Die Todesstrafe bleibt ein zutiefst umstrittenes Thema – politisch, moralisch und spirituell. Während die Kirche weltweit ihre klare Ablehnung betont, ringen viele Gläubige noch mit Fragen nach Gerechtigkeit, Schuld und Vergebung. Der Sekretär für die Beziehungen des Heiligen Stuhls zu Staaten und internationalen Organisationen, Erzbischof Paul Richard Gallagher, hatte dazu kürzlich vor den Vereinten Nationen in Genf gesprochen. Im Gespräch mit dem Ständigen Vertreter des Heiligen Stuhls bei der UN in Genf, Erzbischof Ettore Balestero, geht es um eine tiefere Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Es gibt keine Schuld, die irgendjemandem – auch nicht dem Staat – das Recht gibt, das Leben eines anderen zu fordern.“ Dies ist ein Zitat von Papst Franziskus. Und doch gibt es noch immer viele Katholiken, die an ein „Auge um Auge“-Verständnis von Gerechtigkeit glauben. Wie also können wir als Kirche den Ruf zur Vergebung mit einer Gesellschaft versöhnen, die noch immer nach Rache schreit?

Vergeltung ist, meine ich, ein Prinzip, das in unserer Zeit – in diesem Fall – nicht mehr auf die Todesstrafe anwendbar ist. Und genau deshalb ist die Todesstrafe heute nicht mehr akzeptabel bzw. sollte nicht mehr akzeptabel sein. Ich meine, bis vor wenigen Jahren hat die katholische Kirche die Todesstrafe noch erlaubt. Sie sagte, sie sei zulässig, wenn dies der einzige mögliche Weg sei, um das Leben Unschuldiger wirksam gegen einen ungerechten Angreifer zu verteidigen. Zugleich wurde aber betont, dass die Fälle, in denen das absolut notwendig sei, sehr selten seien – wenn nicht praktisch gar nicht existent.

Nun sind Jahre vergangen. Nicht die Theologie hat sich geändert, sondern die konkrete Situation und unser Verständnis haben sich weiterentwickelt. Heute gibt es ein wachsendes Bewusstsein, zunächst dafür, dass die Würde des Menschen auch nach der Begehung schwerster Verbrechen nicht verloren geht. Und vor allem hat sich ein neues Verständnis vom Sinn strafrechtlicher Sanktionen durch den Staat herausgebildet. Sie werden nun noch mehr als Mittel zur Resozialisierung verstanden.

Und was noch wichtiger ist: Es handelt sich nicht um eine Änderung der Lehre, sondern um eine Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten. Es wurden nämlich effektivere Haftsysteme entwickelt, die einen wirksamen Schutz der Bürger gewährleisten – und gleichzeitig ist es nicht mehr notwendig, einer schuldigen Person die Möglichkeit zur Umkehr zu verwehren. Deshalb ist die Todesstrafe heute unzulässig. Und sie ist unzulässig, weil sie einen Angriff auf die Unantastbarkeit und – letztlich – auf die Würde des Menschen darstellt.

Auch wenn die Kirche die staatliche Souveränität achtet, erklärt sie die Todesstrafe unter allen Umständen für „unzulässig“. Sollte sie deshalb nicht noch entschiedener Regierungen – selbst in katholisch geprägten Ländern – herausfordern, die weiterhin an der Todesstrafe festhalten, selbst wenn das zu politischen Spannungen führt?

Wir fordern Regierungen öffentlich heraus – durch all unsere Arbeit auf internationaler Ebene. Denken Sie nur an unsere Interventionen im Rahmen der Universellen Periodischen Überprüfung, bei der alle Staaten überprüft werden. Wir haben dort einigen Staaten ganz klar gesagt, dass sie die Todesstrafe aus ihrem Rechtssystem streichen und abschaffen sollten. Auch auf nationaler Ebene gibt es ein starkes Engagement seitens kirchlicher Institutionen und NGOs.

Auf diskreterer Ebene kommt es manchmal vor, dass Apostolische Nuntien – die diplomatischen Vertreter des Papstes – in katholischen Ländern formelle Schreiben an die jeweiligen Regierungen übergeben, mit der Bitte, Todesurteile aus humanitären Gründen in Haftstrafen umzuwandeln. Es besteht also durchaus die Notwendigkeit, Staaten herauszufordern – aber dies muss einhergehen mit dem Bemühen um Dialog, um ein tiefes und gegenseitiges Verständnis. Ich würde sagen: Es geht darum, respektvolle Begegnung zu fördern und Wege zu suchen, die zu Gerechtigkeit und zur Wahrung der Menschenwürde führen.

Es gibt Stimmen, die sagen: Manche Verbrechen sind so grausam, dass die Täter ihr Recht auf Leben verwirkt haben. Wie antwortet die Kirche auf diese Sicht – gerade dann, wenn Opfer und ihre Familien sich von einem Rechtssystem im Stich gelassen fühlen, das dem Täter das Leben lässt?

Wir antworten darauf, dass der Schutz des Gemeinwohls selbstverständlich erfordert, sicherzustellen, dass ein Aggressor nicht weiter Schaden anrichten kann. Doch die Todesstrafe ist nicht die richtige Antwort, denn die Erfahrung zeigt: Eine Verschärfung oder Anwendung der Todesstrafe löst keine gesellschaftlichen Probleme und führt auch nicht zuverlässig zu einem Rückgang der Kriminalität. Gerechtigkeit muss den Opfern widerfahren – aber nicht durch die Hinrichtung des Täters.

