Als ziemlich assimiliertes Flüchtlingskind in der Oberpfalz aufgewachsen, war das Katholische für mich selbstverständlich. Osterbeichte gehörte sich einfach, und wenn der Kaplan die Beichtzettel an der Wohnungstür einforderte, dann kramte die Tante schnell mal für die Pfarrei ein Zweimarkstück aus dem Geldbeutel. Zu bestimmten Anlässen gab es Schulgottesdienste mit nicht immer begeistert hingenommener Anwesenheitspflicht. Aber es gibt auch uneingeschränkt schöne Erinnerungen an diese Zeit – etwa die Maiandachten mit den innigen Marienliedern und überhaupt das Mitsingen im Kirchenchor. Gerne denke ich an zwei kluge Religionslehrer, mit denen es sich trefflich streiten ließ, und an das Staunen der Leute beim großen Auftritt des Paters Leppich, des Maschinengewehrs Gottes, wie er genannt wurde, im Volksfestzelt.

In meiner böhmischen Verwandtschaft gab es freilich unter der konventionellen Oberfläche immer einen sozusagen hussitisch gefärbten Antiklerikalismus. Zum Alltag gehörte in meiner Flüchtlingsmischpoke das Jammern und Beschwerdeführen über das ungerechte Schicksal einerseits und das Klagen über die einheimische Mehrheitskultur in Politik, Wirtschaft und Kirchen.

Als die damals noch überschaubaren Medien über das Konzil berichteten, wurde dieses Ereignis nicht in seiner geistigen Brisanz verstanden, sondern als quasifeudales Oberschichtsevent, dessen „Pomp und Prunk“ man bemäkelte. So setzte sich der Zweifel im pubertären Geist fest.

Als Jungstudent schloss ich mich der „APO“, der außerparlamentarischen Opposition, und kurz darauf dem SDS an. Vordergründig ging es fast ausschließlich um politische Gründe. Stichworte Notstandsgesetze, Krieg in Vietnam, der Aufstieg der NPD. Ich demonstrierte mit vielen Gleichgesinnten gegen das Schahregime, die faschistischen Diktaturen in Spanien, Griechenland und Lateinamerika. Und ich hielt den bundesdeutschen Umgang mit der Nazivergangenheit für skandalös. Mein Studieneifer beschäftigte sich hauptsächlich mit Revolutionsgeschichte, dem Spanischen Bürgerkrieg, mit den marxistischen Klassikern und den vielfältigen linken Publikationen zur Weltpolitik jener Zeit. Bei Demonstrationen in Nah und Fern konnte ich in meiner juvenilen Einbildung in der globalen Politik mitmischen. Ich glaubte, über die „Klassenkämpfe“ in Frankreich, England, Italien und Belgien, aber auch in Ceylon und Lateinamerika, Persien und Südkorea, bestens informiert zu sein. Hier wie dort war ich sicher, wer die Guten und wer die Bösen waren.

In meiner umstürzlerischen Traumwelt bei gleichzeitig bescheidenem Studentenalltag mit 6qm-Wohnheimzimmer und Mensaessen konnte ich durch Resolutionen, Abstimmungen, Teach-Ins und nächtliche Plakatierung von radikalen Slogans gefühlt das Weltgeschehen beeinflussen. Wir hielten uns für die Avantgarde der Emanzipation der Unterdrückten dieser Welt. Die Provokationstaktik der Studentenbewegung schuf weltweit mediale Aufmerksamkeit. Der Tabubruch wurde zum Inbegriff des Fortschrittlichen. Unter dem künstlerischen Nachwuchs entstand ein heftiger Wettbewerb um die affektvollste, amoralischste Inszenierung, die wildesten Invektiven gegen Religion und Familie.

