50 Jahren wurde zum Jubiläum Papst Paul VI. eingeladen, seine Reise wurde aber von der kommunistischen Regierung nicht genehmigt. Im Kloster von Jasna Gora stand der päpstliche Thron, auf dem Blumen lagen. Diesmal werden da nicht Blumen liegen müssen, diesmal wird da der Papst sitzen, der mit uns das Danksagungsgebet für die Gabe des Christentums in Polen aussprechen wird. Außerdem hoffen wir, dass der Papst, indem er mit dem Aufruf der Barmherzigkeit "Seid barmherzig wie der Vater" kommt, uns Räume öffnet, in denen wir diese Barmherzigkeit tun werden.

Haben Sie vielen Dank dafür, dass Sie sich Zeit genommen haben, um mit unseren Zuschauern die tiefen Gedanken über die Geistigkeit und den Glauben in Polen zu teilen. Vielen Dank.

Ich danke Ihnen auch und wünsche allen Zuschauern Gottes Segen und viel Kraft und Stärke vom auferstandenen Christus.



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