„Es kommt darauf an, sich den Zuspruch aus den Visionen [der heiligen Kirchenlehrerin Hildegard von Bingen] vollständig anzueignen: mit dem Geschmacksinn der Seele auszukosten, mit affektiver Zuneigung zu umarmen und mit dem Verstand aufzunehmen. Dann wachsen dem Menschen Flügel, die ihn auf seinem Weg weitertragen und zum Ziel seiner Hoffnung emporschwingen. Es ist hier und jetzt die beste Gelegenheit, dies auszuprobieren ...“

Mit diesen Worten ermuntert die Benediktinerin Maura Zátonyi ihre Leser, „Das große Hildegard von Bingen Lesebuch“ nicht nur einfach zur Hand zu nehmen, sondern die „Worte wie von Feuerzungen“ zu „verkosten“ und verstehen zu lernen. Denn wenn es um Hildegard gehe, so ihre Erfahrung, kommt „man schnell ins Schwärmen“. Doch die Lektüre der theologischen Werke der Kirchenlehrerin erweise sich „als ein eher schwieriges Unterfangen.“ 

So wurden für das vorliegende „Hildegard von Bingen Lesebuch“ eine Textauswahl aus dem Gesamtwerk der Visionärin so aufbereitet, dass sie einem weiteren Kreis von Lesern auf eine verständliche Weise zugänglich sind. Die allen Texten beigegebenen Kommentare von Schwester Maura Zátonyi machen deutlich, dass sie auch nach über 800 Jahren Einsichten von überraschender Aktualität in sich bergen und die Menschen unserer Epoche in Bann ziehen können.

Die Benediktinerin Maura Zátonyi, die 1974 in Ungarn geboren wurde, gehört der Abtei St. Hildegard in Eibingen an. Nach dem Studium der klassischen Philologie promovierte sie in Mainz in Philosophie und absolvierte das Theologiestudium in Sankt Georgen. Sie gilt sie als ausgewiesene Hildegard-Kennerin. Sie hat mehrere Übersetzungen und Publikationen vorgelegt und ist Vorsitzende der 2018 gegründeten „St. Hildegard-Akademie Eibingen“, einem „Zentrum für Wissenschaft, Forschung und europäischen Spiritualität“. 

Sr. Mauras großes „Hildegard von Bingen Lesebuch“ kann man getrost als einen Schlüssel betrachten, der es möglich macht, in die Bildersprache der Visionen der heiligen Hildegard einzudringen.

„Die größte Gefahr, sein Leben zu verfehlen, erkennt Hildegard in einer Haltung, die wir heute Gleichgültigkeit nennen würden. Je mehr der Mensch seiner Trägheit nachgibt, umso tiefer gerät er in eine dauerhafte Nachlässigkeit, die ihn existenziell prägt. In Hildegards Wortgebrauch heißt diese negative Haltung Vergessen, und zwar Gottesvergessenheit. Diese Vergessenheit leitet einen unheilvollen Prozess ein: Was für einen nicht wichtig ist, das verdrängt und vergisst man. Ist die Sinnfrage des Lebens nicht mehr bedeutend genug, um die Denk- und Handlungsweise zu bestimmen, dann werden andere Gedanken das Innere des Menschen beschäftigen. Das Eigentliche entfällt dann. Der Mensch vergisst, dass es auch andere Dimensionen gibt, als sie der Alltag kurzfristig aufzeigt und als man vordergründig erkennen, verstehen und schmecken kann. Die Gleichgültigkeit macht sich nicht einmal die Mühe, sich mit den Fragen des Lebens auseinanderzusetzen und sich für oder gegen eine jenseitige übersinnliche Wirklichkeit zu entscheiden.“ (92. „Beflügelt durch gute Erkenntnis“ – Heiligkeit)

Anlässlich der Vorstellung des Buches in der „St. Hildegard-Akademie“ erinnerte die Priorin des Klosters, Sr. Katharina Drouvé OSB, an ein Wort der im Jahr 2016 verstorbene Äbtissin Clementia Killewald:

„Das Erstaunliche ist, dass Hildegards Strahlkraft über 900 Jahre hinweg ungebrochen ist. Jahr für Jahr besuchen uns Tausende Menschen aus aller Welt, um sich durch Hildegard Wege zu Gott, zum Glauben und zu einem sinnvollen und im umfassenden Sinn heilen Leben weisen zu lassen. Es scheint fast so, als ob Hildegard für viele Menschen heute ein Fenster zum Himmel ist.“

In diesem Sinne kann „Das große Hildegard von Bingen Lesebuch“ hilfreich sein, einen Überblick über die Werke der mittelalterlichen Nonne und heutigen Kirchenlehrerin zu gewinnen, und darüber hinaus die wahre, christliche Bedeutung Hildegards Schauungen zu verstehen. Mögen ihre „Worte wie von Feuerzungen“ die Menschen zu dem hinführen, den Hildegard erkannte und so sehr liebte.

Maura Zátonyi OSB (Hrg.), "Das große Hildegard von Bingen Lesebuch. Worte wie von Feuerzungen" ist bei Herder erschienen und hat 320 Seiten.

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