Reformer mit Scharfsinn

Im Vergleich zur Milliarde katholischer Christen auf der Welt waren die Aufgeregtheiten einiger Hunderttausender rebellierender Jugendlicher scheinbar eine zu vernachlässigende Größe. Welche Bedeutung den Beschlüssen des Konzils von 1962 bis 1965 innewohnte, nahm ich wie viele der Generation der 68er nicht zur Kenntnis. Ziel des Konzils war es, die Kirche zwischen Unveräußerlichem und historisch Kontingentem auf festen Boden zu stellen. Dieser Aufgabe unterzogen sich die Reformer um die Kardinäle Frings, Suenens, König und ihre theologischen Berater mit großem Scharfsinn und taktischem Geschick. Von der zentralen Rolle Joseph Ratzingers bei der Ausarbeitung der Schemata erfuhr ich erst Jahrzehnte danach. „Erneuerung“, eine „größere Klarheit im Denken“ und „Stärkung des Bandes der Einheit“ waren die

Hoffnungen von Papst Johannes XXIII. gewesen. Allerdings schwang wie bei allen großen kulturellen Umbrüchen das Pendel des Zeitgeists weit über die ursprünglichen Ziele hinaus. Statt organischer Evolution wurde die Kirche von einer Kulturrevolution erschüttert. Mit Unterstützung der säkularen Medien eroberten Radikaltheologen eine weitgehende Deutungshoheit über die Interpretation jenes „Aggiornamentos“, das die Konzilsbeschlüsse gefordert, aber nur wenig in concreto ausgeführt hatten. Viele theologische Fakultäten und ihre Studenten ließen sich vom radikalen Zeitgeist berauschen und wurden sogar zu einem treibenden Teil der 68er-Bewegung. Sie beteiligten sich in vorderster Reihe daran, alles einzureißen, was an Tradition und Glaubenspraxis noch lebendig war. Enthusiastisch schwärmte man von der totalen „Emanzipation“. Das hieß Kampf gegen Dogmen und die Kirchenhierarchie, und weil man schon dabei war, auch gegen Kapitalismus, Konventionen, Institutionen, von der Schule bis zur Universität, Hochkultur und Bundeswehr, gegen Patriarchat, Geschlechterrollen und Ehe. 

Gefeiert wurden dagegen Guerillabewegungen und sozialistische Experimente in aller Welt, Schulen ohne Lehrplan, „Bewusstseinserweiterung“ durch Drogen, Popund Vulgärkultur, freie Liebe und schrankenlose, bald auch Kinder adressierende Sexualität. Diese Bejahung von dem, was in der Kirche stets als „Sünde“ galt, zeitigte in den nächsten Jahrzehnten epidemische Folgen. Tabus wie Inzest, Abtreibungen bis kurz vor der Geburt, Sterbehilfe, Suizid, Achtung vor religiösen Symbolen wurden dekonstruiert, dafür breiteten sich Pornografie, Pädophilie und Sexsklaverei in allen westlichen Gesellschaften aus. In anderen Weltreligionen wuchsen mit dem Abscheu vor der westlichen Unkultur der religiöse Fanatismus und die Gewaltverherrlichung an.

Brüder im Geiste

Joseph Ratzinger sah frühzeitig die Gefahren dieser Entwicklung. Schon 1958 hatte er eine „Entweltlichung“ der Kirche gefordert, die dringend notwendig sei. Und er hatte durch die Erfahrungen der Konzilsfolgen eine außerordentliche Sensibilität für die Fehlentwicklungen im eigenen „Lager“. Früh durchschaute er die zeitgeistige Aufladung von Theologie und Religion mit Politik. Die katholische Kirche hatte im Konzil anerkannt, dass die Politik nicht nach religiösen Grundsätzen geregelt sein sollte. Die progressistischen Teile des Klerus suchten jedoch im Gegensatz dazu die Religion nach politischen Grundsätzen zurechtzubiegen. Geradezu selbstvergessen war die Annäherung des Progressivkatholizismus an den linken Zeitgeist. Ratzinger warnte hellsichtig vor jenen, die „mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbinden“.

In der Diagnose fand er in Karol Wojtyla einen Bruder im Geiste, und als dieser zum Papst gewählt wurde, avancierte Ratzinger zu dessen rechter Hand. Sie wussten besser als viele Progressive, dass das Evangelium als Drehbuch für politische Szenarien ungeeignet ist. Die erste Schlacht führte Johannes Paul II. gegen den Kommunismus und gegen jene Theologen und Priester, die innerweltliche Utopien mit christlicher Erlösung verwechselten. Vor seinem Charisma und seiner prophetischen Ansprache begannen sich die Kremlherrscher mehr zu fürchten als vor den polnischen Arbeitern der Solidarność. Der Fehlschlag des 1981 von ihnen angezettelten Attentatsversuchs war ein Omen für den Untergang des Sowjetsystems. 1990/1991 brach das sowjetische Imperium moralisch morsch und geistig wehrlos auseinander.

