Der heilige Johannes Paul II. focht energisch für den Schutz des Lebens und gegen die „Kultur des Todes“ – und stand damit ein für die bleibend gültige lebensfreundliche Morallehre der Kirche, die heute selbst innerhalb der Kirche zunehmend in Bedrängnis gerät, zumindest im alten Europa. Die Enzyklika „Evangelium vitae“ gehört zu den lichtreichsten und wertvollsten Dokumenten seines Pontifikates. Dort spricht er sich auch energisch gegen die Euthanasie aus. Der „Erfahrung eines intensiven und langen Schmerzes“ werde in einer Kultur, die „im Leid keinerlei Bedeutung oder Wert“ mehr sehe, mit einem „mißverstandenen Mitleid“ begegnet. Man „betrachtet das Leid als das Übel schlechthin, das es um jeden Preis auszumerzen gilt; diese Haltung tritt vor allem dann ein, wenn man keine religiöse Einstellung hat, die helfen kann, das Geheimnis des Schmerzes positiv zu deuten“. Zudem nehmen viele Menschen zunehmend die gottfremde Haltung ein, dass sie selbst „über Leben und Tod“ entscheiden wollen. Deutlich positioniert sich Johannes Paul II. gegen die Euthanasie: „Einem tragischen Ausdruck von alledem begegnen wir in der Verbreitung der maskiert und schleichend oder offen durchgeführten und sogar legalisierten Euthanasie. Sie wird mit einem angeblichen Mitleid angesichts des Schmerzes des Patienten und darüber hinaus mit einem utilitaristischen Argument gerechtfertigt, nämlich um unproduktive Ausgaben zu vermeiden, die für die Gesellschaft zu belastend seien. So schlägt man die Beseitigung der mißgestalteten Neugeborenen, der geistig und körperlich Schwerstbehinderten, der Leistungsunfähigen, der Alten, vor allem wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können, und der Kranken vor, deren Leben zu Ende geht.“

Zugleich beklagt er eine international sichtbare „geburtenfeindliche Politik“: „Empfängnisverhütung, Sterilisation und Abtreibung müssen gewiß zu den Ursachen gezählt werden, die zum Zustand des starken Geburtenrückganges beitragen und ihn wesentlich bestimmen.“ Eine „massive Geburtenplanung“ werde von vielen Mächtigen begrüßt und befördert, dies alles mit dem Einverständnis großer Teile der Gesellschaft: „Das 20. Jahrhundert wird als eine Epoche massiver Angriffe auf das Leben, als endlose Serie von Kriegen und andauernde Vernichtung unschuldiger Menschenleben gelten. Die falschen Propheten und Lehrer erfreuen sich des größtmöglichen Erfolges.“ Skandalös nennt er auch die „Kampagnen für die Verbreitung der Empfängnisverhütung“. Wir müssen daran denken, wie auch die Regierung in Deutschland heute für die Legalisierung der Abtreibung eintritt und Formen der Sterbehilfe fördern möchte. Johannes Paul II. schreibt 1995, dass die „Anwendung der Empfängnisverhütung, der Sterilisation, der Abtreibung und selbst der Euthanasie als Zeichen des Fortschritts und als Errungenschaft der Freiheit“ hingestellt würden, während jene Personen und Positionen, die „bedingungslos für das Leben eintreten“, als „freiheits- und entwicklungsfeindlich“ beschrieben würden.

Dies alles sind Anzeichen einer verbreiteten „Kultur des Todes“, in der die „Verbrechen gegen das Leben“ heute als „legitime Äußerungen der individuellen Freiheit“ vorgestellt werden, „die als wahre und eigene Rechte anerkannt und geschützt werden müssen“. Eine solche verbreitete politische Praxis steht im deutlichen Widerspruch zu den Kampagnen für die Menschenrechte und Proklamationen gegen Diskriminierung: „Wie lassen sich diese Erklärungen in Einklang bringen mit der Ablehnung des Schwächsten, des Bedürftigsten, des Alten, des soeben im Mutterschoß Empfangenen? Diese Angriffe gehen in die genau entgegengesetzte Richtung wie die Achtung vor dem Leben und stellen eine frontale Bedrohung der gesamten Kultur der Menschenrechte dar.“ Dies geht einher mit einem säkularen Autonomiebegriff, den heute auch Theologen wie Magnus Striet vertreten und höchst eigenwillig mit Immanuel Kants Aufklärungsphilosophie verbinden.

