Ehre Gottes und Friede den Menschen

„Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“ (Lk 2, 14). Diese zweifache Verheissung haben die Gott lobenden Engel verkündet, wie wir im Evangelium in der Heiligen Nacht vernommen haben. In dieser wichtigen Botschaft binden die Engel die Realität des Friedens auf Erden an die Ehre, die wir Menschen Gott erweisen. Darin besteht die entscheidende Wegweisung der Engel an Weihnachten, die sich immer wieder bestätigt hat. Nur wenn wir Gott in der Öffentlichkeit die Ehre geben und so seinen Namen gross machen, wird auch der Mensch gross gemacht und wird dem Frieden auf Erden gedient. Wenn hingegen Gott klein gemacht und aus dem öffentlichen Leben hinauskomplimentiert wird, wird auch der Mensch klein gemacht und herrscht Unfriede. Diesen Unheilszusammenhang haben wir im vergangenen Jahrhundert in den neuheidnischen Diktaturen des Nationalsozialismus und des Sowjetkommunismus in schrecklicher Weise erfahren müssen.

Die Wegweisung der Engel, dass der Friede auf Erden die Ehre Gottes in der Höhe zur unabdingbaren Voraussetzung hat, haben wir auch in der heutigen Welt dringend nötig, die von so viel Terror und Krieg, Leiden und Ohnmacht stigmatisiert ist. Denn in der heutigen Welt ist vom Frieden und vom Weihnachtslicht nicht viel zu spüren. Es ist von daher verständlich, dass sich nicht wenige Menschen die ernste Frage stellen, ob man in der heutigen Welt, in der so viel Licht ausgelöscht wird und Finsternis herrscht, überhaupt noch Weihnachten feiern kann.

In dieser Situation hilft ein Blick in das Weihnachtsevangelium des Johannes weiter. Mit erhabener Feierlichkeit wird uns die wunderbare Botschaft verkündet, dass das Wort bei Gott war, ja selbst Gott ist, aber Mensch geworden ist und unter uns Menschen gezeltet hat. Hört man freilich genauer ins Evangelium hinein, wird diese lichtvolle Botschaft gleich dreimal kontrastiert, ja konterkariert mit einer traurigen Feststellung: „Das Licht leuchtet in der Finsternis, und die Finsternis hat es nicht erfasst.“ Derjenige, der das wahre Licht nicht nur gebracht hat, sondern es selber ist, ist „in sein Eigentum gekommen“, aber „die Seinen nahmen ihn nicht auf“. Und durch Ihn ist die Welt geworden, aber „die Welt erkannte ihn nicht“. Auch diese dreifache Verneinung gegenüber der menschenfreundlichen Initiative Gottes gehört bereits zur ersten Weihnacht hinzu. Und sie stellt uns die selbstkritische und unbequeme Frage, warum wir Menschen so fahrlässig mit dem Licht umgehen, das uns an Weihnachten geschenkt wird.

Diese Feststellung könnte die noch ernstere Frage provozieren, ob nicht auch Gott selbst Grund zur Frage haben könnte, ob man in einer solchen Welt überhaupt noch Weihnachten feiern könne. Das Geheimnis von Weihnachten schenkt uns aber die trostvolle Zusage, dass Gott sich diese Frage nie gestellt hat – weder damals noch heute, und dass er diese Frage nie stellen wird. Denn Gott konnte und wollte mit Weihnachten nicht warten, bis die Welt sich zum Besseren verändert haben und wieder im Lot sein wird. Aller Erfahrung nach hätte Gott da lange warten müssen – bis auf den heutigen Tag. Gott aber wollte sein Weihnachtslicht gerade in die Finsternis der Welt und auch in die dunklen Herzkammern von uns Menschen bringen. Deshalb hat er sein Licht aufleuchten lassen im neugeborenen Kind in der Krippe zu Bethlehem.

