Wenn wir früher mit unserem Vater Wanderungen unternommen haben, war es meist so, dass wir Kinder irgendwann unterwegs angefangen haben zu meckern. "Wann sind wir da?", "Wie lang noch?", "Ich kann nicht mehr!", "Ich hab' keine Lust mehr!"…Die Antwort kam prompt und zuverlässig: "Wer noch Kraft hat zu jammern, der hat auch noch Kraft zu laufen!"

Irgendwie hat er ja recht, aber früher habe ich ernsthaft darüber nachgedacht, was ich tun müsste, damit wir nicht mehr weiterlaufen. Auf den Boden werfen? Herumwälzen? Eine Fußverletzung vortäuschen? Mein Schauspieltalent reichte nicht für eine glaubhafte Vorstellung und Papa wusste auch meistens uns mit abenteuerlichen Wegen und Entdeckungen abzulenken und zu begeistern. Das Schönste aber war, wenn man am Ziel angekommen war, einen grandiosen Ausblick genießen konnte, gepicknickt hat und das Gefühl gespürt hat, welches sich im Bauch langsam breit gemacht hat: Stolz und Zufriedenheit!

Papa hatte das auch immer irgendwann unterwegs in Aussicht gestellt: "Streng dich an, dann hast du nachher ein tolles Erfolgserlebnis!" Wie gesagt, diese Weisheiten konnte ich immer erst am Ende wertschätzen, aber dann bewahrheiteten sie sich um ein hundertfaches.

Anfang der Woche erinnerte ich mich an die Gefühle meiner Kindheit während dieser Wanderungen mit meinem Vater. Unsere Älteste war beim Geigenunterricht und hat zum ersten Mal das Klavierspiel des Lehrers alleine auf der Geige begleitet. Man, war ich stolz und auch die Große kam aus dem Grinsen nicht mehr heraus.

Zwei Wochen zuvor hatte sie sich noch beklagt, dass sie keine Lust habe zum Geigenunterricht zu gehen, weil das so anstrengend und langweilig sei. Ich erwischte mich dabei, ihr die Weisheiten ihres Großvaters zu entgegnen und sagte ihr, dass das nun eine anstrengende Übungsphase sei, wo sie nun durchmüsse, sie aber hinterher sehr stolz sein wird, wenn es fluppt.

Und nun fluppte es und den unbändigen Stolz konnte ich förmlich in ihren Augen lesen. Sie stand aufrecht und stark vor dem Lehrer, ihre ganze Körpersprache war erfüllt von diesem Stolz und sie genoss die Blicke ihrer älteren Mitstreiterinnen.

Wenn man kleine Babys dabei beobachtet, wie sie erste Dinge greifen, wie sie sich zum ersten Mal drehen, dann kann man schon sehen, wie viel Ehrgeiz und Mühe es gekostet hat, diese Schritte zu tun und sie sich freuen, wenn sie es geschafft haben und das geliebte Spielzeug erreicht haben mit einer gezielten Drehung. Es ist also etwas, was uns Menschen antreibt und zu Höchstleistung bringt.

Ziel einer jeden Erziehung und Entwicklung sollte sein, Kinder diese Erfolgserlebnisse spüren zu lassen, damit sie ihren Talenten und Interessen nachgehen können, um dieses Gefühl willen und nicht um anderen zu gefallen.

Ich bin überzeugt, dass das die Basis bildet, für eine gelungene Schulzeit, für gelungene Beziehungen und ein gelungenes Leben, wenn man intrinsische Motivation gelernt hat zu empfinden und zu verfolgen. Wenn man nicht bei jedem Hindernis und jeder Anstrengung aufgibt, sondern sich durchkämpft und sich für die Dinge einsetzt, die einem wichtig sind.

Zentral ist dabei die Rolle der Eltern, die natürlich ihren Stolz kundtun dürfen, aber dem Kind in erster Linie Mut machen sollen, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen und dass es auch den steinigsten Weg überwinden wird, um dann dem Ziel begeistert entgegen zu steuern. So lernen Kinder ihre Begabungen einschätzen zu können und sich mit Ehrgeiz und Disziplin für sie einzusetzen. Nicht für die Eltern, sondern für sich selber!

Nächste Woche hat unsere Violinistin ihr erstes Vorspiel und hat schon kräftig dafür geübt, schließlich will sie wieder so stolz sein, wie bei der letzten Übungsstunde, weil "das so schön im Bauch gekribbelt hat!"

 

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