CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Sonntagspredigt von Kardinal Kurt Koch beim Romtreffen des Schülerkreises von Joseph Ratzinger bzw. des Neuen Schülerkreises Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. am Campo Santo Teutonico.

Zum feierlichen Abschluss des Symposiums über das reiche Erbe von Papst Benedikt XVI. haben wir uns in der Kirche des Campo Santo Teutonico versammelt, in der Joseph Ratzinger als Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre jeweils am Donnerstag die Heilige Messe gefeiert und das Evangelium ausgelegt hat. Wir können sein Erbe nicht besser aufnehmen als dadurch, dass wir auch heute den Zuspruch und Anspruch des Evangeliums annehmen und zu leben versuchen. Dazu werden wir von Paulus in der heutigen Lesung ermahnt, wenn er seine Ermutigung an die Gemeinde in Philippi in den Imperativ münden lässt: „Vor allem: lebt als Gemeinde so, wie es dem Evangelium Christi entspricht.“ Dass in der liturgischen Ordnung unserer Kirche heute diese Lesung vorgesehen ist, ist ein sinnvolles Zusammentreffen. Denn in der Lesung wird verdeutlicht, worum es auch Papst Benedikt XVI. gegangen ist. In seinem theologischen Wirken und in seiner Verkündigung standen stets das Evangelium Jesu Christi und seine Zumutung, ihm mit unserem Leben zu entsprechen, im Mittelpunkt.

Den Anspruch des Evangeliums annehmen

Wenn wir uns auch heute dieser Zumutung stellen, besteht der erste Schritt darin, dass wir das Evangelium mit seinem ganzen Ernst annehmen, und zwar so, wie es auf uns zu kommt, nämlich als ein Wort, das uns mit höchster Autorität begegnet. Diese Autorität ist bereits präsent in seinem Namen, wenn wir auf seine ursprüngliche Bedeutung blicken. Damals, als das Evangelium Jesu Christi in die Welt gekommen ist, hat es nicht den etwas niedlich-harmlosen Klang gehabt, den wir heute gerne aus ihm heraushören, wenn wir beispielsweise von der „Guten Nachricht“ zu reden pflegen. Joseph Ratzinger hat aber darauf hingewiesen, dass das Wort „Evangelium“ in der Zeit Jesu vielmehr ein elementar politisches Wort gewesen ist und zur „Politischen Theologie“ von damals gehört hat. Als „Evangelien“ sind damals alle Erlasse des Kaisers bezeichnet worden, und zwar unabhängig von ihren Inhalten und damit selbst im schlechtesten Fall, in dem sie für die betroffenen Menschen keine „Gute Nachricht“ enthalten haben. „Evangelium“ hiess – einfach übersetzt – „Kaiserbotschaft“; dem Wort haftete damit „etwas Majestätisches“ an und „nichts Billig Gefühliges“. „Frohe Botschaft“ war sie nicht in erster Linie wegen ihres Inhalts gewesen, sondern weil sie vom Kaiser und damit von jenem Menschen stammte, der – angeblich – die Welt in Händen hält.

In diesem gewichtigen Sinn ist auch die Botschaft Jesu Christi „Evangelium“, freilich nicht weil uns diese Botschaft auf Anhieb gefallen würde oder weil sie für uns bequem und vergnüglich wäre, sondern weil sie von Dem kommt, Der sich nicht mehr wie der Kaiser anmasst, Gott zu sein und daher seine Botschaften als Evangelien zu deklarieren, der vielmehr der Sohn und damit das lebendige Wort Gottes selbst ist und deshalb in seinem Evangelium den Schlüssel zur Wahrheit hat. Auch wenn uns Christen diese Wahrheit des Evangeliums nicht allezeit als bequem erscheint – und in der Tat auch nicht ist -, ist es doch nur seine Wahrheit, die uns erlöst, weil im Evangelium die Königsbotschaft des ewigen Lebens ertönt.