Gottes Wahl des Kleinen

Um besser verstehen zu können, warum Gott diesen Weg gewählt hat, lohnt sich ein kurzer Blick in die Geschichte, die Gott mit uns Menschen geführt hat. Diese Geschichte zeigt, dass Gott immer das Kleine und Unscheinbare gewählt hat, um sich uns Menschen zu offenbaren: Diese Geschichte beginnt bereits damit, dass Gott die Erde zum Ort seines erlösenden Handelns ausgewählt hat. Angesichts der unermesslichen und unfassbaren Weite des Kosmos mit der unendlichen Vielzahl von Planeten und Galaxien erscheint es fast zufällig und willkürlich, dass Gott die Erde ausgewählt hat, um seine Geschichte des Heils mit uns Menschen zu führen. Das Wählen Gottes für das Kleine hat ihn aber für die Erde entscheiden lassen, um sich uns Menschen offenbaren zu können.

Auf der kleinen Erde hat Gott Israel, ein damals praktisch machtloses Volk dazu auserwählt, der entscheidende Träger seiner Geschichte mit uns Menschen zu sein. Angesichts der Vielzahl von viel potenteren Völkern erscheint die Wahl Gottes für Israel beinahe abenteuerlich. Bereits im Alten Testament wird uns ja vor Augen geführt, dass die Wahl Israels selbst für Gott voller Risikos gewesen ist. Doch auch hier hat sich Gott für das Kleine entschieden und ist mit seinem Volk den Weg durch die Geschichte gegangen.

In Israel ist es Bethlehem, ausserhalb der wichtigen Orte, das Gott gewählt hat, um uns Menschen nahe zu kommen. Die Wahl Bethlehems erscheint vollends waghalsig, wie der weitere Verlauf der Weihnachtsgeschichte zeigt: Kaum ist das Kind Jesus geboren, droht ihm von den Mächtigen seiner Zeit bereits Gefahr für Leib und Leben, und es findet Rettung allein auf den Armen von Josef und Maria. Selbst die Geburt Jesu übertrifft die Kleinheit unserer Welt: Das neugeborene Kind wird in eine Krippe gelegt, weil in der Herberge kein Platz gewesen ist

Das Wählen Gottes für das Kleine hat mit der Geburt Jesu in der Krippe zu Bethlehem seinen unüberbietbaren Höhepunkt gefunden. Hier zeigt das Handeln Gottes in der Welt seine klare und eindeutige Linie: Die ganz grossen Dinge beginnen bei Gott immer im Kleinen. Bei der ersten Weihnacht ist vollends wahr geworden, dass die Grösse Gottes darin besteht, dass er sich ganz klein machen kann. Darin besteht die innerste Mitte des weihnachtlichen Glaubens an die Menschwerdung des Sohnes Gottes. Denn wenn er Mensch werden will, dann will er offensichtlich nicht nur ein bisschen, sondern ganz Mensch werden und alle Dimensionen des Menschseins annehmen – ausgenommen die Sünde. Er wird ganz konkret Mensch, nämlich als Kind. Denn er will es nicht besser haben als das schwächste Glied in unserer Gesellschaft, als das Kind. Er will in unserer Welt ein Lebewesen sein, das auf die bergende Liebe von uns Menschen angewiesen ist. Er will ein Angewiesener sein, um in dieser elementaren Bedürftigkeit in uns Menschen Zuneigung und Liebe zu ihm zu erwecken.

