Scharf weist der heilige Johannes Paul II. 1995 in der Enzyklika „Evangelium vitae“ alle Bestrebungen – wie Abtreibung und Euthanasie – zurück, die eine „gesetzliche Legitimation“ für die „Anschläge auf das menschliche Leben“ fordern: „Nicht selten wird behauptet, das Leben eines ungeborenen oder eines sich in völliger Schwäche befindlichen Menschen sei nur ein relatives Gut: entsprechend einer Logik der Verhältnismäßigkeit oder des kalten Kalküls sollte es mit anderen Gütern verglichen und abgewogen werden. Und es wird auch behauptet, daß nur jemand, der sich in der konkreten Situation befindet und persönlich involviert ist, eine gerechte Abwägung der Güter vornehmen könne, um die es geht: infolgedessen könnte nur er über die Sittlichkeit seiner Entscheidung bestimmen.“ 

Verlangt wird sodann, dass der Staat auch wegen der Mehrheitsmeinungen in der Zivilgesellschaft freie Entscheidungen akzeptieren und Abtreibung sowie Euthanasie zulassen solle: „Im übrigen würde das Verbot und die Bestrafung von Abtreibung und Euthanasie in diesen Fällen – so wird behauptet – unvermeidbar zu einer Zunahme illegaler Praktiken führen: diese wären allerdings nicht der notwendigen sozialen Kontrolle unterworfen und würden ohne die erforderliche ärztliche Sicherheit vorgenommen. … Die radikalsten Meinungsäußerungen gehen schließlich soweit zu behaupten, in einer modernen und pluralistischen Gesellschaft müßte jedem Menschen volle Autonomie zuerkannt werden, über das eigene Leben und das Leben des ungeborenen Kindes zu verfügen: die Wahl und Entscheidung zwischen den verschiedenen Moralauffassungen wäre in der Tat nicht Sache des Gesetzes, und noch weniger könnte es sich die Auferlegung einer einzelnen dieser Auffassungen zum Nachteil der anderen anmaßen.“

Die Signaturen der Diktatur des Relativismus sind hier schon eindeutig benannt. Der „Wille der Mehrheit“ soll als normativ für das soziale Zusammenleben gelten. 

Die Verfassung des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates wird damit konterkariert und faktisch außer Kraft gesetzt: „Gemeinsame Wurzel all dieser Tendenzen ist der ethische Relativismus, der für weite Teile der modernen Kultur bezeichnend ist. Manche behaupten, dieser Relativismus sei eine Voraussetzung für die Demokratie, weil nur er Toleranz, gegenseitige Achtung der Menschen untereinander und Bindung an die Entscheidungen der Mehrheit gewährleisten würde, während die als objektiv und bindend angesehenen sittlichen Normen zu Autoritarismus und Intoleranz führen würden.“ Johannes Paul II. fragt darum: „Faßt eine parlamentarische oder gesellschaftliche Mehrheit, wenn sie die Rechtmäßigkeit der unter bestimmten Bedingungen vorgenommenen Tötung des ungeborenen menschlichen Lebens beschließt, nicht vielleicht einen ‚tyrannischen‘ Beschluß gegen das schwächste und wehrloseste menschliche Geschöpf? Das Weltgewissen reagiert mit Recht auf die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, mit denen unser Jahrhundert so traurige Erfahrungen gemacht hat. Würden diese Untaten vielleicht nicht mehr länger Verbrechen sein, wenn sie, statt von skrupellosen Tyrannen begangen worden zu sein, durch des Volkes Zustimmung für rechtmäßig erklärt worden wären?“

Die Übereinstimmung mit dem Sittengesetz ist für eine Demokratie unverzichtbar. Sie steht und fällt aber mit den Werten, die sie verkörpert und fördert – „grundlegend und unumgänglich sind sicherlich die Würde jeder menschlichen Person, die Achtung ihrer unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte sowie die Übernahme des ‚Gemeinwohls‘ als Ziel und regelndes Kriterium für das politische Leben“: „Grundlage dieser Werte können nicht vorläufige und wechselnde Meinungsmehrheiten sein, sondern nur die Anerkennung eines objektiven Sittengesetzes, das als dem Menschen ins Herz geschriebene »Naturgesetz« normgebender Bezugspunkt eben dieses staatlichen Gesetzes ist.“ 

Eine Demokratie, die sich nicht am Sittengesetz orientiert, wird auch keinen „stabilen Frieden“ sicherstellen können: „Im Hinblick auf die Zukunft der Gesellschaft und die Entwicklung einer gesunden Demokratie ist es daher dringend notwendig, das Vorhandensein wesentlicher, angestammter menschlicher und sittlicher Werte wiederzuentdecken, die der Wahrheit des menschlichen Seins selbst entspringen und die Würde der Person zum Ausdruck bringen und schützen: Werte also, die kein Individuum, keine Mehrheit und kein Staat je werden hervorbringen, verändern oder zerstören können, sondern die sie nur anerkennen, achten und fördern werden müssen.“

Das „unverletzliche Recht auf Leben“ ist das erste und grundlegendste aller Rechte eines „jeden unschuldigen Menschen“: „Die gesetzliche Tolerierung von Abtreibung oder Euthanasie kann sich gerade deshalb keinesfalls auf die Respektierung des Gewissens der anderen berufen, weil die Gesellschaft das Recht und die Pflicht hat, sich vor den Mißbräuchen zu schützen, die im Namen des Gewissens und unter dem Vorwand der Freiheit zustande kommen können.“ Das „fundamentale Grundrecht auf Leben“ wird nicht anerkannt, wenn Gesetze Abtreibung und Euthanasie und damit die „unmittelbare Tötung unschuldiger Menschen“ für rechtmäßig erklären: „Die Gesetze, die Abtreibung und Euthanasie zulassen und begünstigen, stellen sich also nicht nur radikal gegen das Gut des einzelnen, sondern auch gegen das Gemeinwohl und sind daher ganz und gar ohne glaubwürdige Rechtsgültigkeit. Tatsächlich ist es die Nicht-Anerkennung des Rechtes auf Leben, die sich, gerade weil sie zur Tötung des Menschen führt – in dessen Dienst zu stehen die Gesellschaft ja den Grund ihres Bestehens hat –, am frontalsten und irreparabel der Möglichkeit einer Verwirklichung des Gemeinwohls entgegenstellt. Daraus folgt, daß ein staatliches Gesetz, wenn es Abtreibung und Euthanasie billigt, eben darum kein wahres, sittlich verpflichtendes staatliches Gesetz mehr ist.“

Was bedeutet das für den gläubigen katholischen Christen? Der Papst betont den Gehorsam gegenüber Gott und schreibt: „Abtreibung und Euthanasie sind also Verbrechen, die für rechtmäßig zu erklären sich kein menschliches Gesetz anmaßen kann. Gesetze dieser Art rufen nicht nur keine Verpflichtung für das Gewissen hervor, sondern erheben vielmehr die schwere und klare Verpflichtung, sich ihnen mit Hilfe des Einspruchs aus Gewissensgründen zu widersetzen. … Aus dem Gehorsam gegenüber Gott – dem allein jene Furcht gebührt, die Anerkennung seiner absoluten Souveränität ist – erwachsen die Kraft und der Mut, den ungerechten Gesetzen der Menschen zu widerstehen.“

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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