CNA Deutsch präsentiert die folgende Predigt zum bevorstehenden neunten Sonntag im Jahreskreis.

Die Botschaft der ersten Lesung (Dt 5,12–15) und die des Evangeliums (Mk 2,23–3,6) scheinen im Gegensatz zueinander zu stehen. In der ersten Lesung findet sich das Gebot, die Sabbatruhe einzuhalten; im Evangelium haben wir Jesus, der sich über den Sabbat stellt, bis hin zu dem Punkt, dass die Pharisäer – überzeugte Verteidiger des Gesetzes – mit den Anhängern des Herodes übereinkommen, ihn töten zu lassen.

Die aktuelle Interpretation tendiert dazu, zu sagen, dass Jesus eine restriktive gesetzliche Praxis aus den Angeln gehoben und an deren Stelle eine großzügigere und liberalere Vision eingeführt hat, die die Tür öffnet für ein vernünftiges Handeln, das jeder Situation angepasst ist. Beweis dafür sei der Satz: „Der Sabbat wurde für den Menschen gemacht, nicht der Mensch für den Sabbat“ (Mk 2,27).

Hierbei handelt es sich um eine anthropozentrische Sicht der Wirklichkeit, aus der sich eine „liberale“ Interpretation der Gebote ergeben würde.

Der Ungehorsam gegenüber einigen Vorschriften hinsichtlich des Sabbats wurde jedoch von vielen Rabbinern zur Zeit Jesu weitgehend gerechtfertigt.

Dieser Punkt trifft also nicht den Kern der Sache, wie Joseph Ratzinger in den Seiten seines Buches „Jesus von Nazareth“ hervorhebt, die sich mit dem Streit um den Sabbat befassen. Der maßgebliche Aspekt ist die Antwort Jesu an diejenigen, die seine Jünger anklagen. Er bezieht sich auf David, der „zur Zeit des Hohepriesters Ábjatar in das Haus Gottes ging und die Schaubrote aß, die außer den Priestern niemand essen darf, und auch seinen Begleitern davon gab“.

Jacob Neusner, ein vor nicht allzu langer Zeit verstorbener Rabbiner, kommentiert zu Recht, dass Jesus hier sagt, dass er und seine Jünger am Sabbat das tun können, was sie tun, weil sie den Platz der Priester im Tempel eingenommen haben. Der heilige Ort hat sich verschoben. Er besteht nun aus dem Kreis des Meisters und seiner Jünger. Deshalb geht es hier um den Autoritätsanspruch von Seiten Jesu, so der Rabbi weiter. In Wirklichkeit nimmt Christus die Stelle des Gesetzes ein, seine Gemeinschaft nimmt den Platz des Tempels ein, seine Jünger eignen sich die priesterlichen Funktionen an. Schockiert wendet sich Neusner dann an den Jünger Jesu und fragt, ob es denn wirklich wahr ist, dass sein Meister, der Menschensohn, Herr über den Sabbat ist – dass sein Meister Gott ist!

Ja, unser Meister, Jesus Christus, ist Gott. Es ist der göttliche Glanz, der auf dem Antlitz Christi aufstrahlt (2 Kor 4,6). Aber als „Herr über den Sabbat“ schafft Jesus den Sabbat nicht ab (wenn er das täte, würde er seine Herrschaft abschaffen: er wäre Herr über etwas, das es nicht mehr gibt). Jesus ist nicht gekommen, um das Gesetz aufzuheben, sondern um es zu erfüllen (Mt 5,17). Jesus legt für das Gebot Gottes einen neuen und unendlich viel weiteren Raum fest: Das Gebot ist gegeben, um Gutes zu tun, um Leben zu retten (Mk 3,4).

Es geht also darum, mit Christus in den Gehorsam gegenüber dem Vater einzutreten. Der ganze authentische Inhalt der Befolgung der Gebote wird in ihm wiedererlangt und kommt in ihm zur Geltung.

In diesem Punkt sehen sich Christen immer von zwei gegensätzlichen Gefahren bedroht. Auf der einen Seite gibt es den Legalismus, den Paulus bekämpft: ein Befolgen gemäß „den Elementarmächten der Welt“, basierend auf Kalendern, Formeln, Rubriken und Vorschriften. Auf der anderen Seite gibt es die Ablehnung der Regeln, die sich in eine spiritualistische und anarchische Interpretation stürzt, welche die Bedürfnisse der menschlichen Konkretheit leugnet – die hingegen Zeiten, Räume und Strukturen braucht, damit „das Leben Jesu an unserem sterblichen Fleisch offenbar wird“ (2 Kor 6,11).

Jesus, der Menschensohn, der Herr über den Sabbat ist, ist kein Rebell gegen das Gesetz oder ein Zerstörer der Religion. Er ist der authentische Interpret des Gesetzes selbst, der es zur Erfüllung bringt und der den Weg der „wahren Religion” weist, das heißt jenen des freien und verantwortungsvollen Gehorsams gegenüber dem Willen des Vaters, der Respekt hegt für Normen und Strukturen, ohne aber deren Sklave zu sein.

Aldo Vendemiati ist Priester und Professor an der Philosophischen Fakultät der Päpstlichen Universität Urbaniana. Sein Blog findet sich HIER. Die Predigt wurde mit freundlicher Genehmigung veröffentlicht.

Hinweis: Meinungsbeiträge wie dieser spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gast-Autoren wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.

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