Fest der Kind-Werdung Gottes

An Weihnachten ist die Identifikation Gottes mit dem Kleinen so weit gegangen, dass Gott nicht nur in diesem Kind, sondern geradezu als dieses Kind Mensch geworden ist. Dieses grosse Geheimnis fordert uns heraus, noch gründlicher danach zu bohren, warum denn Gott an Weihnachten den Weg der Kindwerdung gewählt hat. Eine hilfreiche Antwort hat uns Wilhelm von Thierry, ein bedeutender Theologe im Mittelalter gegeben. Er ist der Überzeugung gewesen, die Grösse und Majestät Gottes hätten seit Adam die Menschen immer wieder zum Widerstand gegen ihn gereizt, da sie sich in ihrem Menschsein eingeschränkt und in ihrer Freiheit bedroht gefühlt hätten. Gott habe deshalb einen neuen Weg gewählt und sich entschieden, selbst Kind zu werden, sich uns Menschen klein, schwach und unserer Liebe bedürftig zu zeigen und in dieser Weise gleichsam einer von uns zu werden. Gott habe dies in der Zuversicht getan, dass wir Menschen uns in unserer Freiheit respektiert wissen, uns von ihm nicht mehr bedroht fühlen, keine Angst mehr von ihm zu haben brauchen, dass wir vielmehr Gott nur noch lieben können.

Das Weihnachtsfest bringt uns deshalb am deutlichsten nahe, wer Gott ist und wie Gott ist. Denn dieses Fest offenbart uns die Schutz- und Wehrlosigkeit des Mensch gewordenen Gottes: Gott wird Kind, weil er in keiner Weise uns Menschen von aussen erobern, sondern von innen her, von Herz zu Herz gewinnen will. In der Wehrlosigkeit des Kindes kommt Gott auf uns Menschen zu und erwartet von uns, dass wir Ihm in Freiheit und Liebe begegnen. Gott kommt uns Menschen so weit entgegen, dass er sich uns gegenüber als Bittsteller erweist und um unsere Liebe wirbt.

Wenn wir dieses tiefen Ernstes von Weihnachten ansichtig werden, werden wir vollends verstehen, dass sich Gott nie, auch nicht angesichts schrecklicher Finsternis der Welt, die Frage stellen würde, ob man noch Weihnachten feiern könne. Gott ist vielmehr überzeugt, dass wir Menschen auch und gerade in einer solchen Welt Weihnachten feiern müssen, um jenes Licht dankbar entgegen zu nehmen, das Gott uns schenkt.

Weihnachten ist deshalb ein elementarer Ernstfall nicht nur für Gott, sondern vor allem für uns Menschen. Dag Hammerskjöld, der zweite Generalsekretär der Vereinten Nationen, hat diesen Ernstfall mit den Worten namhaft gemacht: „Gott stirbt nicht an dem Tag, an dem wir aufhören, an einen persönlichen Gott zu glauben. Aber wir sterben an dem Tag, an dem wir nicht mehr durchdrungen werden von dem immer neuen Glanz des Wunders, das höher ist als alle Vernunft, nämlich dass Gott in Jesus Mensch wurde.“

Das heutige Weihnachtsevangelium stellt uns vor die elementarste Frage, ob wir wirklich glauben, dass der allmächtige, reiche und ewige Gott uns in der Ohnmacht, Armut und Niedrigkeit des Kindes begegnen will und sich dazu klein macht als das neugeborene Kind in der Krippe zu Bethlehem. Wenn wir dies wirklich glauben und den Mensch gewordenen Gott aufnehmen, werden auch wir Kinder Gottes sein, wie Johannes in seinem Evangelium verheisst: „Allen aber, die ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden“ (Joh 1, 17).

Als Kinder Gottes können wir an Weihnachten Gott, der uns in der Demut seiner Kindwerdung nahe kommt, nicht anders begegnen als ebenfalls in Demut. Um Gott in der Krippe wahrnehmen zu können, muss auch ich mich klein machen, in die Knie gehen, mit den Augen eines Kindes Ihm in die Augen sehen und Ihm für das Wunder der Weihnacht von Herzen danken. Dann kann auch bei uns Weihnachten werden, das Fest der Kindwerdung Gottes, und dann werden wir die Frage nicht mehr stellen, ob es denn angebracht sei, in einer Welt wie der heutigen Weihnachten zu feiern. Wir werden diese Frage vielmehr so beantworten, wie Gott selbst es getan hat, damit Ehre sei Ihm in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens. Amen.

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