Über die angefochtene Würde des Menschen wird in der wegweisenden Erklärung Dignitas infinita nachgedacht. Berücksichtigt werden von Kardinal Fernández, dem Präfekten des Dikasteriums für die Glaubenslehre, auch die soziale und existenzielle Dimension, etwa dass arme Menschen in materieller Not ein Leben führen, das der ontologischen Würde nicht adäquat ist: „Dieser Ausdruck bedeutet keineswegs eine Verurteilung der menschlichen Person, sondern soll die Tatsache hervorheben, dass ihre unveräußerliche Würde durch die Situation, in der sie zu leben gezwungen ist, beeinträchtigt wird.“

Darüber hinaus wird die existenzielle Würde als bedroht und beeinträchtigt angesehen, wenn Menschen nicht in Frieden, Freude und Hoffnung leben können, etwa durch das „Vorhandensein schwerer Krankheiten, gewalttätiger familiärer Verhältnisse, bestimmter pathologischer Abhängigkeiten und anderer Schwierigkeiten, die jemanden dazu bringen, seine Lebensverhältnisse gegenüber der Wahrnehmung jener ontologischen Würde, die niemals verdunkelt werden kann, als ‚unwürdig‘ zu erleben“. Die „ontologische Würde“ bleibt in allen Situationen indessen ein „unveräußerlicher Wert“.

Es gibt, anders gesagt, niemals eine Situation, in der menschliches Leben ontologisch nicht lebenswert sein kann. Der Mensch ist Gottes geliebtes Geschöpf: „Der Mensch erschafft seine Natur nicht, er besitzt sie als Geschenk und kann seine Fähigkeiten kultivieren, entwickeln und bereichern. Indem er von seiner Freiheit Gebrauch macht, um den Reichtum seiner eigenen Natur zu kultivieren, baut sich die menschliche Person im Laufe der Zeit auf. Selbst wenn sie aufgrund verschiedener Einschränkungen oder Bedingungen nicht in der Lage ist, diese Fähigkeiten zu nutzen, bleibt die Person immer als ‚unteilbare Substanz‘ mit deren ganzer unveräußerlichen Würde erhalten. Dies ist z. B. bei einem ungeborenen Kind, bei einem bewusstlosen Menschen, bei einem alten Menschen im Todeskampf der Fall.“

Graduell bestehe – so wird dargelegt – ein Verständnis von Menschenwürde bereits in der Antike, völlig zu Recht wird aber einschränkend bemerkt, dass die hellenische und römische Welt „noch weit entfernt [ist] von einem Denken, das die Achtung vor der Würde jedes menschlichen Wesens über alle Umstände hinweg begründen kann“. Das hätte durchaus schärfer akzentuiert werden können, zumal die Kindstötung im alten Rom eine gängige, rechtlich zulässige Praxis war. Auch die in der attischen Welt zu Zeiten Platons bestehenden Formen der Päderastie sind mit dem Begriff und ontologischen Verständnis der Würde unvereinbar.

Entscheidend sind die nun genannten biblischen Perspektiven. Der Mensch besitzt, „nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffen“, eine ihm zukommende Würde. Als Abbild Gottes werden weder die Seele noch intellektuelle Fähigkeiten bezeichnet, sondern das Spezifische des Menschseins, die „Würde von Mann und Frau“: „Beide erfüllen in ihrer gegenseitigen Beziehung der Gleichheit und der gegenseitigen Liebe die Funktion, Gott in der Welt zu repräsentieren, und sind dazu berufen, die Welt zu bewahren und zu pflegen. Nach dem Bilde Gottes geschaffen zu sein bedeutet also, dass wir einen heiligen Wert in uns tragen, der alle geschlechtlichen, sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Unterschiede übersteigt. Unsere Würde wird uns geschenkt; sie ist weder eingefordert noch verdient. Jeder Mensch wird von Gott um seiner selbst willen geliebt und gewollt und ist daher in seiner Würde unantastbar.“

Jesus bekräftige den „Wert und die Würde all derer, die das Ebenbild Gottes tragen, unabhängig von ihrem sozialen Status und ihren äußeren Umständen“: „Jesus hat kulturelle und kultische Schranken niedergerissen und den ‚Ausgestoßenen‘ oder denjenigen, die am Rande der Gesellschaft stehen, ihre Würde zurückgegeben: den Zöllnern (vgl. Mt 9,10–11), den Frauen (vgl. Joh 4,1–42), den Kindern (vgl. Mk 10,14–15), den Aussätzigen (vgl. Mt 8,2–3), den Kranken (vgl. Mk 1,29–34), den Fremden (vgl. Mt 25,35), den Witwen (vgl. Lk 7,11–15). Er heilt, speist die Hungrigen, er verteidigt, befreit, er rettet. Er wird als fürsorglicher Hirte für das eine verlorene Schaf beschrieben (vgl. Mt 18,12–14).“

Nicht allein die „Kleinen“, also die „unmündigen Kinder“ – und selbstverständlich auch das ungeborene Leben –, sondern auch die Wehrlosen, die Ausgegrenzten und Unwissenden, werden zu jenen gezählt, mit denen sich der Herr selbst identifiziert: „Der glorreiche Christus wird aufgrund der Nächstenliebe richten, die darin besteht, dem Hungrigen, dem Durstigen, dem Fremden, dem Nackten, dem Kranken, dem Gefangenen, mit denen er sich identifiziert, geholfen zu haben (vgl. Mt 25,34–36). Für Jesus ist das Gute, das jedem Menschen getan wird, unabhängig von den Banden des Blutes oder der Religion, das einzige Beurteilungskriterium.“

Aufgezeigt wird sodann der Weg des christlichen Denkens über die neuzeitliche Philosophie hin bis in die Gedankenwelt der Aufklärung. Der Begriff der Menschenwürde werde im 20. Jahrhundert mit der „Einzigartigkeit der menschlichen Person“ verbunden. Die Würde kann nicht zuerkannt oder entzogen und auch nicht erworben werden: „Würde die Menschenwürde der Person von anderen Menschen verliehen, dann wäre sie bedingt und veräußerbar, und der eigentliche Sinn der Würde (so sehr sie auch zu achten ist) bliebe der Gefahr ausgesetzt, abgeschafft zu werden. In Wirklichkeit ist die Würde der Person innewohnend und wird eben nicht erst im Nachhinein verliehen; sie geht jeder Anerkennung voraus und kann nicht verloren werden. Folglich besitzen alle Menschen die gleiche, ihnen innewohnende Würde, unabhängig davon, ob sie in der Lage sind, diese angemessen zum Ausdruck zu bringen oder nicht.“ Die Würde des Menschen ist unantastbar und besteht durchgängig von der Empfängnis bis zum Lebensende.

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