Viele gläubige Christen aller Konfessionen, aber auch Agnostiker und Andersgläubige, hören in den Tagen des Advents gern das festliche „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach und sind Jahr für Jahr erfüllt von den erhebenden Klängen, die ernst und feierlich erklingen. Die altvertrauten Melodien berühren von innen her. Sie haben sich in die andächtigen Herzen der Christen eingeschrieben. Manche mögen bei Paul Gerhardts Gedicht „Wie soll ich dich empfangen“, dessen erste Strophe Bach in sein „Weihnachtsoratorium“ mit aufgenommen und vertont hat, besonders innehalten:

Wie soll ich dich empfangen
und wie begegn ich dir,
o aller Welt Verlangen,
o meiner Seelen Zier?
O Jesu, Jesu, setze
mir selbst die Fackel bei,
damit, was dich ergötze,
mir kund und wissend sei.

Die Frage reicht sehr viel weiter, als sie zunächst erscheint – wie soll ich dich, Herr, empfangen? Umfangen sind wir zunächst von festlichen, aber doch säkularen Vorbereitungen auf das Weihnachtsfest. Für den Heiligen Abend selbst muss alles trefflich dekoriert und zubereitet sein. Die Geschenke sind sorgfältig ausgewählt und verpackt. Glücklich sind all jene Familien, in denen leuchtende Kinderaugen sich an liebevollen Gaben erfreuen und staunend die Krippe bewundern werden. Nichts vielleicht ist schöner auf dieser Welt als die unverstellte, herzliche Freude der Kinder, wenn sie beginnen, unterm Tannenbaum ihre Präsente auspacken. Doch die Worte Gerhardts, von Bach vertont, klingen noch nach. Vielleicht fragen wir uns: „Wie soll ich dich empfangen? Bist du, Herr, wirklich heute aller Welt Verlangen? Bist du zuinnerst meiner Seele Zier?“ So geraten wir mitten am hochheiligen Weihnachtsfest ins Grübeln. Manchem mag zunächst der Kummer dieser Welt, die von grausamen Kriegen erschüttert ist, anderen mögen die eigenen Unzulänglichkeiten, Fehler, Mängel und Sünden in den Sinn kommen. Dürfen wir auf Erlösung hoffen? Vertrauen wir darauf, dass das Kind in der Krippe uns lichtvoll den Weg weist und uns die „Fackel“, das Licht des Glaubens und die treue Liebe zur Kirche des Herrn schenkt, „damit, was dich ergötze, mir kund und wissend sei“. In den Strophen 7 und 8 zeigt uns Paul Gerhardt, dass wir – in der kindlichen Freude des Weihnachtsfestes – den Mensch, ja den Baby gewordenen Gott einfach nur anbeten und lieben dürfen:

Er kommt, er kommt mit Willen,
ist voller Lieb und Lust,
all Angst und Not zu stillen,
die ihm an euch bewusst.
Auch dürft ihr nicht erschrecken
vor eurer Sünden Schuld;
nein, Jesus will sie decken
mit seiner Lieb und Huld.

Gott kennt und liebt seine Geschöpfe, er kommt „mit Willen“ und er will sie ganz und gar „decken“ mit der unvergleichlichen „Lieb und Huld“ – denn er weiß, was auf uns lastet. Er kennt die Sünden, und er kennt auch die Kreuze in unserem Leben. Dass Krippe und Kreuz aus demselben Holz gemacht sind, wird uns auf besondere Weise gegenwärtig, wenn wir Bachs Vertonung von „Wie soll ich dich empfangen“ hören. Der Komponist verwendete die Choralmelodie von „O Haupt voll Blut und Wunden“ aus der Matthäus-Passion für die erste Strophe dieses demütigen Weihnachtsliedes. Die Menschwerdung Gottes steht schon im Zeichen der Passion und die Krippe von Bethlehem im Schatten des Kreuzes. Wenn wir Weihnachten feiern, können, dürfen und müssen wir auch zugleich auf das Ganze schauen, auf die Hoffnung, die uns trägt und hält, in die die Freude dieser Zeit ebenso eingezeichnet ist wie die Passionsgeschichte, wie das Leid, von dem wir umgeben, von dem wir be- und getroffen sind. Wir sehen und beten an den König der Könige – und wir treten ein, wie der heilige Franz von Sales dies auf wunderbare Weise formuliert hat, durch die „königliche Pforte“, die ganz anders ist als alle Pracht und Herrlichkeit dieser Welt: „Das Kreuz ist die königliche Pforte, durch welche man zum Tempel der Heiligkeit eingeht; wer sie anderswo sucht, wird nie ein Körnchen davon finden“ (Jean Pierre Camus: Geist des hl. Franz v. Sales, XVII, München 1832, 10). Die „königliche Pforte“ war verschlossen bis zu dem Tag, an dem der Heiland hervortrat, von Herzen bewegt und beflügelt, von göttlicher Liebe erfüllt. Mit Paul Gerhardts Worten gesagt:

Nichts, nichts hat dich getrieben
zu mir vom Himmelszelt
als das geliebte Lieben,
damit du alle Welt
in ihren tausend Plagen
und großen Jammerlast,
die kein Mund kann aussagen,
so fest umfangen hast.

Die „königliche Pforte“ steht offen, für uns alle. Wir dürfen gläubig das göttliche Kind in der Krippe auch heute anbeten und lieben. Das ist unsere Berufung, ob Kleriker oder Weltchrist, für die wir nur dankbar sein können. An der Krippe können wir uns die letzten Worte unseres verehrten Papstes Benedikt XVI. zu eigen machen und dankbar bekennen: „Signore ti amo.“ Herr, ich liebe dich.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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