Damit kam die Geschichte aber nicht an ihr Ende, wie es ein weltweit bekannter Autor prognostizierte. Die herrschende Ideologie in Kultur und Medien wechselte in einen neuen Aggregatzustand – die Postmoderne. Die große Zeit der Dekonstruktionisten begann, die mit Verve alle Fundamente der Religion, der Kultur, in der Konsequenz der Zivilisation abräumten. Für die etwa das Prinzip der Menschenrechte als ein Herrschaftsinstrument der westlichen Kultur galt. Ratzinger versuchte, die geistigen Bataillone der Kirche gegen diesen postmodernen Relativismus zu mobilisieren. Waren historisch nicht wenige Päpste vorrangig auf die Mehrung von Macht der Kirche und Ansehen ihres Hirtenamts bedacht, so interessierte Benedikt vor allem eines: die Wahrheit – die faszinierende Vernünftigkeit des Glaubens an Gott, die sich in immer neuen Zusammenhängen stellt, solange man sich die Zeit nimmt, unermüdlich die Fragen weiterzuverfolgen, die jede geschichtliche Situation aufwirft.

Als er zum Papst gewählt wurde, war dies für die große Mehrheit der Gläubigen eine frohe Botschaft. Millionen Besucher kamen auf die Veranstaltungen während seiner 24 Apostolischen Reisen in Europa, Amerika, Afrika und Asien. Millionen zu seinen 31 Patoralbesuchen in Italien. Bei den jährlichen Urbi et Orbi-Segen zu Ostern und Weihnachten wurde er stets auf dem von Hunderttausenden Besuchern bevölkerten Petersplatz frenetisch bejubelt.

Feind der Progressiven

Das totale Gegenteil spielte sich im „progressiven“ Lager ab, zu dem die große Mehrheit des Kulturestablishments und der Medien, aber auch der politischen Klasse in der gesamten westlichen Welt gehörte. Ich bekam eine persönliche Lektion über die Abneigung, die sowohl dem Papst wie auch seinem Sprachrohr Ratzinger entgegengebracht wurde. In einem Jahrzehnt als Lektor und Herausgeber beim Eichbornverlag hatte ich einige sehr beachtete und erfolgreiche Gesprächsbände, u.a. mit Richard von Weizsäcker, Heiner Geissler, George Soros und Franz Vranitzky initiiert. 1995 machte ich mich als Literaturagent selbstständig und wollte dieses Format auch mit dem Leiter der Glaubenskongregation versuchen. Als Fragesteller gewann ich den Ex-Kommunisten und Ex-Spiegel-Journalisten Peter Seewald. Bei der Suche nach einem geeigneten Verlag bekam ich dann einen Vorgeschmack auf die Stimmung, die gegen den späteren deutschen Papst herrschte. „Wir bieten diesem Reaktionär keine Plattform“, war noch das Freundlichste. Einige holten Gutachten von katholischen Theologen ein. Sie waren alle vernichtend: Ratzinger, der Gegner jeder progressiven Theologie und des Medienlieblings Hans Küng, würde den Ruf des Verlags beschädigen. Courage zeigte als einziger Ulrich Frank-Planitz, vormaliger Chef der evangelischen Zeitschrift „Christ und Welt“, der als Geschäftsführer zur Deutschen Verlagsanstalt (DVA) gewechselt war. Seewald befragte den Kardinal glänzend und Ratzinger gab ihm luzide Antworten. Seewald trat darüber wieder in die Kirche ein. Das Buch wurde ein in über 20 Sprachen übersetzter Weltbestseller.