Auf sie müssen wir deshalb hören und sie ernst nehmen. Darauf weist uns auch die altttestamentliche Lesung hin, wenn Gott durch den Propheten Jesaja spricht: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege.“ Wie sehr dies auch im Neuen Testament zutrifft, wird uns auch im Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg im heutigen Evangelium vor Augen geführt. Wenn wir das Verhalten des Weinbergbesitzers bei der Auszahlung des Lohnes am Abend betrachten, dürften auch wir in geistiger Weise zu jenen Dienern gehören, die über den Gutsherrn murren, weil auch uns sein Handeln als ungerecht erscheinen dürfte. Und wenn wir auf die Frage, warum der Gutsherr so handelt, als Antwort vernehmen, weil er gut ist, werden auch wir irritiert sein. Denn es fällt uns oft genug schwer zu verstehen, dass Jesus die Welt Gottes ganz anders sieht, als wir es in unserer Welt gewohnt sind. Wir haben deshalb immer wieder Grund, uns der Herausforderung der Königsbotschaft des Evangeliums zu stellen und uns zu fragen, was der Herr uns auch heute sagen will.

Die Freude des Evangeliums erfahren

Im Evangelium Christi begegnen wir freilich nicht nur seinem tiefen Ernst, sondern auch der ebenso tiefen Freude, die es uns schenkt. Auch die Freude ist im Wort „Evangelium“ Christi enthalten. Denn das Evangelium beginnt bereits mit Freude, nämlich im Gruss des Engels Gabriel an Maria bei der Verkündigung: „Freue dich, du Begnadete“ (Lk 1, 28). Joseph Ratzinger hat darauf hingewiesen, dass mit diesem Gruss „im eigentlichen Sinn das Evangelium“ beginnt und dass „sein erstes Wort “ ist: „die von Gott herkommende neue Freude, die die alte und unbeendliche Trauer der Welt durchbricht“.

Das Evangelium Christi beginnt mit Freude, weil das innerste Wesen des christlichen Glaubens Freude und das Christentum die Religion der wahren Freude ist. Dabei begegnet uns jene Freude, die uns von Gott zugesprochen wird und auf die es heute auch und gerade in der Kirche entscheidend ankommt. Denn nicht wenige Vorkommnisse in ihr könnten einem die Freude nehmen. Doch die Freude, die uns dann abhanden käme, wäre gewiss nicht die Freude des Evangeliums, sondern die Freude, die wir uns selbst bereiten. Aus eigener Erfahrung wissen wir aber, dass selbst produzierte Freude es höchstens zur Fröhlichkeit bringt, die selten lange Bestand hat. Die Freude, um die es im Evangelium geht, ist jene Freude, die Gott an uns hat, mit der er uns begegnet und die aus seiner Gnade kommt. Darauf weist bereits die Sprache hin, dass nämlich das griechische Wort für Gnade –charis – sich vom gleichen Wortstamm herleitet wie das Wort für Freude – chara. Wenn der Engel Maria als „Du Begnadete“ grüsst und sie zur Freude einlädt, bringt er damit zum Ausdruck, dass die Gnade Gottes die Quelle aller Freude ist und alle Freude aus der Gnade Gottes kommt.

Solche Freude ist so sehr das Erkennungszeichen des christlichen Glaubens, dass man als Kriterium für eine heute so notwendige Unterscheidung der Geister formulieren kann: Überall dort, wo – auch und gerade in der Kirche – Freudlosigkeit und deprimierte Aufgebrachtheit herrschen, ist der Geist Jesu Christi gewiss nicht am Werk. Dort wirkt vielmehr der manchmal so freudlos gewordene Zeitgeist. Wir haben heute allen Grund, den Heiligen Geist zu bitten, dass er uns die Freude des Evangeliums schenkt. Sie ist die Freude, Jesus Christus kennen zu dürfen, die Freude, zur Glaubensgemeinschaft der Kirche zu gehören, und die Freude, im Vorblick auf das ewige Leben unsere irdische Existenz zu leben.

Das Evangelium weitergeben

Der heilige Paulus ist so sehr von der Freude des Evangeliums erfüllt gewesen, dass er am liebsten aufgebrochen wäre, um zu Christus zu gehen und bei ihm zu sein, weil Er, wie Paulus voll Freude bekennt, für ihn das Leben ist. Das Einzige, das ihn davon abhält, ist die Einsicht, es sei im Blick auf das Wohl der Gemeinde in Philippi „notwendiger, dass ich am Leben bleibe“. In einer sehr drastischen Weise ist damit eine dritte Perspektive angesprochen, wie wir dem Evangelium Christi entsprechen sollen und können. Diese Perspektive besteht darin, dass wir das Evangelium, das wir empfangen und angenommen haben und das uns wahre Freude schenkt, unmöglich für uns behalten dürfen. Wir müssen es vielmehr weitergeben an andere Menschen, damit auch ihnen die Freude des Evangeliums und damit das Wort des ewigen Lebens zuteil wird.

