Johannes Paul II. verweist in „Evangelium vitae“ auf die Verbindung, die zwischen Gottes Liebe und den Geboten besteht. An das erste der Zehn Gebote wird in der Enzyklika auf besondere Weise erinnert. 

Das Tötungsverbot sowie auch die übrigen Gebote werden als „Geschenk zu Wachstum und Freude des Menschen“ verstanden: „Auch das Evangelium vom Leben ist für den Menschen ein großes Gottesgeschenk und zugleich eine verpflichtende Aufgabe. Es weckt beim freien Menschen Staunen und Dankbarkeit und erfordert, mit lebendigem Verantwortungsbewußtsein angenommen, bewahrt und erschlossen zu werden: Gott fordert vom Menschen, dem er das Leben schenkt, daß er es liebt, achtet und fördert. Auf diese Weise wird das Geschenk zum Gebot, und das Gebot selbst offenbart sich als Geschenk.

Der Mensch sei dazu berufen, dass er das ihm geschenkte Leben „durch den in Liebe und in der Achtung vor Gottes Plan vollzogenen Zeugungsakt weitergeben kann“. 

Zudem spricht der Papst über die Herrschaft über die Erde, die dem Menschen aufgetragen ist: „Bei seiner Herrschaft handelt es sich jedoch nicht um eine absolute, sondern um eine übertragene; sie ist realer Widerschein der alleinigen und unendlichen Herrschaft Gottes. Darum muß sie der Mensch durch Teilhabe an der unermeßlichen Weisheit und Liebe Gottes mit Weisheit und Liebe leben. Und das geschieht durch den Gehorsam gegenüber seinem heiligen Gesetz: ein freier und froher Gehorsam (vgl. Ps 119 1), der aus dem Bewußtsein erwächst und genährt wird, daß die Gebote des Herrn ein Gnadengeschenk sind und dem Menschen immer nur zu seinem Besten um des Schutzes seiner persönlichen Würde und der Erreichung seines Glücks willen anvertraut werden.“ 

Der Mensch darf niemals als „absoluter Herr“ fungieren, er bleibt auf Gott verwiesen. Der Lebensschutz gehört zum Plan Gottes, an den er sich gebunden wissen soll: „Das Leben wird dem Menschen anvertraut als ein Schatz, den er nicht zerstreuen, als ein Talent, das er wirtschaftlich verwalten soll. Darüber muß der Mensch seinem Herrn Rechenschaft ablegen (vgl. Mt 25, 14-30; Lk 19, 12-27).“ 

Das Leben sei als „etwas Heiliges“ anzusehen und weise einen „unverletzlichen Charakter“ auf, in dem sich die „Unantastbarkeit des Schöpfers“ selbst widerspiegele. In diesem Zusammenhang steht das Tötungsverbot: „Das Gebot ‚du sollst nicht töten‘ besitzt einen ausgesprochen starken negativen Inhalt: es zeigt die äußerste Grenze auf, die niemals überschritten werden darf. Implizit jedoch spornt es zu einem positiven Verhalten der absoluten Achtung vor dem Leben an mit dem Ziel, es zu fördern und auf dem Weg der Liebe, die sich verschenkt, die annimmt und dient, fortzuschreiten.“

Kategorisch verboten hat die „lebendige Tradition der Kirche“ von Anfang an die Abtreibung und Kindstötung, die – das darf nicht genug betont werden angesichts der bis heute unverständlichen Verklärung der hellenischen und römischen Welt – in der Antike gängige Praxis war.

