Es gibt wenige Themengebiete, zu dem Christen – Laien wie Geistliche, egal welcher Konfession – so wenig Substanzielles zu sagen haben wie zum Finanzwesen. Gerade hier ist aber das Moralisieren besonders häufig anzutreffen, und viele Christen sind der Überzeugung, ihre Meinung und ihre Ratschläge seien trotzdem wertvoll. Samuel Gregg stellt in seinem ursprünglich auf englischer Sprache erschienenen Werk "Für Gott und den Profit" die grundlegende Funktionsweise vieler Vorgänge im Finanzwesen dar und liefert seinen Lesern gleichzeitig eine Grundlage, auf der sie mit christlich (und zwar hauptsächlich katholisch) geprägter Ethik ihre Urteile fällen können.

Gregg meint: "Ein Christ kann in der Tat für Gott und zugleich auch für den Profit sein – vorausgesetzt, dass Gott zuerst kommt und der durch Finanzgeschäfte erzielte Profit erstens als Mittel zum Zweck begriffen wird, zweitens nie zum Zweck an sich wird und, drittens, einer mit dem christlichen Menschenbild in Einklang stehenden Verwirklichung von Glücksmöglichkeiten förderlich ist, anstatt diesen entgegenzustehen." Vor diesem Hintergrund beginnt der Autor mit einem Blick in die Geschichte, welcher zeigt, wie sich das Verständnis der Wirtschaft im Laufe der Jahrhunderte entwickelt hat – mit katholischen Denkern an vorderster Front.

Zinsen, Wucher, fairer Preis und Geldentwertung 

Während Wucher in der alten Kirche absolut verpönt und verboten war, wurde im Mittelalter präziser formuliert und zwischen den Dingen unterschieden, sodass Zinsen bei der Aufnahme von Krediten nicht mehr verachtet wurden. "'Wucher', so Bernhardin [von Siena], 'konzentriert das Geld der Gemeinschaft in den Händen einiger weniger, als würde alles Blut im Körper eines Menschen zum Herzen strömen und seine anderen Organe unversorgt lassen.' Doch derselbe Bernhardin bemühte sich auch zu erklären, warum es für Kreditgeber legitim ist, für Kredite Zinsen zu verlangen: weil sie auf die Möglichkeit verzichteten, ihr Geld anderweitig anzulegen. Unter solchen Umständen hätte der Geldgeber das Recht, für entgangene Gewinne entschädigt zu werden."

Heutzutage beklagen sich Menschen nicht nur über sehr hohe Zinsen, etwa für die Verwendung von Kreditkarten, sondern auch über Preise und fordern mitunter sogar, einen "fairen" oder "gerechten" Preis von bestimmten Gütern und Dienstleistungen festzusetzen. Doch auch hier zeigt schon ein Blick in die Kirchengeschichte, diesmal auf Thomas von Aquin, dass man mit derlei Positionen vorsichtig sein muss: "Thomas von Aquin verwandte beträchtliche Mühe darauf zu untersuchen, wie die Gerechtigkeit eines Handelsgeschäfts bestimmt werden könne, wie der Wert von Gütern zu bemessen sei und wie der gerechte Preis für ein Gut zustande komme. Nach seiner Ansicht war es normalerweise so, dass das Maß des Wertes einer Sache der Preis ist, den sie gegenwärtig "auf dem Markt" erzielt […] Bezeichnenderweise ergänzte Thomas von Aquin, dass dieser Marktpreis je nach Zeit und Ort variiere, abhängig davon, ob die Ware knapp oder im Überfluss vorhanden sei […] Obgleich Thomas nie bestritt, dass der Staat im Notfall die Preise regulieren dürfe, meinte er dennoch, der gerechten Preis sei normalerweise der unter Ausschluss von Betrug und Absprachen zustande gekommene Marktpreis."

Die Geldentwertung, die wir heutzutage Jahr für Jahr schweigend akzeptieren, weil man uns etwa weismacht, eine (geringe) Inflationsrate sei gut für die Wirtschaft, wurde beispielsweise im 14. Jahrhundert durch Nikolaus von Oresme scharf kritisiert: "Bezeichnenderweise hielt dieser Bischof Geldmutationen für eine schlimmere Sünde als Wucher. Das Geld eines Gemeinwesens gehöre nicht seinem König. Dieser sei lediglich dessen Wächter, und seine Verantwortung bestehe darin, die Stabilität seines Wertes aufrechtzuerhalten. […] Der Bischof sah tyrannischen Eigennutz als eigentliche Ursache derartiger Wertminderungen des Geldes an. Er setze als bewiesen voraus, schrieb er am Ende seines Traktats über Geldabwertungen, 'dass Gewinn aus Geldabwertungen tyrannisches Tun sei, ebenso wie Ungerechtigkeit und Hinterlist … Eine Ausräuberei sind sie … gegen Ehre und Macht des Staatsoberhauptes.'"