Johannes Paul II. indessen wendet sich gegen alle diese säkularen Theorien, Meinungen und Philosophien der Beliebigkeit und schreibt deutlich: „Es muß auch auf jene Logik hingewiesen werden, die dazu neigt, die Personwürde mit der Fähigkeit zu verbaler, ausdrücklicher, auf alle Fälle erprobbarer Kommunikation gleichzusetzen. Es ist klar, daß unter solchen Voraussetzungen in der Welt kein Raum für den ist, der, wie das ungeborene Kind oder der Sterbende, ein von seiner physischen Konstitution her schwaches Wesen ist, auf Gedeih und Verderb anderen Menschen ausgeliefert und radikal von ihnen abhängig ist und mit dem Kommunikation nur durch die stumme Sprache einer tiefen Symbiose liebender Zuneigung möglich ist. … Wenn es wahr ist, daß sich die Auslöschung des ungeborenen oder zu Ende gehenden Lebens mitunter auch den Anstrich eines mißverstandenen Gefühls von Altruismus und menschlichen Erbarmens gibt, so kann man nicht bestreiten, daß eine solche Kultur des Todes in ihrer Gesamtheit eine ganz individualistische Freiheitsauffassung enthüllt, die schließlich die Freiheit der ‚Stärkeren‘ gegen die zum Unterliegen bestimmten Schwachen ist.“

Die „Wahrheit über Gut und Böse“ werde geleugnet, wenn als Kriterium für Entscheidungen nur noch die eigene „subjektive und wandelbare Meinung“ gilt oder gar ein „egoistisches Interesse“, verbunden mit zufälligen Launen: „So schwindet jeder Bezug zu gemeinsamen Werten und zu einer für alle geltenden absoluten Wahrheit: das gesellschaftliche Leben läuft Gefahr, in einen vollkommenen Relativismus abzudriften. Da läßt sich alles vereinbaren, über alles verhandeln: auch über das erste Grundrecht, das Recht auf Leben.“ Das Recht höre auf „Recht zu sein, weil es sich nicht mehr fest auf die unantastbare Würde der Person gründet, sondern dem Willen des Stärkeren unterworfen wird“: „Auf diese Weise beschreitet die Demokratie ungeachtet ihrer Regeln den Weg eines substantiellen Totalitarismus.“ Johannes Paul II. übt deutliche Kritik: „Alles geschieht scheinbar ganz auf dem Boden der Legalität, zumindest wenn über die Gesetze zur Freigabe der Abtreibung und der Euthanasie nach den sogenannten demokratischen Regeln abgestimmt wird. In Wahrheit stehen wir lediglich einem tragischen Schein von Legalität gegenüber, und das demokratische Ideal, das es tatsächlich ist, wenn es denn die Würde jeder menschlichen Person anerkennt und schützt, wird in seinen Grundlagen selbst verraten. … Das Recht auf Abtreibung, Kindestötung und Euthanasie zu fordern und es gesetzlich anzuerkennen heißt der menschlichen Freiheit eine perverse, abscheuliche Bedeutung zuzuschreiben: nämlich die einer absoluten Macht über die anderen und gegen die anderen. Aber das ist der Tod der wahren Freiheit: ‚Amen, amen, das sage ich euch: Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde‘ (Joh 8, 34).“ Auch heute sind wir als Kirche, Kleriker wie Weltchristen, dazu berufen, uns für den unbedingten Lebensschutz und gegen die „Kultur des Todes“ einzusetzen.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.