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Die lange Krankheit und das lange Sterben Johannes Pauls II., von dem sich nicht nur Katholiken ergriffen zeigten, dämpfte etwas den Eifer des antikatholischen Lagers. Und als Joseph Ratzinger 2005 zum Papst Benedikt gewählt wurde, war die Reaktion der Öffentlichkeit gemischt. In Deutschland jubelte man für eine kurze Zeit: „Wir sind Papst“! Das legte sich bald und kehrte sich ins Gegenteil, als Benedikt keineswegs auf die liberale Daueragenda Priesterheirat, Frauenamt, gemeinsames Abendmahl mit allen anderen Konfessionen und „Demokratisierung der Strukturen“ einging.

Die erste Gelegenheit zur Attacke der Medien war die Regensburger Rede 2006, die zunächst Proteste in der islamischen Welt hervorrief. Die papstfeindlichen Kommentatoren überschlugen sich in einer Kritik, die Verständnis für die fanatischen Äußerungen der aufgehetzten muslimischen Straße zeigte. Sie verstummten auch dann nicht, als angesehene und kompetente islamische Theologen die Erläuterungen des Papstes zu seiner Rede begrüßten und für die Verstärkung des religiösen Dialogs mit der katholischen Kirche votierten.

Ab da lauerte die Medienbranche auf jede Gelegenheit, gegen Benedikt Empörungsstürme zu entfachen.

Manche Redaktionen verließen den Daueralarmmodus nicht mehr, als ob Nazis kurz vor der Machtübernahme im Vatikan seien. Man unterstellte dem Hl. Stuhl, wenn er auf seiner innerkirchlichen traditionellen Ordnung und den Bestimmungen des kanonischen Rechts beharre, wolle er die Demokratie in Frage stellen und einen Kulturkampf gegen Protestanten, Juden und alle Andersgläubigen ausrufen. Journalisten, die noch nie eine Kirche von innen gesehen hatten, entdeckten plötzlich, dass die Verwendung des Lateinischen als Sakralsprache, die Benedikt wieder erlaubte, ein reaktíonärer Rückfall ins Mittelalter sei. Damit begünstigte man vage Assoziationen wie Inquisition, Bücherverbote und Hexenprozesse. Nach der Logik des Skandals arbeiteten schon ab dem zweiten Jahr des Pontifikats viele Medien: „Benedikt muss zurücktreten!“

Mit Fakten hatte diese Stimmungsmache nichts zu tun. Benedikt vertrat – im Gegensatz zu manchen seiner Vorgänger – entschieden eine Theologie der Vernunft, religiöser Freiheit, der Trennung von Staat und Kirche und der Anerkennung freiheitlicher Wissenschaft. Die Insinuationen der Kreationisten und des „intelligent design“ hat er deutlich zurückgewiesen. Seine Haltung zur Shoah ist völlig unstrittig. Er war einer der Architekten der lange unterbliebenen Anerkennung Israels durch den Vatikan und Förderer einer Theologie, die Auschwitz auch als religiöses Problem begriff.

Große Empathie mit den Missbrauchsopfern

Als ab 2008 zahlreiche Fälle sexuellen Missbrauchs durch Kleriker aufgedeckt wurden, zeichnete sich der Papst durch große Empathie mit den Opfern aus. Die feministische Opferorganisation „Zartbitter e. V.“ mit Sitz in Köln schrieb 2009 über den Papst: „Er reduziert sein Engagement nicht nur auf die Schadensbegrenzung für die Institution Kirche, sondern erkennt die Schwere des Leidens der Opfer an und übernimmt als Oberhaupt der Kirche die Verantwortung für die sexuellen Gewalttaten und das oftmals miserable Krisenmanagement der Kirche. Die emphatische Vorgehensweise des Papstes im Kontakt mit den Opfern und die Wortwahl seiner öffentlichen Erklärungen überzeugen: Benedikt ist es ein menschliches Anliegen, den Opfern gerecht zu werden.“