Johannes Paul II. zitiert hierzu die „Didaché, die älteste außerbiblische christliche Lehrschrift“: „Es gibt zwei Wege, der eine ist der Weg des Lebens, der andere der des Todes; zwischen ihnen besteht ein großer Unterschied … Nach der Vorschrift der Lehre: Du sollst nicht töten …, du sollst ein Kind weder abtreiben noch ein Neugeborenes töten … Der Weg des Todes ist folgender: … sie haben kein Mitleid mit dem Armen, sie leiden nicht mit dem Leidenden, sie anerkennen nicht ihren Schöpfer, sie töten ihre Kinder und bringen durch Abtreibung Geschöpfe Gottes um; sie schicken den Bedürftigen fort, unterdrücken den Geplagten, sind Anwälte der Reichen und ungerechte Richter der Armen; sie sind voller Sünde. Mögt ihr, o Söhne, euch stets von all dieser Schuld fernhalten!“

Das „Töten eines Menschen“ ist eine „besonders schwere Sünde“, dieses ist nur bei großen Ausnahmen zugelassen, etwa bei der Notwehr und der Selbstverteidigung: „Auf das Recht sich zu verteidigen könnte demnach niemand aus mangelnder Liebe zum Leben oder zu sich selbst, sondern nur kraft einer heroischen Liebe verzichten, die die Eigenliebe vertieft und gemäß dem Geist der Seligpreisungen des Evangeliums (vgl. Mt 5, 38-48) in die aufopfernde Radikalität verwandelt, deren erhabenstes Beispiel der Herr Jesus selber ist.“

Der „absolute Wert“ des Gebots „Du sollst nicht töten“ zeige sich in Bezug auf den „unschuldigen Menschen“: „Und das umso mehr, wenn es sich um ein schwaches und schutzloses menschliches Lebewesen handelt, das einzig in der absoluten Kraft des Gebotes Gottes seinen radikalen Schutz gegenüber der Willkür und Gewalttätigkeit der anderen findet. Die absolute Unantastbarkeit des unschuldigen Menschenlebens ist in der Tat eine in der Heiligen Schrift ausdrücklich gelehrte, in der Tradition der Kirche ständig aufrechterhaltene und von ihrem Lehramt einmütig vorgetragene sittliche Wahrheit. Diese Einmütigkeit ist sichtbare Frucht jenes vom Heiligen Geist geweckten und getragenen ‚übernatürlichen Glaubenssinnes‘, der das Gottesvolk vor Irrtum bewahrt, wenn es ‚seine allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert‘.“

Die „vorsätzliche Tötung“ des unschuldigen Menschen, insbesondere auch im „Anfangs- und Endstadium“, stelle ein „absolutes und schweres Vergehen“ dar. Aufgrund politischer Entwicklungen und Debatten habe das Lehramt der Kirche die „Interventionen zur Verteidigung der Heiligkeit und Unantastbarkeit des menschlichen Lebens verstärkt“. Johannes Paul II. erklärt: „Mit der Petrus und seinen Nachfolgern von Christus verliehenen Autorität bestätige ich daher in Gemeinschaft mit den Bischöfen der katholischen Kirche, daß die direkte und freiwillige Tötung eines unschuldigen Menschen immer ein schweres sittliches Vergehen ist. Diese Lehre, die auf jenem ungeschriebenen Gesetz begründet ist, das jeder Mensch im Lichte der Vernunft in seinem Herzen findet (vgl. Röm 2, 14-15), ist von der Heiligen Schrift neu bestätigt, von der Tradition der Kirche überliefert und vom ordentlichen und allgemeinen Lehramt gelehrt.“

Die Tötung eines unschuldigen Menschen sei „immer schändlich“ und ein „schwerer Ungehorsam gegen das Sittengesetz“ sowie „gegen Gott selber“: „Was das Recht auf Leben betrifft, ist jedes unschuldige menschliche Lebewesen allen anderen absolut gleich. Diese Gleichheit bildet die Grundlage jeder echten sozialen Beziehung, die, wenn sie wirklich eine solche sein soll, auf der Wahrheit und der Gerechtigkeit gründen muß, indem sie jeden Mann und jede Frau als Person anerkennt und schützt und nicht als eine Sache betrachtet, über die man verfügen könne. Im Hinblick auf die sittliche Norm, die die direkte Tötung eines unschuldigen Menschen verbietet, ‚gibt es für niemanden Privilegien oder Ausnahmen. Ob einer der Herr der Welt oder der Letzte, ‚Elendeste‘ auf Erden ist, macht keinen Unterschied: Vor den sittlichen Ansprüchen sind wir alle absolut gleich‘.“

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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