Unter tropischer Wärme stöhnte ganz Deutschland vergangene Woche. Zeitweilig wirkte es so, als reiche das Amazonas-Gebiet bis ins Alte Europa. Regionale "Synodale Wege" wie große Synoden mit einem irritierenden "Instrumentum laboris" zur Vorbereitung wirken auf andere Weise schweißtreibend. Nun hat sich Kardinal Gerhard Müller präzise, scharfsichtig und pointiert zu Wort gemeldet. Manche Katholiken in Deutschland mögen zustimmend nicken oder enthusiastisch jubeln, andere erleichtert aufatmen und nicht wenige empört widersprechen. Ein Zeuge des Glaubens erregt Anstoß, ob Weltchrist oder Kardinal. Was er darlegt, kann zum Ärgernis werden – und er selbst auch. Verschiedene Medien haben den neuesten Beitrag des ehemaligen Präfekten der Kongregation für die Glaubenslehre dokumentiert: Die Lektüre lohnt sich. Nebenbei bemerkt: Dasselbe gilt für den Brief von Papst Franziskus an alle Katholiken in Deutschland.

Kardinal Müller benennt viele Schwächen, aber ein eklatantes Defizit des Amazonien-Arbeitspapiers. Wenn über den priesterlichen Dienst gesprochen werde, so widmeten sich die Verfasser den "soziologischen Notwendigkeiten der globalen Welt oder den traditionellen Organisationsformen amazonischer Volksstämme". Ein weltlicher, diabolischer Gedanke dazu: Hätte Jesus Christus erst eine Umfrage veranstaltet, dann wäre er der Kreuzigung entgangen – und die "soziologischen Notwendigkeiten" für einen politischen Befreier hätten auch bestanden. Der Herr wäre dann auf einem Schlachtross nach Jerusalem eingezogen und nicht auf dem Fohlen einer Eselin. Er hätte auch nicht die Bergpredigt gehalten, sondern eine kämpferische, aufrüttelnde Rede. Der Aufstand der Massen hätten die römischen Besatzer vielleicht vertrieben. Das wäre ein Erfolg gewesen. Aber Erfolg ist keiner der Namen Gottes, das wusste auch der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Wir dürfen hinzufügen: Die Kirche ist nicht unsere Erfindung, sondern Sein Haus. Die Kirche sei, so Kardinal Müller, als Stiftung Jesu Christi nicht befugt, aus solchen "soziologischen Notwendigkeiten" heraus neue Weihe-Ämter sich auszudenken oder auch den Zölibat abzuschaffen. Wenn in Südamerika eine Tür für "viri probati" sich öffne, fährt der Kardinal fort, dann würde das auch in Deutschland begeistert aufgenommen, "wo der Zölibat keine gesellschaftliche Akzeptanz mehr hat und viele verheiratete Theologen bereitstünden, um als Priester die Lücken im zölibatären Klerus zu füllen". Wer wissen möchte, was der ehemalige Glaubenspräfekt noch über weitere Themen der gegenwärtigen Debatte sagt, der möge das in Ruhe nachlesen und sich eine Meinung dazu bilden. Kardinal Müller bekräftigt: "Die Substanz der Sakramente entzieht sich der Vollmacht der Kirche. Und man kann nicht mit isolierten Elementen aus Schrift und Tradition und bei Nichtunterscheidung von dogmatisch verbindlichen Entscheidungen und Entwicklungen in Nebensachen sich jeweils ein neues Modell von Priestertum zusammenbasteln. Nicht die von Pastoralstrategen entwickelten Priesterbilder sind wichtig, sondern nur das eine Bild Christi, des Hohepriesters des Neuen Bundes, das der Seele des Geweihten unauslöschlich eingeprägt ist und in dessen Namen und Kraft die Bischöfe und Priester die Gläubigen heiligen, lehren und leiten (Presbyterorum ordinis 2; 12)." 

Ähnlich markant und unverwechselbar wie Kardinal Müller äußerte sich der unvergessene, unvergessliche Kardinal Joachim Meisner. Vor knapp 20 Jahren sprach er mit dem Journalisten Stefan Rehder auch über den Zölibat (sehr empfehlenswert: Joachim Kardinal Meisner: Mit dem Herzen sehen. Ein Gespräch mit Stefan Rehder. MM Verlag, Aachen 2000, hier 171-175).

Der Kölner Erzbischof sagte: "Der Zölibat ist der Lebensstil Jesu Christi! Jesus war nicht verheiratet. Darum ist es angemessen, dass die, die in seine engere Heilsnachfolge treten, so leben wie Jesus selbst gelebt hat." Auch sei der Zölibat "keine fixe Idee aus Rom". Es sei eine "Legende", anzunehmen, dass die Aufhebung des Zölibats den Priestermangel beenden würde: "Wir hätten dann keine Priester, die ihr Amt aufgeben, weil sie heiraten. Wir hätten aber dann solche, die ihr Amt aufgeben müssen, weil sie sich scheiden lassen." Der Zölibat sei, wie die Ehe, nicht in erster Linie Verzicht, sondern Bevorzugung. Der Priester ziehe die "unmittelbare Partnerschaft mit Gott" somit "jeder menschlichen Partnerschaft vor": "Und wie die Ehe als Folge der Bevorzugung einen Verzicht mit sich bringt, so bringt auch die Bevorzugung des Zölibatärs einen Verzicht mit sich. Aber der Verzicht ist immer sekundär, nie primär." Die Berufung zur Ehe wie zum Zölibat erfordere den ganzen Menschen. Auch Weltchristen dürfen übrigens sich klar zum Zölibat für die Priester bekennen – das ist eine wichtige Unterstützung. Jeder von uns darf auch freudig zur Lehre der Kirche stehen. Alle Nichtkatholiken übrigens dürfen noch immer konvertieren: Sie sind herzlich willkommen in der Kirche des Herrn.

Ja, Kardinäle, so auch Gerhard Müller und Joachim Meisner, können zum Widerspruch reizen und zum Nachdenken anstiften. Auch das gehört zu ihren Aufgaben. Die römisch-katholische Kirche braucht jetzt und künftig mutige Bischöfe – und sie hat auch mutige Bischöfe, kantige, klar katholische Kardinäle, im Himmel und auf Erden.   

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