Diese Perspektive nennt der christliche Glaube Mission. Dieses Wort erfreut sich heute selbst in der Kirche nicht besonderer Beliebtheit. Es weckt bei vielen den Eindruck, wir Christen wollten anderen Menschen unseren Glauben aufdrängen. Um ein solches Missverständnis glaubwürdig zu entkräften, hat Papst Benedikt XVI. auch diesbezüglich ein klares Wort gesprochen: „Die Kirche betreibt keinen Proselytismus. Sie entwickelt sich vielmehr durch Anziehung. Wie Christus mit der Kraft seiner Liebe, die im Opfer am Kreuz gipfelt, alle an sich zieht, so erfüllt die Kirche ihre Sendung in dem Mass, in dem sie mit Christus vereint, jedes Werk in geistlicher und konkreter Übereinstimmung mit der Liebe ihres Herrn erfüllt.“3

Wenn sich die Kirche durch Anziehung entwickelt, dann besteht das Wesen der Mission in einem glaubwürdig gelebten christlichen Zeugnis. Die Mission geschieht heute in erster Linie nicht durch konsumfreundliche Werbung oder durch die Verbreitung von viel Papier und auch nicht in den Medien. Das entscheidende Medium der Ausstrahlung Gottes sind wir selbst, Christen und Christinnen, die ihren Glauben glaubwürdig leben und so dem Evangelium ein persönliches Gesicht geben. Wenn wir glauben, dass Christus das Licht der Welt ist, dann werden wir von selbst Christen und Christinnen mit Ausstrahlung sein, die gleichsam wie finnische Kerzen leben, die bekanntlich von innen nach aussen brennen und so Licht geben.

Und wenn auch wir wie Paulus überzeugt sind, dass Christus unser Leben ist, dann wird doch jeder, der Christus begegnen und die Freude seines Evangeliums erfahren durfte, von selbst zu den Menschen gehen und ihnen sagen: Wir haben Christus gefunden, der am Kreuz aus Liebe sein Leben für uns dahingegeben hat, damit wir ewiges Leben haben. Dann kommt an den Tag, dass Mission nicht etwas ist, das dem Glauben äusserlich hinzugefügt werden müsste und könnte. Sie ist vielmehr die innere Dynamik des Glaubens selbst. Da christliche Mission in ihrem innersten Kern Zeugnis für die Liebe Gottes ist, die in Christus erscheinen ist, kann sie nur in Liebe geschehen. Und zur mitmenschlichen Liebe gehört es, dass wir das Kostbarste, das wir empfangen haben, nicht selbstgenügsam für uns behalten, sondern an unsere Mitmenschen weitergeben. Denn Selbstgenügsamkeit verfehlt nicht nur etwas am Glauben, sondern verfehlt ihn selbst.

Empfangen, Loben und Weitergeben

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Wie also sieht das christliche Leben aus, damit es dem Evangelium Christi entsprechen kann? Von den biblischen Texten her können wir es mit drei Glaubensbewegungen zusammenfassen, die unlösbar zusammengehören: Wir empfangen das Evangelium, nehmen es mit seinem Zuspruch und Anspruch an und nehmen es in unser Leben hinein. Wir danken und loben Christus für sein Evangelium, das uns die erlösende Botschaft zuspricht, dass Christus unser Leben ist und unser Leben mit tiefer Freude erfüllt. Und wir geben das Evangelium an andere Menschen weiter, damit auch sie von seiner Freude erfüllt werden.

Empfangen, Loben und Weitergeben sind die drei Grundbewegungen, in denen sich der christliche Glaube so vollzieht, dass er dem Evangelium Jesu Christi entspricht und wir auch heute ehrlich bekennen können, „dass Christus durch meinen Leib verherrlicht wird, ob ich lebe oder sterbe. Denn für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn.“ Amen.