Solche Stimmen blieben lange in der Minderheit. Zu verlockend war es für liberale Medien, den antikatholischen Furor zu bedienen. Der Eindruck wurde erweckt, als ob das Problem Päderastie ein Problem des katholischen Zölibats sei. Diese Stoßrichtung wurde im Eigeninteresse auch vehement von den progressiven Parteiungen in Kirche und Theologie unterstützt. Erst in den letzten Jahren wird offenbar, wie sehr die Diagnose Benedikts richtig war und ist, dass die Missbrauchswelle aufs Engste mit dem entfesselten Hedonismus verknüpft ist, mit dem sich weite Teile insbesondere der liberalen gesellschaftlichen Milieus arrangiert haben. In der evangelischen Kirche ist inzwischen übrigens offenbar, dass die Zahl der Missbrauchsfälle annähernd gleich ist – trotz Fehlen eines Zölibats. In den Sportvereinen sind einer repräsentativen Untersuchung der Universität Ulm zufolge so viele Fälle von sexuellem Missbrauch wie in den beiden Konfessionen zusammen geschehen.

Was als vernünftiger und den gesellschaftlichen Frieden befördernder Impuls begann, die Abschaffung der Kriminalisierung sexueller Beziehungen zwischen Erwachsenen, wurde bald von der Forderung überboten, alle Beschränkungen sexuellen Verhalten abzuschaffen. In den Medien, im Kino und auf dem Buchmarkt eroberte das Thema Sex in Kombination mit linkspolitischen Haltungen die Meinungsführerschaft. Schon seit den 1970er-Jahren überboten sich Reformpädagogen, progressive Publikationen, Filmproduzenten und Avantgardekünstler im Tabubrechen. Erotische Filme, in denen Inzest, Sexualität mit Kindern gezeigt wurde, genossen cineastisches Renomee, auch von Seiten der katholischen Filmkritik. Kinderschänderkommunen wie Otto Mühls AAO (Aktionsanalyse Organisation) wurden von den Meinungsmachern links der Mitte bejubelt. Der Sexualkunde-Bestsellerautor Rolf Kentler wurde vom Berliner Senat finanziert für das Modellprojekt, jugendliche Trebegänger an alte gutsituierte Päderasten zu vermitteln. In der Grünen Partei agitierten Arbeitskreise von schwulen Aktivisten für Recht von Kindern auf „sexuelle Selbstbestimmung“. Über das Internet wurde schließlich im letzten Jahrzehnt die Kinderpornografie verbreitet wie nie zuvor in der Geschichte. Inzwischen gibt es eine Lawine von Missbrauchsprozessen gegen im bürgerlichen Alltag unauffällige Eltern und Erziehungsberechtigte, die ihre Kinder zu perversen Videoproduktionen benutzen. Die daraus zirkulierenden Fotos und Videos erreichen oft im „Darknet“ hunderttausendfache Verbreitung.

Wenn es hörbaren Protest gegen die Sexualisierung der Gesellschaft gibt, dann kommt er eher aus feministischen Kreisen. Der kirchliche Widerstand gegen den sexualpolitischen Ultraliberalismus wird bis heute in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Im Gegenteil: Als der inzwischen emeritierte Benedikt 2019 auf den Zusammenhang der kirchlichen Missbrauchsfälle mit der sexuellen Revolution der 60er-Jahre hinwies, übten sich die üblichen Verdächtigen in Theologie und progressiven Medien abermals in Empörungsgesten. Sie verstanden ihn in tendenziöser Absicht falsch und unterstellten ihm, er habe den 68ern die Verantwortung zuschanzen wollen. Der Titel hieß jedoch klar verständlich: „Ja, es gibt Sünde in der Kirche“. Es ist bequemer und für das eigene Selbstbild entlastender, mit dem Finger stets auf die katholische Kirche zu zeigen, als mit der Faust auf die eigene liberale, grüne oder linke Brust zu schlagen und den eigenen Anteil an der Misere einzugestehen.

Benedikt teilt das historische Schicksal vieler prophetischer Denker. Sie gelten im eigenen Lande nichts und werden auch im eigenen Lager diffamiert und bekämpft. Es wird jedoch nicht lange dauern, bis seine Befunde über den Zustand von Welt und Kirche begriffen und von den wirklich Gläubigen aufgegriffen werden.

Zuerst erschienen im Vatican-Magazin, Heft 2/2023. Die ganze Ausgabe widmet sich dem verstorbenen Papst Benedikt XVI. und kann HIER bezogen werden. Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung.