CNA Deutsch dokumentiert im Wortlaut die Predigt von Kurienkardinal Kurt Koch bei der Vesper am Hochfest Allerheiligen am Mittwochabend in der Kirche des Campo Santo Teutonico im Vatikan.

„Mitten im Leben sind wir mit dem Tod umfangen“: Dieser sehr kurze, aber inhaltsschwere Satz aus einem der grossen Choräle der Christenheit formuliert eine unbestreitbare Lebenserfahrung von uns Menschen. Er bringt die harte Wahrheit unseres menschlichen Lebens zum Ausdruck, das auf der Erde mit Sterben und Tod endet. An diese harte Wahrheit erinnert uns der Ort, an dem wir zur feierlichen Vesper versammelt sind. Denn ganz nahe liegt der Friedhof mit den vielen Gräbern. Das Grab ist das deutlichste Zeichen für das endgültige Ende des irdischen Lebens des Menschen. Von einem Menschen, der ins Grab gelegt worden ist, pflegen wir mit Recht zu sagen, er sei zur letzten Ruhe gebettet worden. In einem übertragenen Sinn steht das Grab auch für das Ende der menschlichen Hoffnungen. Das Grab signalisiert das endgültige Ende aller menschlichen Möglichkeiten.

Der Friedhof vor der Kirche erinnert uns daran, dass das Grab auch und sogar das Zeichen menschlicher Grausamkeiten ist. Denn der Friedhof befindet sich an jenem Ort, an dem in der Römerzeit der Zirkus des Kaisers Nero gestanden hat, bei dem er sein makabres Schauspiel mit dem Tod hat durchführen lassen und bei dem die ersten christlichen Märtyrer gewaltsam umgebracht worden sind. Und wenn wir in die heutige Welt hinein schauen, müssen wir feststellen, dass das makabre Schauspiel mit dem Tod weitergeführt wird. Dies ist die traurige Botschaft jenes Ortes, der Campo heisst.

Dieser Campo hat aber ein wichtiges Adjektiv erhalten: Er ist Campo Santo. Er ist für uns Christen ein heiliger Ort geworden. Dieses Adjektiv verdankt der Ort der Tatsache, dass bei ihm auch der Apostel Petrus begraben worden ist. Sein Grab verkündet, dass der Glaube des heiligen Petrus und mit ihm der Glaube der Heiligen, die mit ihrem Leben Christus bezeugt haben, sich als stärker erwiesen haben als die grausame Gewalt des Tyrannen Nero. Während dessen Leben mit dem Selbstmord geendet hat, ist über dem Grab des Petrus das Licht des lebensfreundlichen Gottes aufgeschienen. Der Ort, wo der Kaiser das grausame Geschäft mit dem Tod getrieben hat, ist zum Ort des Lebens geworden. Er ist ein heiliger Ort geworden: Campo Santo.

Neronischer Campo des Todes und Campo Santo des Glaubens liegen in unserer Welt – auch heute – ganz nahe beieinander. Der Campo ist Campo Santo geworden aus dem einfachen, aber bedeutsamen Grund, weil das Grab des Petrus und mit ihm das Grab aller Christen Anteil an jenem Geschehen erhalten hat, das sich im Grab Jesu ereignet hat. Auch dieses Grab schien zunächst das Ende aller menschlichen Möglichkeiten und das Ende aller menschlichen Hoffnungen zu signalisieren. In diesem Grab hat sich aber die viel grössere Lebensmacht Gottes erwiesen, die über den Tod hinausweist und hinausreicht. Denn der Sieg der Lebens über den Tod ist nichts weniger als die „Kernspaltung im Innersten des Seins“.

Diese Macht ist die Kraft der Liebe. Indem Jesus für uns Menschen gestorben und begraben worden ist, hat Gott selbst in dieses Grab hinein die Wärme seiner grenzenlosen Liebe gebracht. Indem die Liebe Gottes in das Reich des Todes eingedrungen ist, ist das Grab Jesu, das bittere Zeichen des Endes des Lebens, zum Zeichen des Lebens und der Hoffnung geworden. Im wahrsten Sinn des Wortes ist das Grab Jesu zum Campo Santo geworden.

Das Grab enthält auch für uns Christen weiterhin die Botschaft von der Unausweichlichkeit von Sterben und Tod; und auch wir Christen brauchen diese bittere Wahrheit nicht zu verdrängen. Dazu ermutigt uns sogar der Blick auf die schmerzhafte Gottesmutter, der die Kirche im Campo Santo gewidmet ist. Auch wir Christen müssen immer wieder die Erfahrung machen, dass wir mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind. Doch das Grab des Petrus und mit ihm die Gräber von allen, die wie Petrus an Christus geglaubt haben, enthalten die noch viel grössere Botschaft, dass im Kraftfeld des Todes die Lebensmacht der Liebe Gottes aufgeschienen ist. Denn der christliche Glaube hat den Mut und die Kraft, die unbestreitbare Wahrheit des alten Chorals, dass wir mitten im Leben mit dem Tod umfangen sind, gleichsam auf den Kopf zu stellen mit der viel grösseren Wahrheit, dass wir mitten im Tod mit dem Leben umfangen sind, mit dem befreienden und ewigen Leben Gottes. Diesen Glauben bezeugen auch die vielen Blumen und Kerzen auf den Gräbern im Campo Santo.

Das Grab spricht auch für uns Christen von der Unausweichlichkeit von Sterben und Tod. Es spricht aber zugleich und noch viel mehr von Auferstehung und Leben. Denn es spricht von der unbeirrbaren Liebe Gottes zu uns Menschen. Wie sich bereits menschliche Liebe nie mit dem Tod abfindet, sondern dem geliebten Menschen ewiges Leben wünscht und gönnt, so will erst recht die grenzenlose und unendliche Liebe Gottes für jeden Menschen Ewigkeit. Ja, die Liebe Gottes will nicht nur ewiges Leben, sondern schenkt es auch. Als Christen dürfen wir in der Hoffnung leben, dass wir von Gott so endgültig geliebt sind, dass wir von seiner Liebe auch über den irdischen Tod hinaus erwartet sein werden. Wie wir in der Lesung die tröstliche Botschaft vernehmen duften, kann uns von der Liebe Gottes nichts scheiden, was auch immer in unserem Leben und Sterben geschehen mag.

Der Glaube an das ewige Leben bildet deshalb den Ernstfall der christlichen Hoffnung überhaupt. Diese Wahrheit hat am Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts der spanische Philosoph Miguel de Unamuno auf den Punkt gebracht, als er geschrieben hat: „Als ich mich eines Tages mit einem Bauern unterhielt, sprach ich ihm von der Möglichkeit, dass es einen Gott geben könnte, der über Himmel und Erde regiert (aber keine Unsterblichkeit verleiht). Er antwortete: “ Für den Bauer gehören der Glaube an Gott und der Glaube an das ewige Leben unlösbar zusammen. In der Tat „brauchen“ wir Menschen Gott, weil das ewige Leben nicht das Ergebnis von menschlichen Möglichkeiten, sondern das Geschenk der Liebe Gottes ist. Das ewige Leben beruht einzig auf unserer Beziehung zu jener Wirklichkeit Gottes, die selbst ewig ist und allein ewiges Leben zu schenken vermag.

Damit kommt vor unsere Augen, was ein heiliger Mensch ist. Ein Heiliger ist ein Mensch, der sich ganz von der Liebe Gottes erfüllen, gleichsam bewohnen lässt, so dass er andere Menschen in seiner Liebe wohnen lassen kann. Wer sich von der Liebe Gottes ganz bewohnen lässt, lebt dann in der unbeirrbaren Hoffnung, dass die Liebe Gottes für ihn und alle, die zu ihm gehören, ewige Wohnung sein wird. Diese Wohnung nennt der christliche Glaube Himmel, der eine ganz und gar gemeinschaftliche Wirklichkeit ist. Der Himmel ereignet sich nicht nur zwischen mir und Gott; in der Begegnung mit Gott öffnet sich der Himmel vielmehr auch für die Mitmenschen. Als Gemeinschaft der Heiligen ist er auch die Erfüllung alles menschlichen Miteinander.

Von daher wird der tiefste Grund sichtbar, dass in der Liturgie unserer Kirche auf das Hochfest von Allerheiligen unmittelbar Allerseelen folgt und dass die zweite Vesper von einem Fest zum anderen hinüberführt. Beide verkünden uns die schöne Botschaft unseres Glaubens, dass die grenzenlose Liebe Gottes viel mächtiger ist als der Tod und als die vielen Handlanger des Todes auch in der heutigen Welt. In dieser Hoffnung des Glaubens besuchen wir am Allerseelentag die Gräber und segnen sie. Wir sprechen ihnen das Beste zu, das wir als Glaubende sagen können: Wir sprechen ihnen die Liebe Gottes zu, die stärker ist als der Tod und die die Menschen, die er geschaffen hat, auch in Ewigkeit bei sich haben will. Und wir danken Gott, dass der grausame Friedhof des Nero mit dem Grab des Petrus und so vieler anderer Glaubenszeugen zum Campo Santo, zum heiligen Feld des Lebens geworden ist und es auch heute ist. Amen.

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