Kein ideales Finanzsystem 

Nach diesem überaus erhellenden und lehrreichen Blick in die Geschichte widmet sich Gregg in aller Kürze der Theorie, bevor er sich mit aktuellen Fragen der Praxis befasst. Es gebe, so stellt der Autor klar, kein ideales oder perfektes Finanzsystem, denn man könne auf verschiedene Art und Weise Gutes tun. Entsprechend betont Gregg später auch: "Zwischen den beiden Polen 'Nichtregulierung' und 'Regulierung ohne Ende' besteht für Christen beträchtlicher Raum, untereinander und mit Nichtchristen das Ausmaß, den Charakter und die Rechtmäßigkeit verschiedener Arten der wirtschaftlichen Regulierung und weiterer Formen staatlicher Eingriffe zu diskutieren."

Dabei müsse man sich aber vor verschiedenen Fallstricken schützen. Immer ist (im wahrsten Sinne des Wortes) im Auge zu behalten, dass jede politische Entscheidung Konsequenzen hat, die man nicht unbedingt vorhersieht, weil sie eben nicht offensichtlich sind. Das klassische Beispiel stammt von Henry Hazlitt, wird von Samuel Gregg aber leider nicht erwähnt. Demnach wird ein zerstörtes Fenster der Fensterbranche nützen, weil der Eigentümer des Hauses, in dem das Fenster zerstört wurde, beispielsweise 250 Euro für ein neues Fenster bezahlen muss. Ungesehen bleibt der Schaden, den die Wirtschaft insgesamt nimmt. Der Hauseigentümer hätte mit dem Geld eigentlich einen Anzug kaufen wollen. In diesem Falle hätte er ein Fenster und einen Anzug gehabt. Im vorliegenden Fall hat er jedoch lediglich ein Fenster, ist insgesamt also ärmer. Die Fensterbranche profitiert, während andernfalls der Hauseigentümer und die Schneiderei profitiert hätten.

Gregg spricht jenes Problem im Kontext des "moral hazard" ("leichtsinniges Verhalten aufgrund ökonomischer Fehlanreize") von Zentralbanken an, die als Kreditgeber letzter Instanz fungieren. "Das Problem besteht darin, dass allein schon die Existenz eines Kreditgebers letzter Instanz in den Köpfen privater Finanzakteure die Vorstellung erzeugen kann, sie wären 'too big to fail' – zu groß, um bankrott zu gehen. Wenn diese Akteure in einem Finanzsystem über genug systemisches Gewicht verfügen, dann haben sie tatsächlich Grund zu der Annahme, dass man ihnen seitens der Zentralbank Liquidität gewährt, falls eine fehlgeschlagene Unternehmung ihre Solvenz bedroht; ganz gleich, wie töricht oder unverantwortlich sie sich verhalten haben. Im Ergebnis werden solche Finanzakteure selbstgefällig und gehen Risiken ein, die im Lauf der Zeit immer unverantwortlicher werden."

Gier bekämpfen, Tugenden fördern

Gregg zeigt sehr überzeugend, dass die Probleme, die im Finanzwesen immer wieder auftreten, zuletzt ganz prominent im Jahre 2008, nicht der Branche inhärent sind, sondern dem unmoralischen Verhalten einzelner (vielleicht auch vieler) Akteure zugeschrieben werden müssen, was durch diverse Fehlanreize noch verstärkt wird. Vor diesem Hintergrund gilt aber trotzdem: "Die Gier im Finanzsektor zu bekämpfen, ist wichtig. Aber genauso wichtig für den Ruf der Branche und ihre Fähigkeit, dem Gemeinwohl zu dienen, sind Tugenden."

Der besondere Verdienst von Samuel Gregg ist seine Darstellung der Probleme, die auftreten, sobald sich der Staat in die freie Marktwirtschaft einmischt, um Probleme zu beheben, während gleichzeitig neue Probleme geschaffen werden. Eine Verteidigung des freien Marktes ist in unserer Zeit Mangelware, besonders von christlicher Seite. Entsprechend isst Gregg sehr zu danken für seine gut verständliche Erklärung der Funktionsweise des Finanzwesens, wodurch eine moralische und ethische Bewertung, wie schon erwähnt, eine vernünftige Grundlage bekommt.

Samuel Gregg, Für Gott und den Profit. Eine Ethik des Finanzwesens ist im Herder-Verlag erschienen und hat 264 Seiten.

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