Keine Schuld, so schwer sie auch wiegen mag, verleiht jemandem – auch nicht dem Staat – das Recht, einem anderen das Leben zu nehmen. Kein Mensch, nicht einmal ein Mörder, verliert seine menschliche Würde. Mit einer Hinrichtung wird ihm auch jede Möglichkeit zur Rehabilitierung genommen. Niemand sollte nicht nur seines Lebens, sondern auch seiner Chance auf moralische und existenzielle Umkehr beraubt werden – eine Umkehr, die im besten Fall auch der Gesellschaft zugutekommen kann.

Hinzu kommt das Risiko eines Justizirrtums, das nie ganz ausgeschlossen werden kann. Die Geschichte hat auch gezeigt, wie gefährlich es ist, wenn totalitäre oder diktatorische Regime die Todesstrafe als Mittel missbrauchen, um politische Gegner auszuschalten oder religiöse und kulturelle Minderheiten zu verfolgen. All diese Aspekte müssen heute unbedingt berücksichtigt werden, wenn über die Todesstrafe diskutiert wird.

Das Podium, an dem auch Sie teilgenommen haben, widmete sich der Rolle der Justiz. Welche moralische Verantwortung tragen katholische Richter, Anwälte und Staatsanwälte, wenn sie in Rechtssystemen arbeiten, die die Todesstrafe noch erlauben? Gibt es einen Punkt, an dem ihre Mitwirkung zur Mitschuld wird?

Die Justiz beschäftigt sich mit grundlegenden Entscheidungen über Leben, Freiheit und Rechte – und spielt somit eine entscheidende Rolle bei der Auseinandersetzung mit all diesen Fragen. Ihre Aufgabe ist es letztlich, das gesamte Gefüge der Menschenrechte zu wahren, wobei das Recht auf Leben eine fundamentale Grundlage bildet. Dieses Recht wird durch die Todesstrafe eindeutig untergraben.

Zwar ist das souveräne Recht der Staaten, ihre eigenen Rechtssysteme zu definieren, anzuerkennen und zu respektieren. Doch es gibt keine Rechtfertigung für Mittel, die unnötig sind und sogar die vollständige Achtung der Menschenwürde behindern. Wie bereits erwähnt, schützt eine entschiedene Ablehnung der Todesstrafe auch vor Justizirrtümern – und solche Irrtümer kommen vor.

Zudem ist es die Justiz, die in einzigartiger Weise in der Lage ist, jeden Einzelfall in all seiner Spezifik zu beurteilen. Sie kann ein tieferes Verständnis entwickeln und sollte bei ihren Entscheidungen die Ursachen für bestimmtes Verhalten, den sozialen Kontext, mögliche Situationen der Verletzlichkeit von Täterinnen und Tätern sowie selbstverständlich auch das Leiden der Opfer berücksichtigen.

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Das ist von großer Bedeutung – ebenso wie die Tatsache, dass die Justiz eine zentrale Rolle bei der Umsetzung eines Moratoriums für die Verhängung der Todesstrafe spielen kann. Ein solches Moratorium ist ein konkreter Schritt in Richtung einer vollständigen Abschaffung der Todesstrafe. In diesem Sinne kommt der Justiz eine Schlüsselrolle zu.

Papst Franziskus hatte die Abschaffung der Todesstrafe mit dem Ruf des Heiligen Jahres nach Barmherzigkeit und Versöhnung verknüpft. Doch was geschieht, wenn das Heilige Jahr vorbei ist? Wie kann die Kirche diesen Geist – ganz praktisch und auch politisch – lebendig halten, gerade in säkularen Staaten, die unsere theologischen Grundlagen nicht teilen?

Zunächst möchte ich betonen, dass der Widerstand gegen die Todesstrafe heute eine grundsätzliche Haltung ist, die ideologische Unterschiede überwindet – denn sie betrifft den Kern der menschlichen Würde. Im Kontext der Zeit nach dem Jubiläumsjahr ist es aus meiner Sicht entscheidend, weiterhin mit gleichgesinnten Staaten an diesem Thema zu arbeiten. Ich vertrete den Heiligen Stuhl auf internationaler Ebene und halte dabei konsequent an unserem Einsatz für die Abschaffung der Todesstrafe fest.

In Ländern ohne Demokratie, in denen die Todesstrafe als Mittel zur Ausschaltung politischer Gegner missbraucht wird, muss ein solches Vorgehen klar verurteilt werden. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an meine eigene Erfahrung vor einigen Jahren in der Demokratischen Republik Kongo. Dort gab es zu dieser Zeit keine Todesstrafe, aber lebenslange Haftstrafen wurden verhängt.

Ich habe die Gefängnisse besucht und geholfen, eine Liste von Personen zusammenzustellen, die wegen Straftaten angeklagt waren, für die lebenslange Haft drohte. Mein Ziel war es, sicherzustellen, dass diese Menschen Zugang zu rechtlicher Unterstützung erhielten, um sich vor Gericht angemessen verteidigen zu können. Und natürlich habe ich häufig mit den Behörden gesprochen, um darauf hinzuwirken, dass diese lebenslangen Strafen nicht gegen Menschen verhängt wurden, die lediglich beschuldigt worden waren.

Original-Interview aufgenommen in Genf von Alex Mur | Teamleitung Genf: Laetitia Rodrigues | Produktionsleitung: Patricia Peschken | Sprecher: Jan Terstiege | Redaktion, Moderation und Schnitt: Christian Peschken für Pax Press Agency im Auftrag von EWTN und CNA Deutsch.

Hinweis: Interviews wie dieses spiegeln die Ansichten der jeweiligen Gesprächspartner wider, nicht notwendigerweise jene der Redaktion von CNA Deutsch.