In den vergangenen Tagen erscheinen immer wieder Nachrufe von zahlreichen intellektuellen Wegbegleitern Robert Spaemanns. Ich, Jahrgang 1980 und in der ehemaligen DDR aufgewachsen, zähle mich nicht zu diesen Wegbegleitern, obwohl Robert Spaemann meinen Weg in die Philosophie und in den Glauben (ich ließ mich 2011 katholisch taufen) entscheidend geprägt hat. Doch was war eigentlich das Besondere an diesem Mann, diesem Intellektuellen, auf den sicherlich das Bonmot von Nicolás Gómez Dávila zutrifft: "Credo ut intelligam. Übersetzen wir das so: Ich glaube, um intelligent zu werden."

Zweifelsohne hat Robert Spaemann als Mensch eine besondere Ausstrahlung gehabt. Ich habe ihn im Jahre 2011 in seinem Haus in Stuttgart besucht und dabei den Eindruck gewonnen, dass hier der Ort ist, an dem er sich – schon damals – auf seinen Heimgang vorbereitet hat. Seine Fähigkeit anderen zuzuhören, seine Aufmerksamkeit in Bezug auf die geäußerten Gedanken seines Gegenübers, seine pointierten und manchmal anekdotischen Antworten, wohlwissend, dass man nicht der einzige war, der in diesen Genuss kommen durfte, haben mich sehr beeindruckt. Auf der anderen Seite sind aber auch seine vielen schriftlich fixierten Gedanken zu nennen, die er immer wieder geschickt zu wiederholen wusste und die einen nahezu unvergänglichen Nachhall in mir erzeugt haben: Wer erinnert sich nicht an sein phänomenales Beispiel des LKW-Aufklebers (Spaemann-Kenner werden jetzt sicherlich wohlwollend nicken)?

Allerdings darf hierbei nicht vergessen werden, dass Spaemann sich nicht nur durch solch prägnanten Beispiele ins intellektuelle und moralische Gewissen seiner Leser geschrieben hat, sondern sich auch durch überaus anspruchsvolle Texte, wie zum Beispiel sein Buch "Personen", einen international bekannten Namen gemacht hat. Noch heute wird Spaemann in akademischen Zirkeln gelesen und auch geschätzt. Unlängst nahm ich an einem philosophischen Kolloquium teil, in dem wir Spaemanns Text "Nebenwirkungen als moralisches Problem" behandelt haben, der interessante Einsichten in das aktuell diskutierte Prinzip der Doppelwirkung gibt. Dabei ist mir aufgefallen, dass sein essayistischer Stil, den er an manchen Stellen um der Thesensetzung und argumentativen Nachvollziehbarkeit willen durchaus aufzugeben bereit war, stets das Ziel hatte, die Analyse des Begriffs nicht so weit zu treiben, dass die Gefahr entstehen kann, den ursprünglichen Gedanken zu zerstören. Wer heute des Öfteren bei philosophischen Tagungen teilnimmt, wird gewiss verstehen, worauf ich hinauswill: die zunehmende Tendenz zur Ersetzung der "Anstrengung des Begriffs" (Hegel) durch seine Zerlegung. Spaemann war in seiner Philosophie allerdings vor dieser Tendenz gefeit. Er war zu wenig analytisch und auch zu wenig phänomenologisch, um die Wahrheit eines Gedankens der logischen Analyse oder einer Beschreibung ihrer Erscheinungsweisen zu opfern.

Zu dieser intellektuellen Haltung passte auch seine philosophische Auseinandersetzung mit der Religion und dem Glauben, die mir sicherlich am meisten imponiert hat. Keiner seiner Wegbegleiter hat es je geschafft, der Frage nach Gott eine solche Realität und Intensität zu verleihen wie Robert Spaemann. Jenseits allgegenwärtiger funktionalistischer Erklärungsmodelle von Religion ist es ihm gelungen, verschiedene Nachweise von der Unsterblichkeit eines Gerüchts namens Gott zu erbringen, sodass in mir die Überzeugung gestärkt wurde, dass der Glaube an die Wahrheit eines Gerüchts letztlich vernünftiger ist als der Glaube an eine Welt, die so tut als gäbe es keinen Gott (etsi deus non daretur).

Unabhängig von den vielen wunderbaren Überlegungen und Einlassungen Spaemanns zur Ethik, politischen Philosophie, Ästhetik oder Religion: Welches Vermächtnis hinterlässt er schließlich denen, die ihn und seine Schriften kaum oder nicht kennen? Das hängt vermutlich davon ab, inwieweit sich Menschen auch wieder trauen, "ins Unterholz" zu gehen (darauf verweisen bereits Martin Mosebach und Patrick Bahners [FAZ] in ihren Nachrufen). Spaemanns Schriften sind als Anleitungen zu verstehen, die durch dieses Unterholz führen. Sie belohnen uns damit, dass wir glauben können, plötzlich auf einer Lichtung zu stehen, die uns den Blick auf dem Himmel der ewigen Wahrheiten freigibt.

Dr. Martin Hähnel ist Chefredakteur der Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie und arbeitet am Lehrstuhl für Bioethik der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

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